Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].des "langen Krutisch" viele Jahre hindurch eine den Berlinern wohlbekannte Figur blieb. Nach der Niederwerfung von Oestreich i. J. 1809 und nach den vergeblichen Aufstandsversuchen Hofers, Schills und des Herzogs von Braunschweig konnte ich wohl aus den Gesprächen der Aeltern und Grosältem abnehmen, daß nun auch für Preußen alle Hoffnung verschwunden sei, sich wieder aufzurichten, und daß nichts übrig bleibe, als das fremde Joch fort und fort zu tragen. Es prägte sich mir fest ein, als bei einer solchen Gelegenheit der Grosvater Eichmann mit ruhiger Fassung sagte: der liebe Gott wird schon noch ein Einsehn haben! Im Tilsiter Frieden (1807) hatte Napoleon aus mehreren eroberten deutschen Provinzen das Königreich Westphalen mit der Hauptstadt Kassel gebildet, und seinem Bruder Jerome zugetheilt. So sehr dieser Gewaltstreich von den guten Patrioten verabscheut ward, so fehlte es nicht an Deutschen, die der neu aufgehenden Sonne sich zuwendeten. Der Musiker Reichardt, dessen seelenvolle Lieder uns entzückten, lebte in Kassel als Hofkapellmeister; Johannes von Müller, den man uns in der Schule als einen der gelehrtesten Geschichtschreiber nannte, hatte das Amt eines Staatsarchivares; der von den Kindern wegen seines Robinson mit schwärmerischer Neigung verehrte Campe in Braunschweig konnte es über sich gewinnen, für den fremden Herrscher eine begeisterte Empfangsfeierlichkeit zu veranstalten. Da der Grosvater Eichmann mit seinen westphälischen Verwandten immer in brieflicher Verbindung stand, so erfuhren wir auf diesem Wege manches von der heillosen Wirtschaft in Kassel und von der dagegen sich bildenden des „langen Krutisch“ viele Jahre hindurch eine den Berlinern wohlbekannte Figur blieb. Nach der Niederwerfung von Oestreich i. J. 1809 und nach den vergeblichen Aufstandsversuchen Hofers, Schills und des Herzogs von Braunschweig konnte ich wohl aus den Gesprächen der Aeltern und Grosältem abnehmen, daß nun auch für Preußen alle Hoffnung verschwunden sei, sich wieder aufzurichten, und daß nichts übrig bleibe, als das fremde Joch fort und fort zu tragen. Es prägte sich mir fest ein, als bei einer solchen Gelegenheit der Grosvater Eichmann mit ruhiger Fassung sagte: der liebe Gott wird schon noch ein Einsehn haben! Im Tilsiter Frieden (1807) hatte Napoléon aus mehreren eroberten deutschen Provinzen das Königreich Westphalen mit der Hauptstadt Kassel gebildet, und seinem Bruder Jerome zugetheilt. So sehr dieser Gewaltstreich von den guten Patrioten verabscheut ward, so fehlte es nicht an Deutschen, die der neu aufgehenden Sonne sich zuwendeten. Der Musiker Reichardt, dessen seelenvolle Lieder uns entzückten, lebte in Kassel als Hofkapellmeister; Johannes von Müller, den man uns in der Schule als einen der gelehrtesten Geschichtschreiber nannte, hatte das Amt eines Staatsarchivares; der von den Kindern wegen seines Robinson mit schwärmerischer Neigung verehrte Campe in Braunschweig konnte es über sich gewinnen, für den fremden Herrscher eine begeisterte Empfangsfeierlichkeit zu veranstalten. Da der Grosvater Eichmann mit seinen westphälischen Verwandten immer in brieflicher Verbindung stand, so erfuhren wir auf diesem Wege manches von der heillosen Wirtschaft in Kassel und von der dagegen sich bildenden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0286" n="274"/> des „langen Krutisch“ viele Jahre hindurch eine den Berlinern