Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].drehte er sich vom Schreibtische um, und sah auf dem Sopha in der Ecke des Zimmers den verstorbenen Samuel sitzen. Er ging zwei Schritte darauf zu - er blieb sitzen; noch zwei Schritte - keine Veränderung; er trat ganz dicht heran und neigte sich fast über ihn, da war er verschwunden. Bei seiner unglaublichen Arbeitsamkeit fand Nicolai anfangs nicht Zeit, einen Arzt zu befragen: er gewöhnte sich nach und nach an diese ungebetenen Gäste und war nur manchmal, wenn ein Lebender in das Zimmer trat, zweifelhaft, ob er es selbst, oder ob es sein Schemen sei. Die Geister unterschied er daran, daß sie beim Thüröffnen und beim Gehn gar kein Geräusch machten. Endlich fingen die Figuren sogar an, mit ihm zu sprechen; die Hallucinationen des Auges verbanden sich mit denen des Ohres. Welche herrliche Gelegenheit für einen minder starken Geist, die mit den Verstorbenen wirklich gehaltenen Gespräche als Kundgebungen aus der Welt des Jenseits zu betrachten und bekannt zu machen! Wer weiß, wohin die krankhafte Erregtheit des überreizten Nervensystems ausgeartet wäre, wenn Nicolai nicht endlich ärztliche Hülfe gesucht, und durch zweckmäßig angewandte Blutigel den Spuk vertrieben hätte. Die Erscheinungen hörten auf zu sprechen, sie verloren nach und nach die Lebhaftigkeit der Farben, sie wurden weiße Gespenster, sie theilten sich in der Mitte, und schwebten als Brustbilder vorüber; zuletzt verschwanden sie ganz, nachdem diese wunderbare Verstimmung der Sinnesorgane ungefähr 2 Monate gedauert. Als wir eines Abends bei Tische saßen, ging der Grosvater in ein anstoßendes, ganz dunkles Kabinet, und drehte er sich vom Schreibtische um, und sah auf dem Sopha in der Ecke des Zimmers den verstorbenen Samuel sitzen. Er ging zwei Schritte darauf zu – er blieb sitzen; noch zwei Schritte – keine Veränderung; er trat ganz dicht heran und neigte sich fast über ihn, da war er verschwunden. Bei seiner unglaublichen Arbeitsamkeit fand Nicolai anfangs nicht Zeit, einen Arzt zu befragen: er gewöhnte sich nach und nach an diese ungebetenen Gäste und war nur manchmal, wenn ein Lebender in das Zimmer trat, zweifelhaft, ob er es selbst, oder ob es sein Schemen sei. Die Geister unterschied er daran, daß sie beim Thüröffnen und beim Gehn gar kein Geräusch machten. Endlich fingen die Figuren sogar an, mit ihm zu sprechen; die Hallucinationen des Auges verbanden sich mit denen des Ohres. Welche herrliche Gelegenheit für einen minder starken Geist, die mit den Verstorbenen wirklich gehaltenen Gespräche als Kundgebungen aus der Welt des Jenseits zu betrachten und bekannt zu machen! Wer weiß, wohin die krankhafte Erregtheit des überreizten Nervensystems ausgeartet wäre, wenn Nicolai nicht endlich ärztliche Hülfe gesucht, und durch zweckmäßig angewandte Blutigel den Spuk vertrieben hätte. Die Erscheinungen hörten auf zu sprechen, sie verloren nach und nach die Lebhaftigkeit der Farben, sie wurden weiße Gespenster, sie theilten sich in der Mitte, und schwebten als Brustbilder vorüber; zuletzt verschwanden sie ganz, nachdem diese wunderbare Verstimmung der Sinnesorgane ungefähr 2 Monate gedauert. Als wir eines Abends bei Tische saßen, ging der Grosvater in ein anstoßendes, ganz dunkles Kabinet, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0054" n="42"/> drehte er sich vom Schreibtische um, und sah auf dem Sopha in der Ecke des Zimmers den verstorbenen Samuel sitzen. 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drehte er sich vom Schreibtische um, und sah auf dem Sopha in der Ecke des Zimmers den verstorbenen Samuel sitzen. Er ging zwei Schritte darauf zu – er blieb sitzen; noch zwei Schritte – keine Veränderung; er trat ganz dicht heran und neigte sich fast über ihn, da war er verschwunden.
Bei seiner unglaublichen Arbeitsamkeit fand Nicolai anfangs nicht Zeit, einen Arzt zu befragen: er gewöhnte sich nach und nach an diese ungebetenen Gäste und war nur manchmal, wenn ein Lebender in das Zimmer trat, zweifelhaft, ob er es selbst, oder ob es sein Schemen sei. Die Geister unterschied er daran, daß sie beim Thüröffnen und beim Gehn gar kein Geräusch machten.
Endlich fingen die Figuren sogar an, mit ihm zu sprechen; die Hallucinationen des Auges verbanden sich mit denen des Ohres. Welche herrliche Gelegenheit für einen minder starken Geist, die mit den Verstorbenen wirklich gehaltenen Gespräche als Kundgebungen aus der Welt des Jenseits zu betrachten und bekannt zu machen! Wer weiß, wohin die krankhafte Erregtheit des überreizten Nervensystems ausgeartet wäre, wenn Nicolai nicht endlich ärztliche Hülfe gesucht, und durch zweckmäßig angewandte Blutigel den Spuk vertrieben hätte.
Die Erscheinungen hörten auf zu sprechen, sie verloren nach und nach die Lebhaftigkeit der Farben, sie wurden weiße Gespenster, sie theilten sich in der Mitte, und schwebten als Brustbilder vorüber; zuletzt verschwanden sie ganz, nachdem diese wunderbare Verstimmung der Sinnesorgane ungefähr 2 Monate gedauert.
Als wir eines Abends bei Tische saßen, ging der Grosvater in ein anstoßendes, ganz dunkles Kabinet, und
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/54>, abgerufen am 27.07.2024. |