Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].einige seiner Federzeichnungen nach Flaxmanns Dante vorlegte. Die Einfachheit der Komposition, die gefällige Wendung der Figuren, die Reinheit und Schärfe der klargezogenen Umrisse setzten mich in ein wahres Entzücken; die unbekannten mystischen Darstellungen übten eine Zauberkraft auf meine Phantasie. Ich konnte mich gar nicht satt sehn, und hätte viel darum gegeben, ein solches Blatt zu besitzen. Vielleicht würde der freundliche Beuth meine Bitte nicht abgeschlagen haben, aber ich war viel zu blöde, um sie zu wagen. So viele Zeichnungen ich auch später betrachtet, und soviel ich selbst mit Bleistift, Kreide und Feder gezeichnet, so stehn jene Beuthschen reinen Konture noch immer als unerreichbare Muster vor meiner Seele. Mit seinem Hausarzte, dem berühmten alten Heim, stand der Grosvater auf dem freundschaftlichsten Fuße. Diesen außerordentlichen Mann, der später auch meiner Familie seine ärztliche Hülfe gewährte, habe ich bei dem Grosvater zuerst kennen und verehren gelernt. Als eine besondere Vergünstigung wurde es betrachtet, daß der übermäßig in Anspruch genommene Heim zuweilen eine Mittagseinladung beim Grosvater annahm. Hier zeigte er sich von seiner liebenswürdigsten Seite. Wenn ihm sonst von einigen seiner neidischen Kollegen vorgeworfen ward, daß seine Originalität zuweilen eine gemachte sei, so konnte dies für seine späteren Jahre wohl einigen Grund haben. Da er in der Blütezeit seiner Praxis von Hülfesuchenden förmlich überlaufen ward, und unmöglich die Personen und Namen alle richtig im Kopfe behalten konnte, so hatte er sich angewöhnt, jeden ihm Begegnenden sehr kurz zu fragen: wer sind Sie und wie heißen Sie? Dies that er denn auch manchmal, halb aus Zerstreuung, halb aus Angewöh- einige seiner Federzeichnungen nach Flaxmanns Dante vorlegte. Die Einfachheit der Komposition, die gefällige Wendung der Figuren, die Reinheit und Schärfe der klargezogenen Umrisse setzten mich in ein wahres Entzücken; die unbekannten mystischen Darstellungen übten eine Zauberkraft auf meine Phantasie. Ich konnte mich gar nicht satt sehn, und hätte viel darum gegeben, ein solches Blatt zu besitzen. Vielleicht würde der freundliche Beuth meine Bitte nicht abgeschlagen haben, aber ich war viel zu blöde, um sie zu wagen. So viele Zeichnungen ich auch später betrachtet, und soviel ich selbst mit Bleistift, Kreide und Feder gezeichnet, so stehn jene Beuthschen reinen Konture noch immer als unerreichbare Muster vor meiner Seele. Mit seinem Hausarzte, dem berühmten alten Heim, stand der Grosvater auf dem freundschaftlichsten Fuße. Diesen außerordentlichen Mann, der später auch meiner Familie seine ärztliche Hülfe gewährte, habe ich bei dem Grosvater zuerst kennen und verehren gelernt. Als eine besondere Vergünstigung wurde es betrachtet, daß der übermäßig in Anspruch genommene Heim zuweilen eine Mittagseinladung beim Grosvater annahm. Hier zeigte er sich von seiner liebenswürdigsten Seite. Wenn ihm sonst von einigen seiner neidischen Kollegen vorgeworfen ward, daß seine Originalität zuweilen eine gemachte sei, so konnte dies für seine späteren Jahre wohl einigen Grund haben. Da er in der Blütezeit seiner Praxis von Hülfesuchenden förmlich überlaufen ward, und unmöglich die Personen und Namen alle richtig im Kopfe behalten konnte, so hatte er sich angewöhnt, jeden ihm Begegnenden sehr kurz zu fragen: wer sind Sie und wie heißen Sie? Dies that er denn auch manchmal, halb aus Zerstreuung, halb aus Angewöh- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0235" n="223"/> einige seiner