Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].geworden, aber sehr bald hätten ihre Handschuhe sich daran gewöhnt. Der Pfarrer des ganz katholischen Ortes hielt es für seine Pflicht, der Verwandten seiner erlauchten Gebieterin aufzuwarten; Frau von der Recke zog ihn öfter zur Tafel, und es entspann sich ein sehr angenehmer Umgang, der durch das edle Wohlwollen der Wirtin und die gemessene, aber heitre Haltung des Gastes bald den Karakter der Herzlichkeit annahm. Der Pfarrer besaß, wie fast alle Czechen, eine gründliche musikalische Bildung, er spielte mehrere Instrumente, er sang, er komponirte. Tante Jettchen hatte nicht so bald merken lassen, daß sie die Guitarre spiele, als er ihr sogleich eine verschaffte, und mehrere Stücke aus Tiedges Urania mit leichter Begleitung in Musik setzte. Dies war eine große Freude für Frau von der Recke. Sie dankte dem guten Pfarrer mit einer wahrhaft rührenden Innigkeit, und erbat sich oft zum Schlusse der langen Winterabende ein Stück aus der Urania, das der Pfarrer mit klangvoller Stimme zur Guitairenbegleitung vortrug. Die Kompositionen überreichte er der Tante Jettchen in der saubersten Abschrift mit einer kalligraphischen Widmung "An Mademoiselle Henriette von Eichmann." Wir betrachteten sie später oft in Berlin, aber ich konnte den sorgfältigen steifen Schriftzügen des Pfarrers im Vergleiche mit dem idealen Schwunge der Tante nur einen sehr untergeordneten Werth beilegen. Während des Waffenstillstandes ward in Nachod die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß die Franzosen oder die Alliirten den Ort besetzen, und das Schloß mit Einquartirung belegen könnten. Da zeigte sich erst der Reichthum des fürstlichen Hauses. Der Kastellan ließ sofort geworden, aber sehr bald hätten ihre Handschuhe sich daran gewöhnt. Der Pfarrer des ganz katholischen Ortes hielt es für seine Pflicht, der Verwandten seiner erlauchten Gebieterin aufzuwarten; Frau von der Recke zog ihn öfter zur Tafel, und es entspann sich ein sehr angenehmer Umgang, der durch das edle Wohlwollen der Wirtin und die gemessene, aber heitre Haltung des Gastes bald den Karakter der Herzlichkeit annahm. Der Pfarrer besaß, wie fast alle Czechen, eine gründliche musikalische Bildung, er spielte mehrere Instrumente, er sang, er komponirte. Tante Jettchen hatte nicht so bald merken lassen, daß sie die Guitarre spiele, als er ihr sogleich eine verschaffte, und mehrere Stücke aus Tiedges Urania mit leichter Begleitung in Musik setzte. Dies war eine große Freude für Frau von der Recke. Sie dankte dem guten Pfarrer mit einer wahrhaft rührenden Innigkeit, und erbat sich oft zum Schlusse der langen Winterabende ein Stück aus der Urania, das der Pfarrer mit klangvoller Stimme zur Guitairenbegleitung vortrug. Die Kompositionen überreichte er der Tante Jettchen in der saubersten Abschrift mit einer kalligraphischen Widmung „An Mademoiselle Henriette von Eichmann.“ Wir betrachteten sie später oft in Berlin, aber ich konnte den sorgfältigen steifen Schriftzügen des Pfarrers im Vergleiche mit dem idealen Schwunge der Tante nur einen sehr untergeordneten Werth beilegen. Während des Waffenstillstandes ward in Nachod die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß die Franzosen oder die Alliirten den Ort besetzen, und das Schloß mit Einquartirung belegen könnten. Da zeigte sich erst der Reichthum des fürstlichen Hauses. Der Kastellan ließ sofort <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0438" n="426"/> geworden, aber sehr bald hätten ihre Handschuhe sich