Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].tober 1808) drangen allerlei nicht offizielle Nachrichten in die Berliner Kreise. Man erzählte, daß die beiden Kaiser, Napoleon und Alexander, sich auf das freundschaftlichste begrüßt, und sehr angelegentlich unterhalten hätten; die vier Könige von Sachsen, Bayern, Würtenberg und Westphalen, so wie die kleineren Potentaten des Rheinbundes figurirten nur als Statisten bei diesem schmachvollen Schauspiele. Napoleon that sich so wenig Zwang an, daß er Abends im Theater, in der Mitte der ihn umgebenden Vasallen einschlief, und mit tief auf die Brust herabhängendem Kopfe laut schnarchte. Niemand wagte ihn zu wecken. Wenn darüber das Stück zu Ende ging, so blieb alles sitzen, und man mußte so lange warten, bis der schlafende Löwe von selbst aufwachte. Im Januar 1810 überraschte uns die Nachricht, daß der Kaiser Napoleon sich von seiner Gemalin Josephine habe scheiden lassen. Bald darauf las man in den öffentlichen Blättern, der Marschall Berthier, Fürst von Neufchatel, sei nach Wien gereist, um für seinen Herrn um die Hand der deutschen Kaisertochter Marie Luise anzuhalten, und daß diese Bewerbung angenommen sei. Eines Morgens (im Juli 1810) saß ich auf dem Fußbänkchen am Fenster, und las meinem Vater, der sich von Wilhelm frisiren ließ, mit großer Geläufigkeit aus der Vossischen Zeitung die Nachricht vor, daß der König Ludwig von Holland sich veranlaßt gesehn, die Regierung zu Gunsten seines Bruders Napoleon niederzulegen. "I der Tausend", rief mein Vater, "das wärel!" Er nahm selbst das Blatt zur Hand, und fand weiter, daß der Kaiser Napoleon mit dieser Abtretung zufrieden sei, und das Königreich Holland an sich genommen. Später wurde es gänzlich in Frank- tober 1808) drangen allerlei nicht offizielle Nachrichten in die Berliner Kreise. Man erzählte, daß die beiden Kaiser, Napoléon und Alexander, sich auf das freundschaftlichste begrüßt, und sehr angelegentlich unterhalten hätten; die vier Könige von Sachsen, Bayern, Würtenberg und Westphalen, so wie die kleineren Potentaten des Rheinbundes figurirten nur als Statisten bei diesem schmachvollen Schauspiele. Napoléon that sich so wenig Zwang an, daß er Abends im Theater, in der Mitte der ihn umgebenden Vasallen einschlief, und mit tief auf die Brust herabhängendem Kopfe laut schnarchte. Niemand wagte ihn zu wecken. Wenn darüber das Stück zu Ende ging, so blieb alles sitzen, und man mußte so lange warten, bis der schlafende Löwe von selbst aufwachte. Im Januar 1810 überraschte uns die Nachricht, daß der Kaiser Napoléon sich von seiner Gemalin Josephine habe scheiden lassen. Bald darauf las man in den öffentlichen Blättern, der Marschall Berthier, Fürst von Neufchatel, sei nach Wien gereist, um für seinen Herrn um die Hand der deutschen Kaisertochter Marie Luise anzuhalten, und daß diese Bewerbung angenommen sei. Eines Morgens (im Juli 1810) saß ich auf dem Fußbänkchen am Fenster, und las meinem Vater, der sich von Wilhelm frisiren ließ, mit großer Geläufigkeit aus der Vossischen Zeitung die Nachricht vor, daß der König Ludwig von Holland sich veranlaßt gesehn, die Regierung zu Gunsten seines Bruders Napoléon niederzulegen. „I der Tausend“, rief mein Vater, „das wärel!