Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Die Erhebung Preußens war um so gewagter, als man damals des Beitrittes von Oestreich noch gar nicht gewiß war. Daß Oestreich sich mit Napoleon vereinigen werde, um Preußen zu erdrücken - eine solche Schmach konnte Niemand der kaiserlichen Regierung in Wien zutrauen. Man fürchtete nur, Oestreich werde dieselbe leidige Politik des Zuwartens befolgen, die schon früher Deutschland in's Elend gebracht. So wie im Jahre 1805 Preußen ruhig zusah, als Napoleon die Oestreicher niederwarf, so ließen diese im Jahre 1806 die Preußen niederwerfen, und als im Jahre 1809 noch einmal die Reihe des Besiegtwerdens an Oestreich kam, konnte Preußen nicht einmal den Versuch machen, ihm beizustehn. Es gab sogar in Preußen niedrige Seelen, die Oestreichs wiederholte Demüthigung mit Schadenfreude betrachteten; ich erinnre mich, daß im Jahre 1809 in einer Berliner Zeitung der Ausdruck gebraucht wurde: Wer zuletzt lacht, lacht am besten! In solchen Aeußerungen zeigte es sich am deutlichsten, daß der lockere Verband des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" niemals im Stande gewesen war, ein gemeinsames deutsches Nationalgefühl zu erwecken.

Noch kühner wurde die Erhebung Preußens durch den Umstand, daß im Anfange des Jahres 1813 fast alle preußischen Festungen in französischen Händen waren. Man hat es dem Kaiser Napoleon oft als einen Fehler angerechnet, daß er nicht alle Besatzungen aus den Festungen zurückgezogen, und als ein ansehnliches Heer in oder bei Berlin gesammelt habe, doch wurde dagegen angeführt, daß die zähe Behauptung der Festungen Preußen nöthigte, auf deren Eroberung einen bedeutenden Theil seiner Macht zu verwenden. Zu diesem Dienste eignete sich, nach

Die Erhebung Preußens war um so gewagter, als man damals des Beitrittes von Oestreich noch gar nicht gewiß war. Daß Oestreich sich mit Napoléon vereinigen werde, um Preußen zu erdrücken – eine solche Schmach konnte Niemand der kaiserlichen Regierung in Wien zutrauen. Man fürchtete nur, Oestreich werde dieselbe leidige Politik des Zuwartens befolgen, die schon früher Deutschland in’s Elend gebracht. So wie im Jahre 1805 Preußen ruhig zusah, als Napoléon die Oestreicher niederwarf, so ließen diese im Jahre 1806 die Preußen niederwerfen, und als im Jahre 1809 noch einmal die Reihe des Besiegtwerdens an Oestreich kam, konnte Preußen nicht einmal den Versuch machen, ihm beizustehn. Es gab sogar in Preußen niedrige Seelen, die Oestreichs wiederholte Demüthigung mit Schadenfreude betrachteten; ich erinnre mich, daß im Jahre 1809 in einer Berliner Zeitung der Ausdruck gebraucht wurde: Wer zuletzt lacht, lacht am besten! In solchen Aeußerungen zeigte es sich am deutlichsten, daß der lockere Verband des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ niemals im Stande gewesen war, ein gemeinsames deutsches Nationalgefühl zu erwecken.

Noch kühner wurde die Erhebung Preußens durch den Umstand, daß im Anfange des Jahres 1813 fast alle preußischen Festungen in französischen Händen waren. Man hat es dem Kaiser Napoléon oft als einen Fehler angerechnet, daß er nicht alle Besatzungen aus den Festungen zurückgezogen, und als ein ansehnliches Heer in oder bei Berlin gesammelt habe, doch wurde dagegen angeführt, daß die zähe Behauptung der Festungen Preußen nöthigte, auf deren Eroberung einen bedeutenden Theil seiner Macht zu verwenden. Zu diesem Dienste eignete sich, nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p>
            <pb facs="#f0360" n="348"/>
          </p><lb/>
          <p>Die Erhebung Preußens war um so gewagter, als man damals des Beitrittes von Oestreich noch gar nicht gewiß war. Daß Oestreich sich mit Napoléon vereinigen werde, um Preußen zu erdrücken &#x2013; eine solche Schmach konnte Niemand der kaiserlichen Regierung in Wien zutrauen. Man fürchtete nur, Oestreich werde dieselbe leidige Politik des Zuwartens befolgen, die schon früher Deutschland in&#x2019;s Elend gebracht. So wie im Jahre 1805 Preußen ruhig zusah, als Napoléon die Oestreicher niederwarf, so ließen diese im Jahre 1806 die Preußen niederwerfen, und als im Jahre 1809 noch einmal die Reihe des Besiegtwerdens an Oestreich kam, konnte Preußen nicht einmal den Versuch machen, ihm beizustehn. Es gab sogar in Preußen niedrige Seelen, die Oestreichs wiederholte Demüthigung mit Schadenfreude betrachteten; ich erinnre mich, daß im Jahre 1809 in einer Berliner Zeitung der Ausdruck gebraucht wurde: Wer zuletzt lacht, lacht am besten! In solchen Aeußerungen zeigte es sich am deutlichsten, daß der lockere Verband des &#x201E;Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation&#x201C; niemals im Stande gewesen war, ein gemeinsames deutsches Nationalgefühl zu erwecken. </p><lb/>
          <p>Noch kühner wurde die Erhebung Preußens durch den Umstand, daß im Anfange des Jahres 1813 fast alle preußischen Festungen in französischen Händen waren. Man hat es dem Kaiser Napoléon oft als einen Fehler angerechnet, daß er nicht alle Besatzungen aus den Festungen zurückgezogen, und als ein ansehnliches Heer in oder bei Berlin gesammelt habe, doch wurde dagegen angeführt, daß die zähe Behauptung der Festungen Preußen nöthigte, auf deren Eroberung einen bedeutenden Theil seiner Macht zu verwenden. Zu diesem Dienste eignete sich, nach
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0360] Die Erhebung Preußens war um so gewagter, als man damals des Beitrittes von Oestreich noch gar nicht gewiß war. Daß Oestreich sich mit Napoléon vereinigen werde, um Preußen zu erdrücken – eine solche Schmach konnte Niemand der kaiserlichen Regierung in Wien zutrauen. Man fürchtete nur, Oestreich werde dieselbe leidige Politik des Zuwartens befolgen, die schon früher Deutschland in’s Elend gebracht. So wie im Jahre 1805 Preußen ruhig zusah, als Napoléon die Oestreicher niederwarf, so ließen diese im Jahre 1806 die Preußen niederwerfen, und als im Jahre 1809 noch einmal die Reihe des Besiegtwerdens an Oestreich kam, konnte Preußen nicht einmal den Versuch machen, ihm beizustehn. Es gab sogar in Preußen niedrige Seelen, die Oestreichs wiederholte Demüthigung mit Schadenfreude betrachteten; ich erinnre mich, daß im Jahre 1809 in einer Berliner Zeitung der Ausdruck gebraucht wurde: Wer zuletzt lacht, lacht am besten! In solchen Aeußerungen zeigte es sich am deutlichsten, daß der lockere Verband des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ niemals im Stande gewesen war, ein gemeinsames deutsches Nationalgefühl zu erwecken. Noch kühner wurde die Erhebung Preußens durch den Umstand, daß im Anfange des Jahres 1813 fast alle preußischen Festungen in französischen Händen waren. Man hat es dem Kaiser Napoléon oft als einen Fehler angerechnet, daß er nicht alle Besatzungen aus den Festungen zurückgezogen, und als ein ansehnliches Heer in oder bei Berlin gesammelt habe, doch wurde dagegen angeführt, daß die zähe Behauptung der Festungen Preußen nöthigte, auf deren Eroberung einen bedeutenden Theil seiner Macht zu verwenden. Zu diesem Dienste eignete sich, nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/360
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/360>, abgerufen am 17.07.2024.