Federzeichnungen nach Flaxmanns Dante vorlegte. Die Einfachheit der Komposition, die gefällige Wendung der Figuren, die Reinheit und Schärfe der klargezogenen Umrisse setzten mich in ein wahres Entzücken; die unbekannten mystischen Darstellungen übten eine Zauberkraft auf meine Phantasie. Ich konnte mich gar nicht satt sehn, und hätte viel darum gegeben, ein solches Blatt zu besitzen. Vielleicht würde der freundliche Beuth meine Bitte nicht abgeschlagen haben, aber ich war viel zu blöde, um sie zu wagen. So viele Zeichnungen ich auch später betrachtet, und soviel ich selbst mit Bleistift, Kreide und Feder gezeichnet, so stehn jene Beuthschen reinen Konture noch immer als unerreichbare Muster vor meiner Seele. </p><lb/> <p>Mit seinem Hausarzte, dem berühmten alten Heim, stand der Grosvater auf dem freundschaftlichsten Fuße. Diesen außerordentlichen Mann, der später auch meiner Familie seine ärztliche Hülfe gewährte, habe ich bei dem Grosvater zuerst kennen und verehren gelernt. Als eine besondere Vergünstigung wurde es betrachtet, daß der übermäßig in Anspruch genommene Heim zuweilen eine Mittagseinladung beim Grosvater annahm. Hier zeigte er sich von seiner liebenswürdigsten Seite. Wenn ihm sonst von einigen seiner neidischen Kollegen vorgeworfen ward, daß seine Originalität zuweilen eine gemachte sei, so konnte dies für seine späteren Jahre wohl einigen Grund haben. Da er in der Blütezeit seiner Praxis von Hülfesuchenden förmlich überlaufen ward, und unmöglich die Personen und Namen alle richtig im Kopfe behalten konnte, so hatte er sich angewöhnt, jeden ihm Begegnenden sehr kurz zu fragen: wer sind Sie und wie heißen Sie? Dies that er denn auch manchmal, halb aus Zerstreuung, halb aus Angewöh- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [223/0235]
einige seiner Federzeichnungen nach Flaxmanns Dante vorlegte. Die Einfachheit der Komposition, die gefällige Wendung der Figuren, die Reinheit und Schärfe der klargezogenen Umrisse setzten mich in ein wahres Entzücken; die unbekannten mystischen Darstellungen übten eine Zauberkraft auf meine Phantasie. Ich konnte mich gar nicht satt sehn, und hätte viel darum gegeben, ein solches Blatt zu besitzen. Vielleicht würde der freundliche Beuth meine Bitte nicht abgeschlagen haben, aber ich war viel zu blöde, um sie zu wagen. So viele Zeichnungen ich auch später betrachtet, und soviel ich selbst mit Bleistift, Kreide und Feder gezeichnet, so stehn jene Beuthschen reinen Konture noch immer als unerreichbare Muster vor meiner Seele.
Mit seinem Hausarzte, dem berühmten alten Heim, stand der Grosvater auf dem freundschaftlichsten Fuße. Diesen außerordentlichen Mann, der später auch meiner Familie seine ärztliche Hülfe gewährte, habe ich bei dem Grosvater zuerst kennen und verehren gelernt. Als eine besondere Vergünstigung wurde es betrachtet, daß der übermäßig in Anspruch genommene Heim zuweilen eine Mittagseinladung beim Grosvater annahm. Hier zeigte er sich von seiner liebenswürdigsten Seite. Wenn ihm sonst von einigen seiner neidischen Kollegen vorgeworfen ward, daß seine Originalität zuweilen eine gemachte sei, so konnte dies für seine späteren Jahre wohl einigen Grund haben. Da er in der Blütezeit seiner Praxis von Hülfesuchenden förmlich überlaufen ward, und unmöglich die Personen und Namen alle richtig im Kopfe behalten konnte, so hatte er sich angewöhnt, jeden ihm Begegnenden sehr kurz zu fragen: wer sind Sie und wie heißen Sie? Dies that er denn auch manchmal, halb aus Zerstreuung, halb aus Angewöh-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/235>, abgerufen am 16.02.2025. |