Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Als das Detachement, bei dem Franz stand, in zwei Gliedern mit gefälltem Bajonette vorrückte, kam eine Kanonenkugel, und ging zwischen beiden Gliedern durch, ohne Jemand zu beschädigen. Eine halbe Secunde früher oder später hätte sie entweder das ganze erste oder zweite Glied niedergerissen. Der Druck der Luft, sagte Franz, war so stark, daß wir im ersten Gliede uns alle umkehren mußten: denn es war, als ob einer uns bei den Tornistern packte und herumdrehte. Ein anderes Mal erzählte er, daß beim Einrücken in Frankreich überall die strengste Mannszucht geboten worden sei, um den Franzosen keinen Anlaß zur Klage zu geben. Bei den Freiwilligen, als gebildeten Leuten, sei dies kaum nöthig gewesen, auch bei den übrigen Truppen seien Excesse höchst selten gemeldet worden. Doch sei einmal der Fall vorgekommen, daß ein französischer Wirt sich bei dem Hauptmann beklagt: ein bei ihm im Quartier liegender pommerscher Landwehrmann habe ihn geprügelt, weil ihm die Beköstigung nicht gut genug gewesen. Der Angeklagte ward vorgefordert und gefragt, was er zu seiner Vertheidigung sagen könne? "Herr Hauptmann", sprach er äußerst betroffen und fast weinend, "ich habe mich vergangen, aber ich bin eigentlich unschuldig. Als die verfluchten Franzosen in unserm Dorfe im Quartier lagen, verlangten sie von meinem Vater Champagner, den wir nicht dem Namen nach kannten; ich mußte ruhig zusehn, wie die Hunde meinen alten ehrwürdigen Vater prügelten, weil er ihnen keinen Champagner schaffen konnte. Da nahm ich mir in meinem Herzen vor, wenn die Reihe an uns käme, die Sache wett zu machen. So verlangte ich denn heute von meinem Wirte ein Glas Weisbier, und Als das Detachement, bei dem Franz stand, in zwei Gliedern mit gefälltem Bajonette vorrückte, kam eine Kanonenkugel, und ging zwischen beiden Gliedern durch, ohne Jemand zu beschädigen. Eine halbe Secunde früher oder später hätte sie entweder das ganze erste oder zweite Glied niedergerissen. Der Druck der Luft, sagte Franz, war so stark, daß wir im ersten Gliede uns alle umkehren mußten: denn es war, als ob einer uns bei den Tornistern packte und herumdrehte. Ein anderes Mal erzählte er, daß beim Einrücken in Frankreich überall die strengste Mannszucht geboten worden sei, um den Franzosen keinen Anlaß zur Klage zu geben. Bei den Freiwilligen, als gebildeten Leuten, sei dies kaum nöthig gewesen, auch bei den übrigen Truppen seien Excesse höchst selten gemeldet worden. Doch sei einmal der Fall vorgekommen, daß ein französischer Wirt sich bei dem Hauptmann beklagt: ein bei ihm im Quartier liegender pommerscher Landwehrmann habe ihn geprügelt, weil ihm die Beköstigung nicht gut genug gewesen. Der Angeklagte ward vorgefordert und gefragt, was er zu seiner Vertheidigung sagen könne? „Herr Hauptmann“, sprach er äußerst betroffen und fast weinend, „ich habe mich vergangen, aber ich bin eigentlich unschuldig. Als die verfluchten Franzosen in unserm Dorfe im Quartier lagen, verlangten sie von meinem Vater Champagner, den wir nicht dem Namen nach kannten; ich mußte ruhig zusehn, wie die Hunde meinen alten ehrwürdigen Vater prügelten, weil er ihnen keinen Champagner schaffen konnte. Da nahm ich mir in meinem Herzen vor, wenn die Reihe an uns käme, die Sache wett zu machen. So verlangte ich denn heute von meinem Wirte ein Glas Weisbier, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0454" n="442"/> Als das Detachement, bei dem Franz stand, in zwei