Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].ohne einen Feind zu treffen. Von den Einwohnern Erkundigungen einzuziehn, war unmöglich, weil es eben an Einwohnern fehlte, jedoch stimmten die spärlich erlangten Nachrichten darin überein, daß das russische Heer die starke Festung Smolensk besetzt halte und vertheidigen werde. Hier kam es zu der ersten blutigen Schlacht, die von den Russen in der günstigsten, von den Franzosen in der ungünstigsten Stellung angenommen ward. Doch wer hätte dem Meister der Schlachten widerstehn können? Er sollte in diesem Kriege nicht durch Menschen, sondern durch die Elemente besiegt werden. Bei Valutina wäre es dem Kaiser beinahe gelungen, das russische Heer auseinander zu sprengen, die eine Hälfte nach Süden, die andre nach Norden zu werfen: dann war Aussicht vorhanden, einen vortheilhaften Frieden zu erzwingen, doch die ungemeine Weite des Schlachtfeldes vereitelte die Ausführung dieses Planes. Nach diesen beiden glücklichen Schlachten zog das französische Heer unaufhaltsam vorwärts gegen Osten, und es mußte nun wohl den Russen klar werden, daß es nicht auf die Einnahme von Petersburg, sondern von Moskau abgesehn sei. Die alte Residenz des Reiches, die glorreiche Czarenstadt, die seit Jahrhunderten keinen auswärtigen Feind in ihren Mauern gesehn, konnte nicht ohne Schwertstreich den Fremdlingen überlassen werden. Dies würde den russischen Nationalstolz zu sehr verletzt haben. Es ward also beschlossen, noch eine Schlacht zu wagen, und der russische Feldherr Kutusow konnte sich die beste Stellung dazu aussuchen. Als Napoleon durch vorausgeschickte Plänkler in Erfahrung brachte, daß die Russen in der Nähe von Borodino den Boden umwühlten, um ihren ohne einen Feind zu treffen. Von den Einwohnern Erkundigungen einzuziehn, war unmöglich, weil es eben an Einwohnern fehlte, jedoch stimmten die spärlich erlangten Nachrichten darin überein, daß das russische Heer die starke Festung Smolensk besetzt halte und vertheidigen werde. Hier kam es zu der ersten blutigen Schlacht, die von den Russen in der günstigsten, von den Franzosen in der ungünstigsten Stellung angenommen ward. Doch wer hätte dem Meister der Schlachten widerstehn können? Er sollte in diesem Kriege nicht durch Menschen, sondern durch die Elemente besiegt werden. Bei Valutina wäre es dem Kaiser beinahe gelungen, das russische Heer auseinander zu sprengen, die eine Hälfte nach Süden, die andre nach Norden zu werfen: dann war Aussicht vorhanden, einen vortheilhaften Frieden zu erzwingen, doch die ungemeine Weite des Schlachtfeldes vereitelte die Ausführung dieses Planes. Nach diesen beiden glücklichen Schlachten zog das französische Heer unaufhaltsam vorwärts gegen Osten, und es mußte nun wohl den Russen klar werden, daß es nicht auf die Einnahme von Petersburg, sondern von Moskau abgesehn sei. Die alte Residenz des Reiches, die glorreiche Czarenstadt, die seit Jahrhunderten keinen auswärtigen Feind in ihren Mauern gesehn, konnte nicht ohne Schwertstreich den Fremdlingen überlassen werden. Dies würde den russischen Nationalstolz zu sehr verletzt haben. Es ward also beschlossen, noch eine Schlacht zu wagen, und der russische Feldherr Kutusow konnte sich die beste Stellung dazu aussuchen. Als Napoléon durch vorausgeschickte Plänkler in Erfahrung brachte, daß die Russen in der Nähe von Borodino den Boden umwühlten, um ihren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0336" n="324"/> ohne einen Feind zu treffen. 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Es ward also beschlossen, noch eine Schlacht zu wagen, und der russische Feldherr Kutusow konnte sich die beste Stellung dazu aussuchen. Als Napoléon durch vorausgeschickte Plänkler in Erfahrung brachte, daß die Russen in der Nähe von Borodino den Boden umwühlten, um ihren </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [324/0336]
ohne einen Feind zu treffen. Von den Einwohnern Erkundigungen einzuziehn, war unmöglich, weil es eben an Einwohnern fehlte, jedoch stimmten die spärlich erlangten Nachrichten darin überein, daß das russische Heer die starke Festung Smolensk besetzt halte und vertheidigen werde. Hier kam es zu der ersten blutigen Schlacht, die von den Russen in der günstigsten, von den Franzosen in der ungünstigsten Stellung angenommen ward. Doch wer hätte dem Meister der Schlachten widerstehn können? Er sollte in diesem Kriege nicht durch Menschen, sondern durch die Elemente besiegt werden.
Bei Valutina wäre es dem Kaiser beinahe gelungen, das russische Heer auseinander zu sprengen, die eine Hälfte nach Süden, die andre nach Norden zu werfen: dann war Aussicht vorhanden, einen vortheilhaften Frieden zu erzwingen, doch die ungemeine Weite des Schlachtfeldes vereitelte die Ausführung dieses Planes.
Nach diesen beiden glücklichen Schlachten zog das französische Heer unaufhaltsam vorwärts gegen Osten, und es mußte nun wohl den Russen klar werden, daß es nicht auf die Einnahme von Petersburg, sondern von Moskau abgesehn sei. Die alte Residenz des Reiches, die glorreiche Czarenstadt, die seit Jahrhunderten keinen auswärtigen Feind in ihren Mauern gesehn, konnte nicht ohne Schwertstreich den Fremdlingen überlassen werden. Dies würde den russischen Nationalstolz zu sehr verletzt haben. Es ward also beschlossen, noch eine Schlacht zu wagen, und der russische Feldherr Kutusow konnte sich die beste Stellung dazu aussuchen. Als Napoléon durch vorausgeschickte Plänkler in Erfahrung brachte, daß die Russen in der Nähe von Borodino den Boden umwühlten, um ihren
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