Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].bewahre ich ein sehr harmloses gedrucktes Gedicht mit dem Titel "Dem Nachbar und Schatzmeister Parthey zu seinem Genesungsfeste die Brüderstraße und der stille Verein." Mein Vater hatte im Winter 1815-1816 an einem Bruche der Kniescheibe lange krank gelegen, wurde aber vollkommen hergestellt. Der Landsturm von Berlin wurde indessen immer fester organisirt, wobei es an ernsten und spashaften Vorfällen nicht mangelte. Den älteren Leuten hatte schon die Idee des ganzen Volkes in Waffen nicht in den Kopf gewollt, unleidlich schien es ihnen, daß sie nun selbst an der Bewaffnung Theil nehmen sollten. Nach ihrer Vorstellung waren die gemeinen Soldaten eine Heerde hergelaufenen Gesindels, allenfalls eine nützliche Korrektionsanstalt für ganz verwahrloste Subjekte, der kein anständiger Mann angehören könne. Es war ja noch gar nicht lange her, daß die barbarische Strafe der Spiesruthen von Friedrich Wilhelm II. abgeschafft wurde; die entehrenden Stockprügel hat erst Friedrich Wilhelm III. auf die Zuchthäuser beschränkt. Man setzte an deren Stelle das Lattengefängniß, an das man jetzt kaum ohne Entsetzen denken kann. Der Delinquent ward in eine enge dunkle Kammer gesperrt, deren Fußboden und Wände mit dicht bei einander stehenden dreikantigen Latten besetzt waren. Er konnte also nur auf einer Säge sitzen, stehn oder liegen. Diese Strafe gab den Torturinstrumenten des Mittelalters nichts nach. Sie war so empfindlich, daß dem Gefangenen nach zwei Tagen Latten immer ein dritter Tag in einer gewöhnlichen Stube gewährt werden mußte; 6 Wochen Latten waren gleichbedeutend mit Todesstrafe. Desertion ward auch im Frieden unnachsichtlich mit Erschießen bestraft. bewahre ich ein sehr harmloses gedrucktes Gedicht mit dem Titel „Dem Nachbar und Schatzmeister Parthey zu seinem Genesungsfeste die Brüderstraße und der stille Verein.“ Mein Vater hatte im Winter 1815–1816 an einem Bruche der Kniescheibe lange krank gelegen, wurde aber vollkommen hergestellt. Der Landsturm von Berlin wurde indessen immer fester organisirt, wobei es an ernsten und spashaften Vorfällen nicht mangelte. Den älteren Leuten hatte schon die Idee des ganzen Volkes in Waffen nicht in den Kopf gewollt, unleidlich schien es ihnen, daß sie nun selbst an der Bewaffnung Theil nehmen sollten. Nach ihrer Vorstellung waren die gemeinen Soldaten eine Heerde hergelaufenen Gesindels, allenfalls eine nützliche Korrektionsanstalt für ganz verwahrloste Subjekte, der kein anständiger Mann angehören könne. Es war ja noch gar nicht lange her, daß die barbarische Strafe der Spiesruthen von Friedrich Wilhelm II. abgeschafft wurde; die entehrenden Stockprügel hat erst Friedrich Wilhelm III. auf die Zuchthäuser beschränkt. Man setzte an deren Stelle das Lattengefängniß, an das man jetzt kaum ohne Entsetzen denken kann. Der Delinquent ward in eine enge dunkle Kammer gesperrt, deren Fußboden und Wände mit dicht bei einander stehenden dreikantigen Latten besetzt waren. Er konnte also nur auf einer Säge sitzen, stehn oder liegen. Diese Strafe gab den Torturinstrumenten des Mittelalters nichts nach. Sie war so empfindlich, daß dem Gefangenen nach zwei Tagen Latten immer ein dritter Tag in einer gewöhnlichen Stube gewährt werden mußte; 6 Wochen Latten waren gleichbedeutend mit Todesstrafe. 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Es war ja noch gar nicht lange her, daß die barbarische Strafe der Spiesruthen von Friedrich Wilhelm II. abgeschafft wurde; die entehrenden Stockprügel hat erst Friedrich Wilhelm III. auf die Zuchthäuser beschränkt. Man setzte an deren Stelle das Lattengefängniß, an das man jetzt kaum ohne Entsetzen denken kann. Der Delinquent ward in eine enge dunkle Kammer gesperrt, deren Fußboden und Wände mit dicht bei einander stehenden dreikantigen Latten besetzt waren. Er konnte also nur auf einer Säge sitzen, stehn oder liegen. Diese Strafe gab den Torturinstrumenten des Mittelalters nichts nach. Sie war so empfindlich, daß dem Gefangenen nach zwei Tagen Latten immer ein dritter Tag in einer gewöhnlichen Stube gewährt werden mußte; 6 Wochen Latten waren gleichbedeutend mit Todesstrafe. Desertion ward auch im Frieden unnachsichtlich mit Erschießen bestraft. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [359/0371]
bewahre ich ein sehr harmloses gedrucktes Gedicht mit dem Titel „Dem Nachbar und Schatzmeister Parthey zu seinem Genesungsfeste die Brüderstraße und der stille Verein.“ Mein Vater hatte im Winter 1815–1816 an einem Bruche der Kniescheibe lange krank gelegen, wurde aber vollkommen hergestellt.
Der Landsturm von Berlin wurde indessen immer fester organisirt, wobei es an ernsten und spashaften Vorfällen nicht mangelte. Den älteren Leuten hatte schon die Idee des ganzen Volkes in Waffen nicht in den Kopf gewollt, unleidlich schien es ihnen, daß sie nun selbst an der Bewaffnung Theil nehmen sollten. Nach ihrer Vorstellung waren die gemeinen Soldaten eine Heerde hergelaufenen Gesindels, allenfalls eine nützliche Korrektionsanstalt für ganz verwahrloste Subjekte, der kein anständiger Mann angehören könne. Es war ja noch gar nicht lange her, daß die barbarische Strafe der Spiesruthen von Friedrich Wilhelm II. abgeschafft wurde; die entehrenden Stockprügel hat erst Friedrich Wilhelm III. auf die Zuchthäuser beschränkt. Man setzte an deren Stelle das Lattengefängniß, an das man jetzt kaum ohne Entsetzen denken kann. Der Delinquent ward in eine enge dunkle Kammer gesperrt, deren Fußboden und Wände mit dicht bei einander stehenden dreikantigen Latten besetzt waren. Er konnte also nur auf einer Säge sitzen, stehn oder liegen. Diese Strafe gab den Torturinstrumenten des Mittelalters nichts nach. Sie war so empfindlich, daß dem Gefangenen nach zwei Tagen Latten immer ein dritter Tag in einer gewöhnlichen Stube gewährt werden mußte; 6 Wochen Latten waren gleichbedeutend mit Todesstrafe. Desertion ward auch im Frieden unnachsichtlich mit Erschießen bestraft.
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