“ Er nahm selbst das Blatt zur Hand, und fand weiter, daß der Kaiser Napoléon mit dieser Abtretung zufrieden sei, und das Königreich Holland an sich genommen. Später wurde es gänzlich in Frank- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0289" n="277"/> tober 1808) drangen allerlei nicht offizielle Nachrichten in die Berliner Kreise. Man erzählte, daß die beiden Kaiser, Napoléon und Alexander, sich auf das freundschaftlichste begrüßt, und sehr angelegentlich unterhalten hätten; die vier Könige von Sachsen, Bayern, Würtenberg und Westphalen, so wie die kleineren Potentaten des Rheinbundes figurirten nur als Statisten bei diesem schmachvollen Schauspiele. Napoléon that sich so wenig Zwang an, daß er Abends im Theater, in der Mitte der ihn umgebenden Vasallen einschlief, und mit tief auf die Brust herabhängendem Kopfe laut schnarchte. Niemand wagte ihn zu wecken. Wenn darüber das Stück zu Ende ging, so blieb alles sitzen, und man mußte so lange warten, bis der schlafende Löwe von selbst aufwachte. </p><lb/> <p>Im Januar 1810 überraschte uns die Nachricht, daß der Kaiser Napoléon sich von seiner Gemalin Josephine habe scheiden lassen. Bald darauf las man in den öffentlichen Blättern, der Marschall Berthier, Fürst von Neufchatel, sei nach Wien gereist, um für seinen Herrn um die Hand der deutschen Kaisertochter Marie Luise anzuhalten, und daß diese Bewerbung angenommen sei. Eines Morgens (im Juli 1810) saß ich auf dem Fußbänkchen am Fenster, und las meinem Vater, der sich von Wilhelm frisiren ließ, mit großer Geläufigkeit aus der Vossischen Zeitung die Nachricht vor, daß der König Ludwig von Holland sich veranlaßt gesehn, die Regierung zu Gunsten seines Bruders Napoléon niederzulegen. „I der Tausend“, rief mein Vater, „das wärel!“ Er nahm selbst das Blatt zur Hand, und fand weiter, daß der Kaiser Napoléon mit dieser Abtretung zufrieden sei, und das Königreich Holland an sich genommen. Später wurde es gänzlich in Frank- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [277/0289]
tober 1808) drangen allerlei nicht offizielle Nachrichten in die Berliner Kreise. Man erzählte, daß die beiden Kaiser, Napoléon und Alexander, sich auf das freundschaftlichste begrüßt, und sehr angelegentlich unterhalten hätten; die vier Könige von Sachsen, Bayern, Würtenberg und Westphalen, so wie die kleineren Potentaten des Rheinbundes figurirten nur als Statisten bei diesem schmachvollen Schauspiele. Napoléon that sich so wenig Zwang an, daß er Abends im Theater, in der Mitte der ihn umgebenden Vasallen einschlief, und mit tief auf die Brust herabhängendem Kopfe laut schnarchte. Niemand wagte ihn zu wecken. Wenn darüber das Stück zu Ende ging, so blieb alles sitzen, und man mußte so lange warten, bis der schlafende Löwe von selbst aufwachte.
Im Januar 1810 überraschte uns die Nachricht, daß der Kaiser Napoléon sich von seiner Gemalin Josephine habe scheiden lassen. Bald darauf las man in den öffentlichen Blättern, der Marschall Berthier, Fürst von Neufchatel, sei nach Wien gereist, um für seinen Herrn um die Hand der deutschen Kaisertochter Marie Luise anzuhalten, und daß diese Bewerbung angenommen sei. Eines Morgens (im Juli 1810) saß ich auf dem Fußbänkchen am Fenster, und las meinem Vater, der sich von Wilhelm frisiren ließ, mit großer Geläufigkeit aus der Vossischen Zeitung die Nachricht vor, daß der König Ludwig von Holland sich veranlaßt gesehn, die Regierung zu Gunsten seines Bruders Napoléon niederzulegen. „I der Tausend“, rief mein Vater, „das wärel!“ Er nahm selbst das Blatt zur Hand, und fand weiter, daß der Kaiser Napoléon mit dieser Abtretung zufrieden sei, und das Königreich Holland an sich genommen. Später wurde es gänzlich in Frank-
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