Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

das er selbst putzen, satteln und zäumen gelernt, wie bei der Erndte eine ganze Reihe von beladenen Kornwagen in den Hof gefahren, wie dann die Franzosen gehaust und alles zerstört hätten.

Hier stiegen zuerst in meinem Innern einige skeptische Betrachtungen auf, wie es möglich sei, daß bei einer wohlgeordneten Weltregierung ein so grausames Herabwerfen von dem Gipfel der glücklichen Existenz bis zum fühlbaren Mangel geduldet werden könne? Allein da ich August in seiner äußeren beschränkten Lage immer heiter und froh sah, so hielt ich mich nicht lange bei der Lösung jenes unlösbaren Problems auf, sondern suchte nur so viel als möglich meinem Freunde Erleichterung zu verschaffen. Dies erkannte er an, und dies Gefühl knüpfte das Band zwischen uns noch fester. Aber bei gegenseitiger Aufrichtigkeit wird es unter solchen Umständen fast eben so schwer zu geben als zu nehmen. August mochte wohl manchmal meine kleinen Listen durchschauen, ließ es mich aber nie merken. Undankbarkeit ist in vielen Fällen nur die Schuld des ungeschickten Gebers, denn jede erwiesene Wohlthat ist eine Last, mit der man den andern beschwert, und wem fällt eine Bürde nicht unbequem, wenn sie nicht so sanft als möglich aufgelegt wird?

August genoß im Kreise unserer Spielkameraden des grösten Ansehns und der meisten Liebe: denn er war der stärkste, und benutzte seine Stärke nie, um schwächere zu mishandeln, sondern nur um die gute Ordnung aufrecht zu erhalten. Seine gedrungene Gestalt war im besten Ebenmaaße gebaut, Arme und Schenkel von stahlkräftiger Festigkeit, die Brust breit, der Gang elastisch, das Gesicht wohlgebildet und von ernstem Ausdruck; wir neckten ihn

das er selbst putzen, satteln und zäumen gelernt, wie bei der Erndte eine ganze Reihe von beladenen Kornwagen in den Hof gefahren, wie dann die Franzosen gehaust und alles zerstört hätten.

Hier stiegen zuerst in meinem Innern einige skeptische Betrachtungen auf, wie es möglich sei, daß bei einer wohlgeordneten Weltregierung ein so grausames Herabwerfen von dem Gipfel der glücklichen Existenz bis zum fühlbaren Mangel geduldet werden könne? Allein da ich August in seiner äußeren beschränkten Lage immer heiter und froh sah, so hielt ich mich nicht lange bei der Lösung jenes unlösbaren Problems auf, sondern suchte nur so viel als möglich meinem Freunde Erleichterung zu verschaffen. Dies erkannte er an, und dies Gefühl knüpfte das Band zwischen uns noch fester. Aber bei gegenseitiger Aufrichtigkeit wird es unter solchen Umständen fast eben so schwer zu geben als zu nehmen. August mochte wohl manchmal meine kleinen Listen durchschauen, ließ es mich aber nie merken. Undankbarkeit ist in vielen Fällen nur die Schuld des ungeschickten Gebers, denn jede erwiesene Wohlthat ist eine Last, mit der man den andern beschwert, und wem fällt eine Bürde nicht unbequem, wenn sie nicht so sanft als möglich aufgelegt wird?

