Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Mein Vater hatte mehrere Jahre (von 1780-1784) in Dresden privatisirt, und besonders mit den Musikern verkehrt. Sein vortreffliches Flötenspiel fand so allgemeinen Beifall, daß er damals mit dem Gedanken umging, sich als Flötenvirtuos ganz der Musik zu widmen. Seitdem waren 30 Jahre verflossen; der Kreis seiner Bekannten hatte sich wohl verkleinert, aber nicht aufgelöst. Die kurfürstliche (jetzt königliche) Kapelle genoß noch immer eines großen Rufes. Mein Vater zählte den Kapellmeister Morlacchi, den ersten Geiger Polledro und andre Kammermusiker zu seinen Freunden. Es gab im Jahre 1812 in Dresden auch noch eine italiänische Oper, wir konnten aber wegen der Sommerferien keine Vorstellung hören. Vetter Christian, ein eifriger Musikfreund, gab uns im Vertrauen zu verstehn, daß wir daran nicht viel verlören. Die Oper sei mit dem alten Könige Friedrich August auch alt geworden, und an eine Heranziehung junger Kräfte sei in den jetzigen bedrängten Zeiten nicht zu denken. Die Primadonna, Signora Sandrini, von Natur mit einem lahmen Beine behaftet, singe nun schon seit 26 Jahren die ersten Rollen, der Tenor habe zwar eine gute Schule, aber keine Stimme, der Baß keine Zähne mehr; neue Opern würden fast gar nicht einstudirt, sondern alles gehe in dem alten Schlendrian fort. Die Mitglieder der Bühne und der Kapelle wohnten zu jener Zeit gröstentheils in dem sogenannten italiänischen Dörfchen, einer Reihe kleiner freundlicher, von hohen Linden beschatteter Häuser, deren Anblick das sommerliche Gefühl der höchsten Behaglichkeit erweckte. Gleich am ersten Sonntage führte mein Vater uns in die wegen ihrer Akustik berühmte katholische Kirche, um Mein Vater hatte mehrere Jahre (von 1780–1784) in Dresden privatisirt, und besonders mit den Musikern verkehrt. Sein vortreffliches Flötenspiel fand so allgemeinen Beifall, daß er damals mit dem Gedanken umging, sich als Flötenvirtuos ganz der Musik zu widmen. Seitdem waren 30 Jahre verflossen; der Kreis seiner Bekannten hatte sich wohl verkleinert, aber nicht aufgelöst. Die kurfürstliche (jetzt königliche) Kapelle genoß noch immer eines großen Rufes. Mein Vater zählte den Kapellmeister Morlacchi, den ersten Geiger Polledro und andre Kammermusiker zu seinen Freunden. Es gab im Jahre 1812 in Dresden auch noch eine italiänische Oper, wir konnten aber wegen der Sommerferien keine Vorstellung hören. Vetter Christian, ein eifriger Musikfreund, gab uns im Vertrauen zu verstehn, daß wir daran nicht viel verlören. Die Oper sei mit dem alten Könige Friedrich August auch alt geworden, und an eine Heranziehung junger Kräfte sei in den jetzigen bedrängten Zeiten nicht zu denken. Die Primadonna, Signora Sandrini, von Natur mit einem lahmen Beine behaftet, singe nun schon seit 26 Jahren die ersten Rollen, der Tenor habe zwar eine gute Schule, aber keine Stimme, der Baß keine Zähne mehr; neue Opern würden fast gar nicht einstudirt, sondern alles gehe in dem alten Schlendrian fort. Die Mitglieder der Bühne und der Kapelle wohnten zu jener Zeit gröstentheils in dem sogenannten italiänischen Dörfchen, einer Reihe kleiner freundlicher, von hohen Linden beschatteter Häuser, deren Anblick das sommerliche Gefühl der höchsten Behaglichkeit erweckte. Gleich am ersten Sonntage führte mein Vater uns in die wegen ihrer Akustik berühmte katholische Kirche, um <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0314" n="302"/> </p><lb/> <p>Mein Vater