Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Später habe ich den hohen Werth der Graffschen Bildnisse kennen gelernt, von denen mehrere sich in unserer Familie befinden: Grosvater Nicolai zweimal, als junger ungefähr dreißigjähriger Mann und als Sechziger; Grosmama Nicolai als junge Frau; das lebensgroße Kniestück von Frau von der Recke, dessen Entstehung ich schon angegeben; ein Eigenbildniß von Graff voll Geist und Leben. Diese fünf sind in meinem Besitze. Mein Bruder Moritz erhielt aus dem Nachlasse meines Vaters mehrere schöne Bildnisse aus der Familie des Grafen von Medem, ein Bildniß des Kapellmeisters Naumann, ein Brustbild meines Vaters, und vier kleine Landschaften aus der Umgegend von Dresden: Morgen, Mittag, Abend und Nacht darstellend. Sie sind ein Geschenk des Künstlers an meinen Vater, und mögen wohl die einzigen von Graff gefertigten Landschaften sein. Die Ausführung ist eben so naturwahr und ansprechend, als die seiner Bildnisse. Er äußerte darüber zu meinem Vater, daß er vorher niemals Landschaften gemalt, und sich bei einem Sommeraufenthalte in Loschwitz gelangweilt; da habe er gedacht, wer einen stets sich verändernden Kopf treffen könne, der werde auch eine stillstehende Landschaft treffen. Beim Abschiede von Dresden mußte ich der Tante Keiner versprechen, ihr von Berlin aus zu schreiben, und zu Hause munterte mein Vater mich auf, dies in Versen zu thun. Nun hatte Paul gerade in unsrer Bibliothek die Jobsiade von Kortüm entdeckt, und diese wurde von uns mit höchstem Ergötzen gelesen. Ich verfaßte also an die Tante einen Brief im Jobsischen Versmaaße, der die einfachen Begebenheiten der Rückreise launig darzustellen versuchte. Es dauerte gar nicht lange, so kam eine Ant- Später habe ich den hohen Werth der Graffschen Bildnisse kennen gelernt, von denen mehrere sich in unserer Familie befinden: Grosvater Nicolai zweimal, als junger ungefähr dreißigjähriger Mann und als Sechziger; Grosmama Nicolai als junge Frau; das lebensgroße Kniestück von Frau von der Recke, dessen Entstehung ich schon angegeben; ein Eigenbildniß von Graff voll Geist und Leben. Diese fünf sind in meinem Besitze. Mein Bruder Moritz erhielt aus dem Nachlasse meines Vaters mehrere schöne Bildnisse aus der Familie des Grafen von Medem, ein Bildniß des Kapellmeisters Naumann, ein Brustbild meines Vaters, und vier kleine Landschaften aus der Umgegend von Dresden: Morgen, Mittag, Abend und Nacht darstellend. Sie sind ein Geschenk des Künstlers an meinen Vater, und mögen wohl die einzigen von Graff gefertigten Landschaften sein. Die Ausführung ist eben so naturwahr und ansprechend, als die seiner Bildnisse. Er äußerte darüber zu meinem Vater, daß er vorher niemals Landschaften gemalt, und sich bei einem Sommeraufenthalte in Loschwitz gelangweilt; da habe er gedacht, wer einen stets sich verändernden Kopf treffen könne, der werde auch eine stillstehende Landschaft treffen. Beim Abschiede von Dresden mußte ich der Tante Keiner versprechen, ihr von Berlin aus zu schreiben, und zu Hause munterte mein Vater mich auf, dies in Versen zu thun. Nun hatte Paul gerade in unsrer Bibliothek die Jobsiade von Kortüm entdeckt, und diese wurde von uns mit höchstem Ergötzen gelesen. Ich verfaßte also an die Tante einen Brief im Jobsischen Versmaaße, der die einfachen Begebenheiten der Rückreise launig darzustellen versuchte. Es dauerte gar nicht lange, so kam eine Ant- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0317" n="305"/> </p><lb/> <p>Später