August genoß im Kreise unserer Spielkameraden des grösten Ansehns und der meisten Liebe: denn er war der stärkste, und benutzte seine Stärke nie, um schwächere zu mishandeln, sondern nur um die gute Ordnung aufrecht zu erhalten. Seine gedrungene Gestalt war im besten Ebenmaaße gebaut, Arme und Schenkel von stahlkräftiger Festigkeit, die Brust breit, der Gang elastisch, das Gesicht wohlgebildet und von ernstem Ausdruck; wir neckten ihn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0203" n="191"/>
das er selbst putzen, satteln und zäumen gelernt, wie bei der Erndte eine ganze Reihe von beladenen Kornwagen in den Hof gefahren, wie dann die Franzosen gehaust und alles zerstört hätten. </p><lb/>
          <p>Hier stiegen zuerst in meinem Innern einige skeptische Betrachtungen auf, wie es möglich sei, daß bei einer wohlgeordneten Weltregierung ein so grausames Herabwerfen von dem Gipfel der glücklichen Existenz bis zum fühlbaren Mangel geduldet werden könne? Allein da ich August in seiner äußeren beschränkten Lage immer heiter und froh sah, so hielt ich mich nicht lange bei der Lösung jenes unlösbaren Problems auf, sondern suchte nur so viel als möglich meinem Freunde Erleichterung zu verschaffen. Dies erkannte er an, und dies Gefühl knüpfte das Band zwischen uns noch fester. Aber bei gegenseitiger Aufrichtigkeit wird es unter solchen Umständen fast eben so schwer zu geben als zu nehmen. August mochte wohl manchmal meine kleinen Listen durchschauen, ließ es mich aber nie merken. Undankbarkeit ist in vielen Fällen nur die Schuld des ungeschickten Gebers, denn jede erwiesene Wohlthat ist eine Last, mit der man den andern beschwert, und wem fällt eine Bürde nicht unbequem, wenn sie nicht so sanft als möglich aufgelegt wird? </p><lb/>
          <p>August genoß im Kreise unserer Spielkameraden des grösten Ansehns und der meisten Liebe: denn er war der stärkste, und benutzte seine Stärke nie, um schwächere zu mishandeln, sondern nur um die gute Ordnung aufrecht zu erhalten. Seine gedrungene Gestalt war im besten Ebenmaaße gebaut, Arme und Schenkel von stahlkräftiger Festigkeit, die Brust breit, der Gang elastisch, das Gesicht wohlgebildet und von ernstem Ausdruck; wir neckten ihn
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0203] das er selbst putzen, satteln und zäumen gelernt, wie bei der Erndte eine ganze Reihe von beladenen Kornwagen in den Hof gefahren, wie dann die Franzosen gehaust und alles zerstört hätten. Hier stiegen zuerst in meinem Innern einige skeptische Betrachtungen auf, wie es möglich sei, daß bei einer wohlgeordneten Weltregierung ein so grausames Herabwerfen von dem Gipfel der glücklichen Existenz bis zum fühlbaren Mangel geduldet werden könne? Allein da ich August in seiner äußeren beschränkten Lage immer heiter und froh sah, so hielt ich mich nicht lange bei der Lösung jenes unlösbaren Problems auf, sondern suchte nur so viel als möglich meinem Freunde Erleichterung zu verschaffen. Dies erkannte er an, und dies Gefühl knüpfte das Band zwischen uns noch fester. Aber bei gegenseitiger Aufrichtigkeit wird es unter solchen Umständen fast eben so schwer zu geben als zu nehmen. August mochte wohl manchmal meine kleinen Listen durchschauen, ließ es mich aber nie merken. Undankbarkeit ist in vielen Fällen nur die Schuld des ungeschickten Gebers, denn jede erwiesene Wohlthat ist eine Last, mit der man den andern beschwert, und wem fällt eine Bürde nicht unbequem, wenn sie nicht so sanft als möglich aufgelegt wird? August genoß im Kreise unserer Spielkameraden des grösten Ansehns und der meisten Liebe: denn er war der stärkste, und benutzte seine Stärke nie, um schwächere zu mishandeln, sondern nur um die gute Ordnung aufrecht zu erhalten. Seine gedrungene Gestalt war im besten Ebenmaaße gebaut, Arme und Schenkel von stahlkräftiger Festigkeit, die Brust breit, der Gang elastisch, das Gesicht wohlgebildet und von ernstem Ausdruck; wir neckten ihn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/203
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/203>, abgerufen am 21.11.2024.