Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Umgegend ausgeführt. Schloß Nöbdenitz, in heitrer ländlicher Umgebung, erfreute durch seine wohnliche Einrichtung. Allerlei sinnreiche Wunderlichkeiten des Hausherrn erregten das Erstaunen der jugendlichen Besucher. In der Bibliothek zeigte er uns einige Leitern, die, um Raum zu ersparen, ganz in die Wand hineingeschoben wurden. An der Außenseite des Gartenhauses führte eine frei in der Luft schwebende Wendeltreppe bis zum Dache hinauf. Mit Ehrfurcht betrachteten wir eine mitten im Dorfe stehende Eiche von ungeheurem Umfange. Der Volksglaube machte sie zu einem Druidenbaume der heidnischen Germanen, und die Schätzung der Botaniker gab ihr ein Alter von 2000 Jahren. In der Höhlung des Stammes konnten 10-12 Menschen neben einander stehn. Der Minister hatte angeordnet, daß man ihn im Innern der Eiche begraben solle, damit seine irdischen Ueberreste unverweilt als sprossende Zweige und grüne Blätter an die freie Himmelsluft hinausgelangen möchten. Die weitere Reise von Löbichau nach Dresden ging sehr langsam von Statten: denn es war Erndtezeit. Da wurden die Extrapostpferde erst vom Felde geholt und abgefüttert, ehe sie vor den Wagen kamen. Als mein Vater sich auf einer Station über den gar zu langen Verzug beklagte, erklärte ihm der höfliche sächsische Postmeister, daß er nach der Postordnung das Recht habe, jede Extrapost eine Stunde lang warten zu lassen, doch sei er gern bereit, uns, bis die Pferde kämen, Gesellschaft zu leisten. In Dresden wohnten wir bei der Schwester meines Vaters, der lieben Tante Keiner, deren Bild mir von der früheren Reise nach Teplitz nur noch undeutlich vor- Umgegend ausgeführt. Schloß Nöbdenitz, in heitrer ländlicher Umgebung, erfreute durch seine wohnliche Einrichtung. Allerlei sinnreiche Wunderlichkeiten des Hausherrn erregten das Erstaunen der jugendlichen Besucher. In der Bibliothek zeigte er uns einige Leitern, die, um Raum zu ersparen, ganz in die Wand hineingeschoben wurden. An der Außenseite des Gartenhauses führte eine frei in der Luft schwebende Wendeltreppe bis zum Dache hinauf. Mit Ehrfurcht betrachteten wir eine mitten im Dorfe stehende Eiche von ungeheurem Umfange. Der Volksglaube machte sie zu einem Druidenbaume der heidnischen Germanen, und die Schätzung der Botaniker gab ihr ein Alter von 2000 Jahren. In der Höhlung des Stammes konnten 10–12 Menschen neben einander stehn. Der Minister hatte angeordnet, daß man ihn im Innern der Eiche begraben solle, damit seine irdischen Ueberreste unverweilt als sprossende Zweige und grüne Blätter an die freie Himmelsluft hinausgelangen möchten. Die weitere Reise von Löbichau nach Dresden ging sehr langsam von Statten: denn es war Erndtezeit. Da wurden die Extrapostpferde erst vom Felde geholt und abgefüttert, ehe sie vor den Wagen kamen. Als mein Vater sich auf einer Station über den gar zu langen Verzug beklagte, erklärte ihm der höfliche sächsische Postmeister, daß er nach der Postordnung das Recht habe, jede Extrapost eine Stunde lang warten zu lassen, doch sei er gern bereit, uns, bis die Pferde kämen, Gesellschaft zu leisten. In Dresden wohnten wir bei der Schwester meines Vaters, der lieben Tante Keiner, deren Bild mir von der früheren Reise nach Teplitz nur noch undeutlich vor- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0305" n="293"/> Umgegend ausgeführt. Schloß Nöbdenitz, in heitrer ländlicher Umgebung, erfreute durch seine wohnliche Einrichtung. Allerlei sinnreiche Wunderlichkeiten des Hausherrn erregten das Erstaunen der jugendlichen Besucher. In der Bibliothek zeigte er uns einige Leitern, die, um Raum zu ersparen, ganz in die Wand hineingeschoben wurden. An der Außenseite des Gartenhauses führte eine frei in der Luft schwebende Wendeltreppe bis zum Dache hinauf. Mit Ehrfurcht betrachteten wir eine mitten im Dorfe stehende Eiche von ungeheurem Umfange. Der Volksglaube machte sie zu einem Druidenbaume der heidnischen Germanen, und die Schätzung der Botaniker gab ihr ein Alter von 2000 Jahren. In der Höhlung des Stammes konnten 10–12 Menschen neben einander stehn. Der Minister hatte angeordnet, daß man ihn im Innern der Eiche begraben solle, damit seine irdischen Ueberreste unverweilt als sprossende Zweige und grüne Blätter an die freie Himmelsluft hinausgelangen möchten. </p><lb/> <p>Die weitere Reise von Löbichau nach Dresden ging sehr langsam von Statten: denn es war Erndtezeit. Da wurden die Extrapostpferde erst vom Felde geholt und abgefüttert, ehe sie vor den Wagen kamen. 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Umgegend ausgeführt. Schloß Nöbdenitz, in heitrer ländlicher Umgebung, erfreute durch seine wohnliche Einrichtung. Allerlei sinnreiche Wunderlichkeiten des Hausherrn erregten das Erstaunen der jugendlichen Besucher. In der Bibliothek zeigte er uns einige Leitern, die, um Raum zu ersparen, ganz in die Wand hineingeschoben wurden. An der Außenseite des Gartenhauses führte eine frei in der Luft schwebende Wendeltreppe bis zum Dache hinauf. Mit Ehrfurcht betrachteten wir eine mitten im Dorfe stehende Eiche von ungeheurem Umfange. Der Volksglaube machte sie zu einem Druidenbaume der heidnischen Germanen, und die Schätzung der Botaniker gab ihr ein Alter von 2000 Jahren. In der Höhlung des Stammes konnten 10–12 Menschen neben einander stehn. Der Minister hatte angeordnet, daß man ihn im Innern der Eiche begraben solle, damit seine irdischen Ueberreste unverweilt als sprossende Zweige und grüne Blätter an die freie Himmelsluft hinausgelangen möchten.
Die weitere Reise von Löbichau nach Dresden ging sehr langsam von Statten: denn es war Erndtezeit. Da wurden die Extrapostpferde erst vom Felde geholt und abgefüttert, ehe sie vor den Wagen kamen. Als mein Vater sich auf einer Station über den gar zu langen Verzug beklagte, erklärte ihm der höfliche sächsische Postmeister, daß er nach der Postordnung das Recht habe, jede Extrapost eine Stunde lang warten zu lassen, doch sei er gern bereit, uns, bis die Pferde kämen, Gesellschaft zu leisten.
In Dresden wohnten wir bei der Schwester meines Vaters, der lieben Tante Keiner, deren Bild mir von der früheren Reise nach Teplitz nur noch undeutlich vor-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/305>, abgerufen am 16.02.2025. |