habe ich den hohen Werth der Graffschen Bildnisse kennen gelernt, von denen mehrere sich in unserer Familie befinden: Grosvater Nicolai zweimal, als junger ungefähr dreißigjähriger Mann und als Sechziger; Grosmama Nicolai als junge Frau; das lebensgroße Kniestück von Frau von der Recke, dessen Entstehung ich schon angegeben; ein Eigenbildniß von Graff voll Geist und Leben. Diese fünf sind in meinem Besitze. Mein Bruder Moritz erhielt aus dem Nachlasse meines Vaters mehrere schöne Bildnisse aus der Familie des Grafen von Medem, ein Bildniß des Kapellmeisters Naumann, ein Brustbild meines Vaters, und vier kleine Landschaften aus der Umgegend von Dresden: Morgen, Mittag, Abend und Nacht darstellend. Sie sind ein Geschenk des Künstlers an meinen Vater, und mögen wohl die einzigen von Graff gefertigten Landschaften sein. Die Ausführung ist eben so naturwahr und ansprechend, als die seiner Bildnisse. Er äußerte darüber zu meinem Vater, daß er vorher niemals Landschaften gemalt, und sich bei einem Sommeraufenthalte in Loschwitz gelangweilt; da habe er gedacht, wer einen stets sich verändernden Kopf treffen könne, der werde auch eine stillstehende Landschaft treffen. </p><lb/> <p>Beim Abschiede von Dresden mußte ich der Tante Keiner versprechen, ihr von Berlin aus zu schreiben, und zu Hause munterte mein Vater mich auf, dies in Versen zu thun. Nun hatte Paul gerade in unsrer Bibliothek die Jobsiade von Kortüm entdeckt, und diese wurde von uns mit höchstem Ergötzen gelesen. Ich verfaßte also an die Tante einen Brief im Jobsischen Versmaaße, der die einfachen Begebenheiten der Rückreise launig darzustellen versuchte. Es dauerte gar nicht lange, so kam eine Ant- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [305/0317]
Später habe ich den hohen Werth der Graffschen Bildnisse kennen gelernt, von denen mehrere sich in unserer Familie befinden: Grosvater Nicolai zweimal, als junger ungefähr dreißigjähriger Mann und als Sechziger; Grosmama Nicolai als junge Frau; das lebensgroße Kniestück von Frau von der Recke, dessen Entstehung ich schon angegeben; ein Eigenbildniß von Graff voll Geist und Leben. Diese fünf sind in meinem Besitze. Mein Bruder Moritz erhielt aus dem Nachlasse meines Vaters mehrere schöne Bildnisse aus der Familie des Grafen von Medem, ein Bildniß des Kapellmeisters Naumann, ein Brustbild meines Vaters, und vier kleine Landschaften aus der Umgegend von Dresden: Morgen, Mittag, Abend und Nacht darstellend. Sie sind ein Geschenk des Künstlers an meinen Vater, und mögen wohl die einzigen von Graff gefertigten Landschaften sein. Die Ausführung ist eben so naturwahr und ansprechend, als die seiner Bildnisse. Er äußerte darüber zu meinem Vater, daß er vorher niemals Landschaften gemalt, und sich bei einem Sommeraufenthalte in Loschwitz gelangweilt; da habe er gedacht, wer einen stets sich verändernden Kopf treffen könne, der werde auch eine stillstehende Landschaft treffen.
Beim Abschiede von Dresden mußte ich der Tante Keiner versprechen, ihr von Berlin aus zu schreiben, und zu Hause munterte mein Vater mich auf, dies in Versen zu thun. Nun hatte Paul gerade in unsrer Bibliothek die Jobsiade von Kortüm entdeckt, und diese wurde von uns mit höchstem Ergötzen gelesen. Ich verfaßte also an die Tante einen Brief im Jobsischen Versmaaße, der die einfachen Begebenheiten der Rückreise launig darzustellen versuchte. Es dauerte gar nicht lange, so kam eine Ant-
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