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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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Botanik zu geben. Wir saßen zusammen in der grünen Stube des Lehmschlosses, und konnten einen Theil der Lehrobjecte von den Grasplätzen und aus den Treibhäusern entnehmen. Das Linnesche System war damals noch das allgemein gebräuchliche, und Wildenows Handbuch ließ in seiner unübertrefflichen Klarheit kaum etwas zu wünschen übrig. Das System der natürlichen Familien kam erst in Aufnahme, als die Zahl der neuentdeckten Pflanzen aus allen Welttheilen sich fast in das unabsehbare vermehrte; für einen kleineren Kreis von vegetabilischen Formen, und besonders für den ersten Unterricht hatte Linne die grösten Vorzüge. Kürze und Anschaulichkeit waren bei ihm vereinigt. Die Diagnosen sollten in nicht mehr als 12 Worten bestehn, und ein Vergrößerungsglas bei der Untersuchung nicht angewendet werden.

Die Tante führte uns durch die Analyse einzelner interessanter und bekannter Pflanzen gleich in die Praxis ein, und ließ die schwierige deutsche Terminologie anfangs nur beiher gehn. Hier zeigte es sich bald, daß meine Schwester, trotz ihres lebhaften und durchdringenden Geistes nicht die mindeste Lust hatte, sich die verschiedenen Blattformen, die gerippten, gesägten, gezackten und gelappten, die lanzettförmigen, herzförmigen, eiförmigen etc. zu merken. Sie verwechselte nur zu oft den Kelch mit der Blumenkrone, und zerzupfte in Gedanken manches für die Untersuchung bestimmte Exemplar. Daher ward ihr in aller Güte und Liebe der botanische Unterricht erlassen, und wir beide, die Tante und ich, wandten einen um so größeren Eifer an. Da sie hinlänglich Latein verstand, um den botanischen Beschreibungen folgen zu können, so

Botanik zu geben. Wir saßen zusammen in der grünen Stube des Lehmschlosses, und konnten einen Theil der Lehrobjecte von den Grasplätzen und aus den Treibhäusern entnehmen. Das Linnésche System war damals noch das allgemein gebräuchliche, und Wildenows Handbuch ließ in seiner unübertrefflichen Klarheit kaum etwas zu wünschen übrig. Das System der natürlichen Familien kam erst in Aufnahme, als die Zahl der neuentdeckten Pflanzen aus allen Welttheilen sich fast in das unabsehbare vermehrte; für einen kleineren Kreis von vegetabilischen Formen, und besonders für den ersten Unterricht hatte Linné die grösten Vorzüge. Kürze und Anschaulichkeit waren bei ihm vereinigt. Die Diagnosen sollten in nicht mehr als 12 Worten bestehn, und ein Vergrößerungsglas bei der Untersuchung nicht angewendet werden.

Die Tante führte uns durch die Analyse einzelner interessanter und bekannter Pflanzen gleich in die Praxis ein, und ließ die schwierige deutsche Terminologie anfangs nur beiher gehn. Hier zeigte es sich bald, daß meine Schwester, trotz ihres lebhaften und durchdringenden Geistes nicht die mindeste Lust hatte, sich die verschiedenen Blattformen, die gerippten, gesägten, gezackten und gelappten, die lanzettförmigen, herzförmigen, eiförmigen etc. zu merken. Sie verwechselte nur zu oft den Kelch mit der Blumenkrone, und zerzupfte in Gedanken manches für die Untersuchung bestimmte Exemplar. Daher ward ihr in aller Güte und Liebe der botanische Unterricht erlassen, und wir beide, die Tante und ich, wandten einen um so größeren Eifer an. Da sie hinlänglich Latein verstand, um den botanischen Beschreibungen folgen zu können, so

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[256/0268] Botanik zu geben. Wir saßen zusammen in der grünen Stube des Lehmschlosses, und konnten einen Theil der Lehrobjecte von den Grasplätzen und aus den Treibhäusern entnehmen. Das Linnésche System war damals noch das allgemein gebräuchliche, und Wildenows Handbuch ließ in seiner unübertrefflichen Klarheit kaum etwas zu wünschen übrig. Das System der natürlichen Familien kam erst in Aufnahme, als die Zahl der neuentdeckten Pflanzen aus allen Welttheilen sich fast in das unabsehbare vermehrte; für einen kleineren Kreis von vegetabilischen Formen, und besonders für den ersten Unterricht hatte Linné die grösten Vorzüge. Kürze und Anschaulichkeit waren bei ihm vereinigt. Die Diagnosen sollten in nicht mehr als 12 Worten bestehn, und ein Vergrößerungsglas bei der Untersuchung nicht angewendet werden. Die Tante führte uns durch die Analyse einzelner interessanter und bekannter Pflanzen gleich in die Praxis ein, und ließ die schwierige deutsche Terminologie anfangs nur beiher gehn. Hier zeigte es sich bald, daß meine Schwester, trotz ihres lebhaften und durchdringenden Geistes nicht die mindeste Lust hatte, sich die verschiedenen Blattformen, die gerippten, gesägten, gezackten und gelappten, die lanzettförmigen, herzförmigen, eiförmigen etc. zu merken. Sie verwechselte nur zu oft den Kelch mit der Blumenkrone, und zerzupfte in Gedanken manches für die Untersuchung bestimmte Exemplar. Daher ward ihr in aller Güte und Liebe der botanische Unterricht erlassen, und wir beide, die Tante und ich, wandten einen um so größeren Eifer an. Da sie hinlänglich Latein verstand, um den botanischen Beschreibungen folgen zu können, so

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/268>, abgerufen am 24.11.2024.