Gliedern mit gefälltem Bajonette vorrückte, kam eine Kanonenkugel, und ging zwischen beiden Gliedern durch, ohne Jemand zu beschädigen. Eine halbe Secunde früher oder später hätte sie entweder das ganze erste oder zweite Glied niedergerissen. Der Druck der Luft, sagte Franz, war so stark, daß wir im ersten Gliede uns alle umkehren mußten: denn es war, als ob einer uns bei den Tornistern packte und herumdrehte. </p><lb/> <p>Ein anderes Mal erzählte er, daß beim Einrücken in Frankreich überall die strengste Mannszucht geboten worden sei, um den Franzosen keinen Anlaß zur Klage zu geben. Bei den Freiwilligen, als gebildeten Leuten, sei dies kaum nöthig gewesen, auch bei den übrigen Truppen seien Excesse höchst selten gemeldet worden. Doch sei einmal der Fall vorgekommen, daß ein französischer Wirt sich bei dem Hauptmann beklagt: ein bei ihm im Quartier liegender pommerscher Landwehrmann habe ihn geprügelt, weil ihm die Beköstigung nicht gut genug gewesen. Der Angeklagte ward vorgefordert und gefragt, was er zu seiner Vertheidigung sagen könne? „Herr Hauptmann“, sprach er äußerst betroffen und fast weinend, „ich habe mich vergangen, aber ich bin eigentlich unschuldig. Als die verfluchten Franzosen in unserm Dorfe im Quartier lagen, verlangten sie von meinem Vater Champagner, den wir nicht dem Namen nach kannten; ich mußte ruhig zusehn, wie die Hunde meinen alten ehrwürdigen Vater prügelten, weil er ihnen keinen Champagner schaffen konnte. Da nahm ich mir in meinem Herzen vor, wenn die Reihe an uns käme, die Sache wett zu machen. So verlangte ich denn heute von meinem Wirte ein Glas Weisbier, und </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [442/0454]
Als das Detachement, bei dem Franz stand, in zwei Gliedern mit gefälltem Bajonette vorrückte, kam eine Kanonenkugel, und ging zwischen beiden Gliedern durch, ohne Jemand zu beschädigen. Eine halbe Secunde früher oder später hätte sie entweder das ganze erste oder zweite Glied niedergerissen. Der Druck der Luft, sagte Franz, war so stark, daß wir im ersten Gliede uns alle umkehren mußten: denn es war, als ob einer uns bei den Tornistern packte und herumdrehte.
Ein anderes Mal erzählte er, daß beim Einrücken in Frankreich überall die strengste Mannszucht geboten worden sei, um den Franzosen keinen Anlaß zur Klage zu geben. Bei den Freiwilligen, als gebildeten Leuten, sei dies kaum nöthig gewesen, auch bei den übrigen Truppen seien Excesse höchst selten gemeldet worden. Doch sei einmal der Fall vorgekommen, daß ein französischer Wirt sich bei dem Hauptmann beklagt: ein bei ihm im Quartier liegender pommerscher Landwehrmann habe ihn geprügelt, weil ihm die Beköstigung nicht gut genug gewesen. Der Angeklagte ward vorgefordert und gefragt, was er zu seiner Vertheidigung sagen könne? „Herr Hauptmann“, sprach er äußerst betroffen und fast weinend, „ich habe mich vergangen, aber ich bin eigentlich unschuldig. Als die verfluchten Franzosen in unserm Dorfe im Quartier lagen, verlangten sie von meinem Vater Champagner, den wir nicht dem Namen nach kannten; ich mußte ruhig zusehn, wie die Hunde meinen alten ehrwürdigen Vater prügelten, weil er ihnen keinen Champagner schaffen konnte. Da nahm ich mir in meinem Herzen vor, wenn die Reihe an uns käme, die Sache wett zu machen. So verlangte ich denn heute von meinem Wirte ein Glas Weisbier, und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/454 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/454>, abgerufen am 16.02.2025. |