Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].oder die Tortur wirklich erhalten habe, ist mir nicht mehr erinnerlich; genug, er sollte hingerichtet werden. Am Abende vor der Execution saß der Kriminalbeamte, der die Sache betrieb, noch sehr spät in seinem Arbeitszimmer bei den Akten. Vor ihm auf dem Tische lagen, vom trüben Kerzenscheine beleuchtet, die Gegenstände des Prozesses, darunter der Strick mit dem die Wittwe erdrosselt wurde. Da läßt sich der Scharfrichter melden, um die Anordnungen für den folgenden Tag zu verabreden. Er wird eingelassen, und der Richter bemerkt, daß der Scharfrichter während des Gespräches den auf dem Tische liegenden Strick sehr aufmerksam ansieht. "Was betrachtet er den Strick so genau?" fragt der Richter. "Herr", war die Antwort, "das will ich ihm wohl sagen: ich sehe darin einen Knoten, den niemand anderes kann gemacht haben, als ein Henkersknecht." Auf dieses wichtige Zeugniß hin ward die Execution verschoben und die Sache von neuem untersucht. Da man einen so guten Fingerzeig hatte, so stellte es sich bald heraus, daß der Mord in der That von einem Henkersknechte verübt worden sei. Der arme Kandidat entging glücklich dem Tode; die Erben der alten Frau wollten aber das Haus, in dem die Gräuelthat begangen war, nicht behalten. So kam es an den Magistrat, welcher die Probstei der Petrikirche darin einrichtete. Seit wir jene Geschichte gehört, konnten wir bei der Probstei nicht ohne ein gewisses Grauen vorübergehn, und dachten uns oft, wie es dem Probste Teller zu Muthe sein müsse, in einem solchen Hause zu wohnen; später habe ich gefunden, daß dieses Grauen vergeblich war: denn der Mord und die merkwürdige Entdeckung desselben ereig- oder die Tortur wirklich erhalten habe, ist mir nicht mehr erinnerlich; genug, er sollte hingerichtet werden. Am Abende vor der Execution saß der Kriminalbeamte, der die Sache betrieb, noch sehr spät in seinem Arbeitszimmer bei den Akten. Vor ihm auf dem Tische lagen, vom trüben Kerzenscheine beleuchtet, die Gegenstände des Prozesses, darunter der Strick mit dem die Wittwe erdrosselt wurde. Da läßt sich der Scharfrichter melden, um die Anordnungen für den folgenden Tag zu verabreden. Er wird eingelassen, und der Richter bemerkt, daß der Scharfrichter während des Gespräches den auf dem Tische liegenden Strick sehr aufmerksam ansieht. „Was betrachtet er den Strick so genau?“ fragt der Richter. „Herr“, war die Antwort, „das will ich ihm wohl sagen: ich sehe darin einen Knoten, den niemand anderes kann gemacht haben, als ein Henkersknecht.“ Auf dieses wichtige Zeugniß hin ward die Execution verschoben und die Sache von neuem untersucht. Da man einen so guten Fingerzeig hatte, so stellte es sich bald heraus, daß der Mord in der That von einem Henkersknechte verübt worden sei. Der arme Kandidat entging glücklich dem Tode; die Erben der alten Frau wollten aber das Haus, in dem die Gräuelthat begangen war, nicht behalten. So kam es an den Magistrat, welcher die Probstei der Petrikirche darin einrichtete. Seit wir jene Geschichte gehört, konnten wir bei der Probstei nicht ohne ein gewisses Grauen vorübergehn, und dachten uns oft, wie es dem Probste Teller zu Muthe sein müsse, in einem solchen Hause zu wohnen; später habe ich gefunden, daß dieses Grauen vergeblich war: denn der Mord und die merkwürdige Entdeckung desselben ereig- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0047" n="35"/> oder die Tortur wirklich erhalten habe, ist mir nicht mehr erinnerlich; genug, er sollte hingerichtet werden. </p><lb/> <p>Am Abende vor der Execution saß der Kriminalbeamte, der die Sache betrieb, noch sehr spät in seinem Arbeitszimmer bei den Akten. Vor ihm auf dem Tische lagen, vom trüben Kerzenscheine beleuchtet, die Gegenstände des Prozesses, darunter der Strick mit dem die Wittwe erdrosselt wurde. Da läßt sich der Scharfrichter melden, um die Anordnungen für den folgenden Tag zu verabreden. Er wird eingelassen, und der Richter bemerkt, daß der Scharfrichter während des Gespräches den auf dem Tische liegenden Strick sehr aufmerksam ansieht. „Was betrachtet er den Strick so genau?“ fragt der Richter. „Herr“, war die Antwort, „das will ich ihm wohl sagen: ich sehe darin einen Knoten, den niemand anderes kann gemacht haben, als ein Henkersknecht.“ </p><lb/> <p>Auf dieses wichtige Zeugniß hin ward die Execution verschoben und die Sache von neuem untersucht. Da man einen so guten Fingerzeig hatte, so stellte es sich bald heraus, daß der Mord in der That von einem Henkersknechte verübt worden sei. Der arme Kandidat entging glücklich dem Tode; die Erben der alten Frau wollten aber das Haus, in dem die Gräuelthat begangen war, nicht behalten. So kam es an den Magistrat, welcher die Probstei der Petrikirche darin einrichtete. </p><lb/> <p>Seit wir jene Geschichte gehört, konnten wir bei der Probstei nicht ohne ein gewisses Grauen vorübergehn, und dachten uns oft, wie es dem Probste Teller zu Muthe sein müsse, in einem solchen Hause zu wohnen; später habe ich gefunden, daß dieses Grauen vergeblich war: denn der Mord und die merkwürdige Entdeckung desselben ereig- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0047]
oder die Tortur wirklich erhalten habe, ist mir nicht mehr erinnerlich; genug, er sollte hingerichtet werden.
Am Abende vor der Execution saß der Kriminalbeamte, der die Sache betrieb, noch sehr spät in seinem Arbeitszimmer bei den Akten. Vor ihm auf dem Tische lagen, vom trüben Kerzenscheine beleuchtet, die Gegenstände des Prozesses, darunter der Strick mit dem die Wittwe erdrosselt wurde. Da läßt sich der Scharfrichter melden, um die Anordnungen für den folgenden Tag zu verabreden. Er wird eingelassen, und der Richter bemerkt, daß der Scharfrichter während des Gespräches den auf dem Tische liegenden Strick sehr aufmerksam ansieht. „Was betrachtet er den Strick so genau?“ fragt der Richter. „Herr“, war die Antwort, „das will ich ihm wohl sagen: ich sehe darin einen Knoten, den niemand anderes kann gemacht haben, als ein Henkersknecht.“
Auf dieses wichtige Zeugniß hin ward die Execution verschoben und die Sache von neuem untersucht. Da man einen so guten Fingerzeig hatte, so stellte es sich bald heraus, daß der Mord in der That von einem Henkersknechte verübt worden sei. Der arme Kandidat entging glücklich dem Tode; die Erben der alten Frau wollten aber das Haus, in dem die Gräuelthat begangen war, nicht behalten. So kam es an den Magistrat, welcher die Probstei der Petrikirche darin einrichtete.
Seit wir jene Geschichte gehört, konnten wir bei der Probstei nicht ohne ein gewisses Grauen vorübergehn, und dachten uns oft, wie es dem Probste Teller zu Muthe sein müsse, in einem solchen Hause zu wohnen; später habe ich gefunden, daß dieses Grauen vergeblich war: denn der Mord und die merkwürdige Entdeckung desselben ereig-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/47>, abgerufen am 05.07.2024. |