hatte mehrere Jahre (von 1780–1784) in Dresden privatisirt, und besonders mit den Musikern verkehrt. Sein vortreffliches Flötenspiel fand so allgemeinen Beifall, daß er damals mit dem Gedanken umging, sich als Flötenvirtuos ganz der Musik zu widmen. Seitdem waren 30 Jahre verflossen; der Kreis seiner Bekannten hatte sich wohl verkleinert, aber nicht aufgelöst. Die kurfürstliche (jetzt königliche) Kapelle genoß noch immer eines großen Rufes. Mein Vater zählte den Kapellmeister Morlacchi, den ersten Geiger Polledro und andre Kammermusiker zu seinen Freunden. </p><lb/> <p>Es gab im Jahre 1812 in Dresden auch noch eine italiänische Oper, wir konnten aber wegen der Sommerferien keine Vorstellung hören. Vetter Christian, ein eifriger Musikfreund, gab uns im Vertrauen zu verstehn, daß wir daran nicht viel verlören. Die Oper sei mit dem alten Könige Friedrich August auch alt geworden, und an eine Heranziehung junger Kräfte sei in den jetzigen bedrängten Zeiten nicht zu denken. Die Primadonna, Signora Sandrini, von Natur mit einem lahmen Beine behaftet, singe nun schon seit 26 Jahren die ersten Rollen, der Tenor habe zwar eine gute Schule, aber keine Stimme, der Baß keine Zähne mehr; neue Opern würden fast gar nicht einstudirt, sondern alles gehe in dem alten Schlendrian fort. </p><lb/> <p>Die Mitglieder der Bühne und der Kapelle wohnten zu jener Zeit gröstentheils in dem sogenannten italiänischen Dörfchen, einer Reihe kleiner freundlicher, von hohen Linden beschatteter Häuser, deren Anblick das sommerliche Gefühl der höchsten Behaglichkeit erweckte. </p><lb/> <p>Gleich am ersten Sonntage führte mein Vater uns in die wegen ihrer Akustik berühmte katholische Kirche, um </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [302/0314]
Mein Vater hatte mehrere Jahre (von 1780–1784) in Dresden privatisirt, und besonders mit den Musikern verkehrt. Sein vortreffliches Flötenspiel fand so allgemeinen Beifall, daß er damals mit dem Gedanken umging, sich als Flötenvirtuos ganz der Musik zu widmen. Seitdem waren 30 Jahre verflossen; der Kreis seiner Bekannten hatte sich wohl verkleinert, aber nicht aufgelöst. Die kurfürstliche (jetzt königliche) Kapelle genoß noch immer eines großen Rufes. Mein Vater zählte den Kapellmeister Morlacchi, den ersten Geiger Polledro und andre Kammermusiker zu seinen Freunden.
Es gab im Jahre 1812 in Dresden auch noch eine italiänische Oper, wir konnten aber wegen der Sommerferien keine Vorstellung hören. Vetter Christian, ein eifriger Musikfreund, gab uns im Vertrauen zu verstehn, daß wir daran nicht viel verlören. Die Oper sei mit dem alten Könige Friedrich August auch alt geworden, und an eine Heranziehung junger Kräfte sei in den jetzigen bedrängten Zeiten nicht zu denken. Die Primadonna, Signora Sandrini, von Natur mit einem lahmen Beine behaftet, singe nun schon seit 26 Jahren die ersten Rollen, der Tenor habe zwar eine gute Schule, aber keine Stimme, der Baß keine Zähne mehr; neue Opern würden fast gar nicht einstudirt, sondern alles gehe in dem alten Schlendrian fort.
Die Mitglieder der Bühne und der Kapelle wohnten zu jener Zeit gröstentheils in dem sogenannten italiänischen Dörfchen, einer Reihe kleiner freundlicher, von hohen Linden beschatteter Häuser, deren Anblick das sommerliche Gefühl der höchsten Behaglichkeit erweckte.
Gleich am ersten Sonntage führte mein Vater uns in die wegen ihrer Akustik berühmte katholische Kirche, um
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |