Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].ordentlicher Enthusiasmus entgegen gekommen sei. Für die ältere Generation lag eine Vergleichung mit Friedrich II. gar zu nahe, und das jüngere Geschlecht schien fest entschlossen, nöthigen Falles auch ohne den König eine Erhebung gegen das französische Joch zu versuchen. Hatten wir bisher die französische Einquartirung mit derjenigen Rücksicht behandelt, die unter gebildeten Nationen bei keinem Verhältniß fehlen darf, so wurden nun die Russen und Preußen als wahre Freunde aufgenommen. Zuerst erhielten wir einen russischen Obersten Buchardin, und es verstand sich von selbst, daß auch er zur sonntäglichen Familientafel eingeladen wurde. Die baumlange, kräftige Gestalt in der reichen, goldgestickten Uniform erregte eine freudige Verwunderung, und der gutmüthige Ausdruck des wettergebräunten, erdfahlen Gesichtes mit den hohen Backenknochen erweckte Zutrauen. Wir hielten ihn für einen ächten Russen, aber er erzählte uns in sehr geläufigem französisch, daß er deutscher Abkunft, und daß Buchardin nur die russische Uebersetzung seines deutschen Namens Baumgarten sei. Den Hauptinhalt des Gespräches bildete natürlicher Weise der Rückzug des französischen Heeres, und der Antheil, den Buchardin an den verschiedenen Gefechten genommen. Er räumte ein, daß der Rückzug von Napoleon in sehr verständiger Weise angeordnet gewesen sei. Die Langsamkeit des russischen Nachrückens entschuldigte er damit, daß man jeden Tag habe gewärtig sein müssen, Napoleon werde sich wieder setzen und eine Schlacht anbieten, bis man denn endlich wohl gesehn habe, daß die grimmige Kälte alle Ordnung und Zucht aufgelöst. Aber nicht nur die fliehenden Franzosen, auch die verfolgenden Russen litten von der unge- ordentlicher Enthusiasmus entgegen gekommen sei. Für die ältere Generation lag eine Vergleichung mit Friedrich II. gar zu nahe, und das jüngere Geschlecht schien fest entschlossen, nöthigen Falles auch ohne den König eine Erhebung gegen das französische Joch zu versuchen. Hatten wir bisher die französische Einquartirung mit derjenigen Rücksicht behandelt, die unter gebildeten Nationen bei keinem Verhältniß fehlen darf, so wurden nun die Russen und Preußen als wahre Freunde aufgenommen. Zuerst erhielten wir einen russischen Obersten Buchardin, und es verstand sich von selbst, daß auch er zur sonntäglichen Familientafel eingeladen wurde. Die baumlange, kräftige Gestalt in der reichen, goldgestickten Uniform erregte eine freudige Verwunderung, und der gutmüthige Ausdruck des wettergebräunten, erdfahlen Gesichtes mit den hohen Backenknochen erweckte Zutrauen. Wir hielten ihn für einen ächten Russen, aber er erzählte uns in sehr geläufigem französisch, daß er deutscher Abkunft, und daß Buchardin nur die russische Uebersetzung seines deutschen Namens Baumgarten sei. Den Hauptinhalt des Gespräches bildete natürlicher Weise der Rückzug des französischen Heeres, und der Antheil, den Buchardin an den verschiedenen Gefechten genommen. Er räumte ein, daß der Rückzug von Napoléon in sehr verständiger Weise angeordnet gewesen sei. Die Langsamkeit des russischen Nachrückens entschuldigte er damit, daß man jeden Tag habe gewärtig sein müssen, Napoléon werde sich wieder setzen und eine Schlacht anbieten, bis man denn endlich wohl gesehn habe, daß die grimmige Kälte alle Ordnung und Zucht aufgelöst. Aber nicht nur die fliehenden Franzosen, auch die verfolgenden Russen litten von der unge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0354" n="342"/> ordentlicher Enthusiasmus entgegen gekommen sei. 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Wir hielten ihn für einen ächten Russen, aber er erzählte uns in sehr geläufigem französisch, daß er deutscher Abkunft, und daß Buchardin nur die russische Uebersetzung seines deutschen Namens Baumgarten sei. Den Hauptinhalt des Gespräches bildete natürlicher Weise der Rückzug des französischen Heeres, und der Antheil, den Buchardin an den verschiedenen Gefechten genommen. Er räumte ein, daß der Rückzug von Napoléon in sehr verständiger Weise angeordnet gewesen sei. Die Langsamkeit des russischen Nachrückens entschuldigte er damit, daß man jeden Tag habe gewärtig sein müssen, Napoléon werde sich wieder setzen und eine Schlacht anbieten, bis man denn endlich wohl gesehn habe, daß die grimmige Kälte alle Ordnung und Zucht aufgelöst. Aber nicht nur die fliehenden Franzosen, auch die verfolgenden Russen litten von der unge- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [342/0354]
ordentlicher Enthusiasmus entgegen gekommen sei. Für die ältere Generation lag eine Vergleichung mit Friedrich II. gar zu nahe, und das jüngere Geschlecht schien fest entschlossen, nöthigen Falles auch ohne den König eine Erhebung gegen das französische Joch zu versuchen.
Hatten wir bisher die französische Einquartirung mit derjenigen Rücksicht behandelt, die unter gebildeten Nationen bei keinem Verhältniß fehlen darf, so wurden nun die Russen und Preußen als wahre Freunde aufgenommen. Zuerst erhielten wir einen russischen Obersten Buchardin, und es verstand sich von selbst, daß auch er zur sonntäglichen Familientafel eingeladen wurde. Die baumlange, kräftige Gestalt in der reichen, goldgestickten Uniform erregte eine freudige Verwunderung, und der gutmüthige Ausdruck des wettergebräunten, erdfahlen Gesichtes mit den hohen Backenknochen erweckte Zutrauen. Wir hielten ihn für einen ächten Russen, aber er erzählte uns in sehr geläufigem französisch, daß er deutscher Abkunft, und daß Buchardin nur die russische Uebersetzung seines deutschen Namens Baumgarten sei. Den Hauptinhalt des Gespräches bildete natürlicher Weise der Rückzug des französischen Heeres, und der Antheil, den Buchardin an den verschiedenen Gefechten genommen. Er räumte ein, daß der Rückzug von Napoléon in sehr verständiger Weise angeordnet gewesen sei. Die Langsamkeit des russischen Nachrückens entschuldigte er damit, daß man jeden Tag habe gewärtig sein müssen, Napoléon werde sich wieder setzen und eine Schlacht anbieten, bis man denn endlich wohl gesehn habe, daß die grimmige Kälte alle Ordnung und Zucht aufgelöst. Aber nicht nur die fliehenden Franzosen, auch die verfolgenden Russen litten von der unge-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/354>, abgerufen am 16.02.2025. |