daran gewöhnt. </p><lb/> <p>Der Pfarrer des ganz katholischen Ortes hielt es für seine Pflicht, der Verwandten seiner erlauchten Gebieterin aufzuwarten; Frau von der Recke zog ihn öfter zur Tafel, und es entspann sich ein sehr angenehmer Umgang, der durch das edle Wohlwollen der Wirtin und die gemessene, aber heitre Haltung des Gastes bald den Karakter der Herzlichkeit annahm. Der Pfarrer besaß, wie fast alle Czechen, eine gründliche musikalische Bildung, er spielte mehrere Instrumente, er sang, er komponirte. Tante Jettchen hatte nicht so bald merken lassen, daß sie die Guitarre spiele, als er ihr sogleich eine verschaffte, und mehrere Stücke aus Tiedges Urania mit leichter Begleitung in Musik setzte. Dies war eine große Freude für Frau von der Recke. Sie dankte dem guten Pfarrer mit einer wahrhaft rührenden Innigkeit, und erbat sich oft zum Schlusse der langen Winterabende ein Stück aus der Urania, das der Pfarrer mit klangvoller Stimme zur Guitairenbegleitung vortrug. Die Kompositionen überreichte er der Tante Jettchen in der saubersten Abschrift mit einer kalligraphischen Widmung „An Mademoiselle Henriette von Eichmann.“ Wir betrachteten sie später oft in Berlin, aber ich konnte den sorgfältigen steifen Schriftzügen des Pfarrers im Vergleiche mit dem idealen Schwunge der Tante nur einen sehr untergeordneten Werth beilegen. </p><lb/> <p>Während des Waffenstillstandes ward in Nachod die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß die Franzosen oder die Alliirten den Ort besetzen, und das Schloß mit Einquartirung belegen könnten. Da zeigte sich erst der Reichthum des fürstlichen Hauses. Der Kastellan ließ sofort </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [426/0438]
geworden, aber sehr bald hätten ihre Handschuhe sich daran gewöhnt.
Der Pfarrer des ganz katholischen Ortes hielt es für seine Pflicht, der Verwandten seiner erlauchten Gebieterin aufzuwarten; Frau von der Recke zog ihn öfter zur Tafel, und es entspann sich ein sehr angenehmer Umgang, der durch das edle Wohlwollen der Wirtin und die gemessene, aber heitre Haltung des Gastes bald den Karakter der Herzlichkeit annahm. Der Pfarrer besaß, wie fast alle Czechen, eine gründliche musikalische Bildung, er spielte mehrere Instrumente, er sang, er komponirte. Tante Jettchen hatte nicht so bald merken lassen, daß sie die Guitarre spiele, als er ihr sogleich eine verschaffte, und mehrere Stücke aus Tiedges Urania mit leichter Begleitung in Musik setzte. Dies war eine große Freude für Frau von der Recke. Sie dankte dem guten Pfarrer mit einer wahrhaft rührenden Innigkeit, und erbat sich oft zum Schlusse der langen Winterabende ein Stück aus der Urania, das der Pfarrer mit klangvoller Stimme zur Guitairenbegleitung vortrug. Die Kompositionen überreichte er der Tante Jettchen in der saubersten Abschrift mit einer kalligraphischen Widmung „An Mademoiselle Henriette von Eichmann.“ Wir betrachteten sie später oft in Berlin, aber ich konnte den sorgfältigen steifen Schriftzügen des Pfarrers im Vergleiche mit dem idealen Schwunge der Tante nur einen sehr untergeordneten Werth beilegen.
Während des Waffenstillstandes ward in Nachod die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß die Franzosen oder die Alliirten den Ort besetzen, und das Schloß mit Einquartirung belegen könnten. Da zeigte sich erst der Reichthum des fürstlichen Hauses. Der Kastellan ließ sofort
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/438 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/438>, abgerufen am 16.07.2024. |