wohlbekannte Figur blieb. </p><lb/> <p>Nach der Niederwerfung von Oestreich i. J. 1809 und nach den vergeblichen Aufstandsversuchen Hofers, Schills und des Herzogs von Braunschweig konnte ich wohl aus den Gesprächen der Aeltern und Grosältem abnehmen, daß nun auch für Preußen alle Hoffnung verschwunden sei, sich wieder aufzurichten, und daß nichts übrig bleibe, als das fremde Joch fort und fort zu tragen. Es prägte sich mir fest ein, als bei einer solchen Gelegenheit der Grosvater Eichmann mit ruhiger Fassung sagte: der liebe Gott wird schon noch ein Einsehn haben! </p><lb/> <p>Im Tilsiter Frieden (1807) hatte Napoléon aus mehreren eroberten deutschen Provinzen das Königreich Westphalen mit der Hauptstadt Kassel gebildet, und seinem Bruder Jerome zugetheilt. So sehr dieser Gewaltstreich von den guten Patrioten verabscheut ward, so fehlte es nicht an Deutschen, die der neu aufgehenden Sonne sich zuwendeten. Der Musiker Reichardt, dessen seelenvolle Lieder uns entzückten, lebte in Kassel als Hofkapellmeister; Johannes von Müller, den man uns in der Schule als einen der gelehrtesten Geschichtschreiber nannte, hatte das Amt eines Staatsarchivares; der von den Kindern wegen seines Robinson mit schwärmerischer Neigung verehrte Campe in Braunschweig konnte es über sich gewinnen, für den fremden Herrscher eine begeisterte Empfangsfeierlichkeit zu veranstalten. </p><lb/> <p>Da der Grosvater Eichmann mit seinen westphälischen Verwandten immer in brieflicher Verbindung stand, so erfuhren wir auf diesem Wege manches von der heillosen Wirtschaft in Kassel und von der dagegen sich bildenden </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [274/0286]
des „langen Krutisch“ viele Jahre hindurch eine den Berlinern wohlbekannte Figur blieb.
Nach der Niederwerfung von Oestreich i. J. 1809 und nach den vergeblichen Aufstandsversuchen Hofers, Schills und des Herzogs von Braunschweig konnte ich wohl aus den Gesprächen der Aeltern und Grosältem abnehmen, daß nun auch für Preußen alle Hoffnung verschwunden sei, sich wieder aufzurichten, und daß nichts übrig bleibe, als das fremde Joch fort und fort zu tragen. Es prägte sich mir fest ein, als bei einer solchen Gelegenheit der Grosvater Eichmann mit ruhiger Fassung sagte: der liebe Gott wird schon noch ein Einsehn haben!
Im Tilsiter Frieden (1807) hatte Napoléon aus mehreren eroberten deutschen Provinzen das Königreich Westphalen mit der Hauptstadt Kassel gebildet, und seinem Bruder Jerome zugetheilt. So sehr dieser Gewaltstreich von den guten Patrioten verabscheut ward, so fehlte es nicht an Deutschen, die der neu aufgehenden Sonne sich zuwendeten. Der Musiker Reichardt, dessen seelenvolle Lieder uns entzückten, lebte in Kassel als Hofkapellmeister; Johannes von Müller, den man uns in der Schule als einen der gelehrtesten Geschichtschreiber nannte, hatte das Amt eines Staatsarchivares; der von den Kindern wegen seines Robinson mit schwärmerischer Neigung verehrte Campe in Braunschweig konnte es über sich gewinnen, für den fremden Herrscher eine begeisterte Empfangsfeierlichkeit zu veranstalten.
Da der Grosvater Eichmann mit seinen westphälischen Verwandten immer in brieflicher Verbindung stand, so erfuhren wir auf diesem Wege manches von der heillosen Wirtschaft in Kassel und von der dagegen sich bildenden
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/286 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/286>, abgerufen am 17.07.2024. |