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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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zurückkehrte, sah Napoleon wohl, daß nun ein Entschluß gefaßt werden müsse, und er entschloß sich zum Rückzuge, ein Wort, das er seit der Belagerung von St. Jean d'Acre aus seinem Wörterbuche gestrichen. Es erschien das berühmte 29. Bulletin, in welchem nach einigen pomphaften Redensarten gesagt wurde, daß die große Armee der besseren Verpflegung halber ihre Winterquartiere mehr nach der Gränze zurückverlegen werde.

Vorher hatte der Kaiser noch einen Versuch gemacht, südlich von Moskau sich Bahn zu brechen, um durch mehr bevölkerte und fruchtbare Landstriche heimzukehren, allein die Schlacht von Malo-Jaroslawez (24. Oktober 1812) hatte ihm gezeigt, daß die Russen diesem Unternehmen den äußersten Widerstand entgegensetzten. So blieb ihm denn nur der Rückzug durch die bereits ausgesogenen und doppelt unwirthbaren Gegenden des Hinweges. Beim Abschiede von Moskau ward der Kreml zum Theil in die Luft gesprengt, ein Akt kleinlicher und unnützer Rache.

Der Rückzug wurde, wie sich dies nicht anders erwarten ließ, mit großer Ueberlegung und berechnender Sorgfalt eingerichtet. Die französische Armee war in drei Theile getheilt, die sich in Zwischenräumen von mindestens einem Tagemarsche folgen sollten. Dadurch wurde eine zu große Anhäufung der Truppen vermieden, und es blieb die Möglichkeit, dem heranrückenden Feinde schnell die Spitze zu bieten. Die russische Armee ließ sich anfangs gar nicht sehn, und folgte dann dem Feinde mit zögernder Vorsicht. Als man nach dem Kriege die verschiedenen Berichte mit einander vergleichen konnte, da behaupteten die Strategiker mit vieler Sicherheit, daß bei einem energischen Nachdringen und bei raschen Seitenangriffen der

zurückkehrte, sah Napoléon wohl, daß nun ein Entschluß gefaßt werden müsse, und er entschloß sich zum Rückzuge, ein Wort, das er seit der Belagerung von St. Jean d’Acre aus seinem Wörterbuche gestrichen. Es erschien das berühmte 29. Bulletin, in welchem nach einigen pomphaften Redensarten gesagt wurde, daß die große Armee der besseren Verpflegung halber ihre Winterquartiere mehr nach der Gränze zurückverlegen werde.

Vorher hatte der Kaiser noch einen Versuch gemacht, südlich von Moskau sich Bahn zu brechen, um durch mehr bevölkerte und fruchtbare Landstriche heimzukehren, allein die Schlacht von Malo-Jaroslawez (24. Oktober 1812) hatte ihm gezeigt, daß die Russen diesem Unternehmen den äußersten Widerstand entgegensetzten. So blieb ihm denn nur der Rückzug durch die bereits ausgesogenen und doppelt unwirthbaren Gegenden des Hinweges. Beim Abschiede von Moskau ward der Kreml zum Theil in die Luft gesprengt, ein Akt kleinlicher und unnützer Rache.

Der Rückzug wurde, wie sich dies nicht anders erwarten ließ, mit großer Ueberlegung und berechnender Sorgfalt eingerichtet. Die französische Armee war in drei Theile getheilt, die sich in Zwischenräumen von mindestens einem Tagemarsche folgen sollten. Dadurch wurde eine zu große Anhäufung der Truppen vermieden, und es blieb die Möglichkeit, dem heranrückenden Feinde schnell die Spitze zu bieten. Die russische Armee ließ sich anfangs gar nicht sehn, und folgte dann dem Feinde mit zögernder Vorsicht. Als man nach dem Kriege die verschiedenen Berichte mit einander vergleichen konnte, da behaupteten die Strategiker mit vieler Sicherheit, daß bei einem energischen Nachdringen und bei raschen Seitenangriffen der

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[328/0340] zurückkehrte, sah Napoléon wohl, daß nun ein Entschluß gefaßt werden müsse, und er entschloß sich zum Rückzuge, ein Wort, das er seit der Belagerung von St. Jean d’Acre aus seinem Wörterbuche gestrichen. Es erschien das berühmte 29. Bulletin, in welchem nach einigen pomphaften Redensarten gesagt wurde, daß die große Armee der besseren Verpflegung halber ihre Winterquartiere mehr nach der Gränze zurückverlegen werde. Vorher hatte der Kaiser noch einen Versuch gemacht, südlich von Moskau sich Bahn zu brechen, um durch mehr bevölkerte und fruchtbare Landstriche heimzukehren, allein die Schlacht von Malo-Jaroslawez (24. Oktober 1812) hatte ihm gezeigt, daß die Russen diesem Unternehmen den äußersten Widerstand entgegensetzten. So blieb ihm denn nur der Rückzug durch die bereits ausgesogenen und doppelt unwirthbaren Gegenden des Hinweges. Beim Abschiede von Moskau ward der Kreml zum Theil in die Luft gesprengt, ein Akt kleinlicher und unnützer Rache. Der Rückzug wurde, wie sich dies nicht anders erwarten ließ, mit großer Ueberlegung und berechnender Sorgfalt eingerichtet. Die französische Armee war in drei Theile getheilt, die sich in Zwischenräumen von mindestens einem Tagemarsche folgen sollten. Dadurch wurde eine zu große Anhäufung der Truppen vermieden, und es blieb die Möglichkeit, dem heranrückenden Feinde schnell die Spitze zu bieten. Die russische Armee ließ sich anfangs gar nicht sehn, und folgte dann dem Feinde mit zögernder Vorsicht. Als man nach dem Kriege die verschiedenen Berichte mit einander vergleichen konnte, da behaupteten die Strategiker mit vieler Sicherheit, daß bei einem energischen Nachdringen und bei raschen Seitenangriffen der

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/340>, abgerufen am 22.11.2024.