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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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machen, und der geringste Widerspruch reizte ihn zu endlosem Keifen. Seine gleichaltrigen Freunde waren ihm fast alle weggestorben, und die nachwachsende Generation verscheuchte er durch seine maaßlose Heftigkeit. Von den früheren Tischgenossen hielt nur Paul bis zuletzt treulich bei ihm aus. Er wirkte jetzt als wohlbestallter Professor am Grauen Kloster, dem er einst als Schüler angehört, und bewohnte ein paar Zimmer in unserem Hinterhause. Wenn er um 12 Uhr mit seinen Stunden fertig war, und über den Hof ging, so sprach er regelmäßig in der Parterrewohnung des Grosvaters vor.

Um ihn etwas zu erheitern, kam Paul auf den Gedanken, die lateinischen Brocken, die dem Grosvater von seiner Gymnasialzeit anklebten, zu sammeln. Mit Eifer ging ich auf diesen guten Einfall ein; wir stellten ein "Alphabetum aureum Eichmannianum" zusammen, in dem mancher Buchstab sogar doppelt vertreten war. Dies ließ ich sauber in Oktav drucken, und Paul überreichte ihm ein Exemplar "en maroquin, dore sur tranches" an seinem 82. Geburtstage, den 12. Mai 1829. Meine Mutter und Tante Jettchen, welche auch nicht selten von der übeln Laune ihres Vaters zu leiden hatten, hofften hievon eine recht günstige Wirkung. Allein der Erfolg war ein ganz anderer. Anstatt den Scherz als Scherz zu nehmen, schrieb der Grosvater an Paul einen sehr gereizten Brief, worin er ihn des Verrathes an der Freundschaft beschuldigte, daß er diese Schulerinnerungen ihm abgelauert und hinter seinem Rücken habe drucken lassen. Paul wollte sich mündlich rechtfertigen, und den Scherz aufrecht erhalten, aber der alte Herr wurde so ausfallend, daß Paul von nun an seine Besuche einstellte.

machen, und der geringste Widerspruch reizte ihn zu endlosem Keifen. Seine gleichaltrigen Freunde waren ihm fast alle weggestorben, und die nachwachsende Generation verscheuchte er durch seine maaßlose Heftigkeit. Von den früheren Tischgenossen hielt nur Paul bis zuletzt treulich bei ihm aus. Er wirkte jetzt als wohlbestallter Professor am Grauen Kloster, dem er einst als Schüler angehört, und bewohnte ein paar Zimmer in unserem Hinterhause. Wenn er um 12 Uhr mit seinen Stunden fertig war, und über den Hof ging, so sprach er regelmäßig in der Parterrewohnung des Grosvaters vor.

Um ihn etwas zu erheitern, kam Paul auf den Gedanken, die lateinischen Brocken, die dem Grosvater von seiner Gymnasialzeit anklebten, zu sammeln. Mit Eifer ging ich auf diesen guten Einfall ein; wir stellten ein „Alphabetum aureum Eichmannianum“ zusammen, in dem mancher Buchstab sogar doppelt vertreten war. Dies ließ ich sauber in Oktav drucken, und Paul überreichte ihm ein Exemplar „en maroquin, doré sur tranches“ an seinem 82. Geburtstage, den 12. Mai 1829. Meine Mutter und Tante Jettchen, welche auch nicht selten von der übeln Laune ihres Vaters zu leiden hatten, hofften hievon eine recht günstige Wirkung. Allein der Erfolg war ein ganz anderer. Anstatt den Scherz als Scherz zu nehmen, schrieb der Grosvater an Paul einen sehr gereizten Brief, worin er ihn des Verrathes an der Freundschaft beschuldigte, daß er diese Schulerinnerungen ihm abgelauert und hinter seinem Rücken habe drucken lassen. Paul wollte sich mündlich rechtfertigen, und den Scherz aufrecht erhalten, aber der alte Herr wurde so ausfallend, daß Paul von nun an seine Besuche einstellte.

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[247/0259] machen, und der geringste Widerspruch reizte ihn zu endlosem Keifen. Seine gleichaltrigen Freunde waren ihm fast alle weggestorben, und die nachwachsende Generation verscheuchte er durch seine maaßlose Heftigkeit. Von den früheren Tischgenossen hielt nur Paul bis zuletzt treulich bei ihm aus. Er wirkte jetzt als wohlbestallter Professor am Grauen Kloster, dem er einst als Schüler angehört, und bewohnte ein paar Zimmer in unserem Hinterhause. Wenn er um 12 Uhr mit seinen Stunden fertig war, und über den Hof ging, so sprach er regelmäßig in der Parterrewohnung des Grosvaters vor. Um ihn etwas zu erheitern, kam Paul auf den Gedanken, die lateinischen Brocken, die dem Grosvater von seiner Gymnasialzeit anklebten, zu sammeln. Mit Eifer ging ich auf diesen guten Einfall ein; wir stellten ein „Alphabetum aureum Eichmannianum“ zusammen, in dem mancher Buchstab sogar doppelt vertreten war. Dies ließ ich sauber in Oktav drucken, und Paul überreichte ihm ein Exemplar „en maroquin, doré sur tranches“ an seinem 82. Geburtstage, den 12. Mai 1829. Meine Mutter und Tante Jettchen, welche auch nicht selten von der übeln Laune ihres Vaters zu leiden hatten, hofften hievon eine recht günstige Wirkung. Allein der Erfolg war ein ganz anderer. Anstatt den Scherz als Scherz zu nehmen, schrieb der Grosvater an Paul einen sehr gereizten Brief, worin er ihn des Verrathes an der Freundschaft beschuldigte, daß er diese Schulerinnerungen ihm abgelauert und hinter seinem Rücken habe drucken lassen. Paul wollte sich mündlich rechtfertigen, und den Scherz aufrecht erhalten, aber der alte Herr wurde so ausfallend, daß Paul von nun an seine Besuche einstellte.

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/259>, abgerufen am 24.11.2024.