Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].In einem solchen Zustande war i. J. 1781 das deutsche Post- und Reisewesen, daß ein Privatmann es als eine wichtige und dankenswerthe Arbeit unternehmen konnte, die genaue Entfernung der von ihm besuchten Städte durch ein neuerfundenes hodometrisches Instrument zu bestimmen. Die Kupfer von Chodowiecki wurden nun erst recht studirt und genossen, da wir uns in der großen Stube viel freier bewegen, und ein Gerüst von umgedrehten Stühlen zur bequemeren Aufstellung der Folianten erbauen durften. Wir gingen in der Reihe der Bände weiter fort, und fanden mehrere mit den Arbeiten von Meil und B. Rode. Meil hat eine zarte Ausführung, aber die Gegenstände bieten zu wenig Interesse; die Kupfer zu Engels Mimik schienen uns leer und ohne besonderen Karakter; wie anders wußte Chodowiecki die verschiedenen Leidenschaften und Affekte der Seele durch die geistreichsten Figuren darzustellen! Meil war mit Nicolai persönlich befreundet, und lieferte die Kupfer zur "Geschichte eines dicken Mannes", die jedoch hinter den Chodowieckischen Kupfern zum "Sebaldus Nothanker" gewaltig zurückstehn. Ich bewahre ein kleines Medaillon mit einer sauberen Tuschzeichnung von Meil, die er zu Nicolais silbemer Hochzeit (1785) angefertigt. Die Aufschriften sind sonderbar genug: über der Gruppe eines geflügelten Genius und Amor steht: Nie getrennt! und darunter: Dem Tage des zweiten Genusses von J. W. Meil. Rode bot uns eine Menge großer und kleiner Blätter aus der alten und neuen Geschichte von vielem historischen Interesse, aber die Ausführung seiner Radirungen war für uns abschreckend. Eine einfache reine Linie sieht man nirgends, sondern nur eine Reihe oder einen Haufen von In einem solchen Zustande war i. J. 1781 das deutsche Post- und Reisewesen, daß ein Privatmann es als eine wichtige und dankenswerthe Arbeit unternehmen konnte, die genaue Entfernung der von ihm besuchten Städte durch ein neuerfundenes hodometrisches Instrument zu bestimmen. Die Kupfer von Chodowiecki wurden nun erst recht studirt und genossen, da wir uns in der großen Stube viel freier bewegen, und ein Gerüst von umgedrehten Stühlen zur bequemeren Aufstellung der Folianten erbauen durften. Wir gingen in der Reihe der Bände weiter fort, und fanden mehrere mit den Arbeiten von Meil und B. Rode. Meil hat eine zarte Ausführung, aber die Gegenstände bieten zu wenig Interesse; die Kupfer zu Engels Mimik schienen uns leer und ohne besonderen Karakter; wie anders wußte Chodowiecki die verschiedenen Leidenschaften und Affekte der Seele durch die geistreichsten Figuren darzustellen! Meil war mit Nicolai persönlich befreundet, und lieferte die Kupfer zur „Geschichte eines dicken Mannes“, die jedoch hinter den Chodowieckischen Kupfern zum „Sebaldus Nothanker“ gewaltig zurückstehn. Ich bewahre ein kleines Medaillon mit einer sauberen Tuschzeichnung von Meil, die er zu Nicolais silbemer Hochzeit (1785) angefertigt. Die Aufschriften sind sonderbar genug: über der Gruppe eines geflügelten Genius und Amor steht: Nie getrennt! und darunter: Dem Tage des zweiten Genusses von J. W. Meil. Rode bot uns eine Menge großer und kleiner Blätter aus der alten und neuen Geschichte von vielem historischen Interesse, aber die Ausführung seiner Radirungen war für uns abschreckend. Eine einfache reine Linie sieht man nirgends, sondern nur eine Reihe oder einen Haufen von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0174" n="162"/> </p><lb/> <p>In einem solchen Zustande war i. 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Meil war mit Nicolai persönlich befreundet, und lieferte die Kupfer zur „Geschichte eines dicken Mannes“, die jedoch hinter den Chodowieckischen Kupfern zum „Sebaldus Nothanker“ gewaltig zurückstehn. Ich bewahre ein kleines Medaillon mit einer sauberen Tuschzeichnung von Meil, die er zu Nicolais silbemer Hochzeit (1785) angefertigt. Die Aufschriften sind sonderbar genug: über der Gruppe eines geflügelten Genius und Amor steht: Nie getrennt! und darunter: Dem Tage des zweiten Genusses von J. W. Meil. </p><lb/> <p>Rode bot uns eine Menge großer und kleiner Blätter aus der alten und neuen Geschichte von vielem historischen Interesse, aber die Ausführung seiner Radirungen war für uns abschreckend. Eine einfache reine Linie sieht man nirgends, sondern nur eine Reihe oder einen Haufen von </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [162/0174]
In einem solchen Zustande war i. J. 1781 das deutsche Post- und Reisewesen, daß ein Privatmann es als eine wichtige und dankenswerthe Arbeit unternehmen konnte, die genaue Entfernung der von ihm besuchten Städte durch ein neuerfundenes hodometrisches Instrument zu bestimmen.
Die Kupfer von Chodowiecki wurden nun erst recht studirt und genossen, da wir uns in der großen Stube viel freier bewegen, und ein Gerüst von umgedrehten Stühlen zur bequemeren Aufstellung der Folianten erbauen durften. Wir gingen in der Reihe der Bände weiter fort, und fanden mehrere mit den Arbeiten von Meil und B. Rode. Meil hat eine zarte Ausführung, aber die Gegenstände bieten zu wenig Interesse; die Kupfer zu Engels Mimik schienen uns leer und ohne besonderen Karakter; wie anders wußte Chodowiecki die verschiedenen Leidenschaften und Affekte der Seele durch die geistreichsten Figuren darzustellen! Meil war mit Nicolai persönlich befreundet, und lieferte die Kupfer zur „Geschichte eines dicken Mannes“, die jedoch hinter den Chodowieckischen Kupfern zum „Sebaldus Nothanker“ gewaltig zurückstehn. Ich bewahre ein kleines Medaillon mit einer sauberen Tuschzeichnung von Meil, die er zu Nicolais silbemer Hochzeit (1785) angefertigt. Die Aufschriften sind sonderbar genug: über der Gruppe eines geflügelten Genius und Amor steht: Nie getrennt! und darunter: Dem Tage des zweiten Genusses von J. W. Meil.
Rode bot uns eine Menge großer und kleiner Blätter aus der alten und neuen Geschichte von vielem historischen Interesse, aber die Ausführung seiner Radirungen war für uns abschreckend. Eine einfache reine Linie sieht man nirgends, sondern nur eine Reihe oder einen Haufen von
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/174>, abgerufen am 16.02.2025. |