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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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Ecke beim Winkel-Bouche mit einem Strickzeuge in der Hand. Sie mochte 30 oder 40 Jahre haben, aber ihr blasses Gesichtchen zeigte nicht den widerwärtigen Zwergen-Ausdruck. Ein schneeweißes Häubchen bedeckte den kleinen Kopf, über dem Kattunkleidchen trug sie eine reinliche Schürze. Obgleich in den dürftigsten Umständen, bettelte sie nie, nahm aber jede Gabe dankbar an. Ihr freundlich gelispeltes "ich danke, mein Engelchen!" wenn wir ein Geldstück in ihr Kinderhändchen legten, hatte einen unbeschreiblich wohlwollenden Ausdruck. Später mußte ich recht oft an sie denken, wenn ich die wächsernen Götzenbilder der Mutter Maria in den katholischen Kirchen Italiens betrachtete. Als Kinder hielten wir Weberchen für eine Wetterprophetin. Sahen wir sie bei drohendem Himmel an ihrer Ecke, so regnete es an diesem Tage nicht, Sturm und Regen erwarteten wir, wenn sie sich in ihr Häuschen zurückzog, das nur wenige Schritte von ihrem Standorte gelegen, durch die allmälige Erhöhung des Pflasters 4 oder 5 Stufen in die Erde versunken war.

Im großen Garten angekommen, war unsre erste Frage nach dem Vesperbrodt; sobald wir von der Mutter den erbetenen Helling erhalten, eilten wir mit meiner Schwester durch das Wäldchen in den hinteren obstreichen Theil, wo wir so lange verweilten, bis der Vater durch sein helles Pfeifchen uns in den Saal zum Abendbrodte rief. Gewöhnlich waren ein paar Gäste aus der Stadt zugegen, denen wir Abends beim Abschiede, in Begleitung des treuen Wasser, bis an die Ecke des Grünen Weges das Geleit geben durften. Gingen wir in der lauen stockfinstern Sommernacht die stille Lehmgasse zurück, so erweckte ein Blick nach oben in den funkelnden, weitausgespannten

Ecke beim Winkel-Bouché mit einem Strickzeuge in der Hand. Sie mochte 30 oder 40 Jahre haben, aber ihr blasses Gesichtchen zeigte nicht den widerwärtigen Zwergen-Ausdruck. Ein schneeweißes Häubchen bedeckte den kleinen Kopf, über dem Kattunkleidchen trug sie eine reinliche Schürze. Obgleich in den dürftigsten Umständen, bettelte sie nie, nahm aber jede Gabe dankbar an. Ihr freundlich gelispeltes „ich danke, mein Engelchen!“ wenn wir ein Geldstück in ihr Kinderhändchen legten, hatte einen unbeschreiblich wohlwollenden Ausdruck. Später mußte ich recht oft an sie denken, wenn ich die wächsernen Götzenbilder der Mutter Maria in den katholischen Kirchen Italiens betrachtete. Als Kinder hielten wir Weberchen für eine Wetterprophetin. Sahen wir sie bei drohendem Himmel an ihrer Ecke, so regnete es an diesem Tage nicht, Sturm und Regen erwarteten wir, wenn sie sich in ihr Häuschen zurückzog, das nur wenige Schritte von ihrem Standorte gelegen, durch die allmälige Erhöhung des Pflasters 4 oder 5 Stufen in die Erde versunken war.

Im großen Garten angekommen, war unsre erste Frage nach dem Vesperbrodt; sobald wir von der Mutter den erbetenen Helling erhalten, eilten wir mit meiner Schwester durch das Wäldchen in den hinteren obstreichen Theil, wo wir so lange verweilten, bis der Vater durch sein helles Pfeifchen uns in den Saal zum Abendbrodte rief. Gewöhnlich waren ein paar Gäste aus der Stadt zugegen, denen wir Abends beim Abschiede, in Begleitung des treuen Wasser, bis an die Ecke des Grünen Weges das Geleit geben durften. Gingen wir in der lauen stockfinstern Sommernacht die stille Lehmgasse zurück, so erweckte ein Blick nach oben in den funkelnden, weitausgespannten

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[135/0147] Ecke beim Winkel-Bouché mit einem Strickzeuge in der Hand. Sie mochte 30 oder 40 Jahre haben, aber ihr blasses Gesichtchen zeigte nicht den widerwärtigen Zwergen-Ausdruck. Ein schneeweißes Häubchen bedeckte den kleinen Kopf, über dem Kattunkleidchen trug sie eine reinliche Schürze. Obgleich in den dürftigsten Umständen, bettelte sie nie, nahm aber jede Gabe dankbar an. Ihr freundlich gelispeltes „ich danke, mein Engelchen!“ wenn wir ein Geldstück in ihr Kinderhändchen legten, hatte einen unbeschreiblich wohlwollenden Ausdruck. Später mußte ich recht oft an sie denken, wenn ich die wächsernen Götzenbilder der Mutter Maria in den katholischen Kirchen Italiens betrachtete. Als Kinder hielten wir Weberchen für eine Wetterprophetin. Sahen wir sie bei drohendem Himmel an ihrer Ecke, so regnete es an diesem Tage nicht, Sturm und Regen erwarteten wir, wenn sie sich in ihr Häuschen zurückzog, das nur wenige Schritte von ihrem Standorte gelegen, durch die allmälige Erhöhung des Pflasters 4 oder 5 Stufen in die Erde versunken war. Im großen Garten angekommen, war unsre erste Frage nach dem Vesperbrodt; sobald wir von der Mutter den erbetenen Helling erhalten, eilten wir mit meiner Schwester durch das Wäldchen in den hinteren obstreichen Theil, wo wir so lange verweilten, bis der Vater durch sein helles Pfeifchen uns in den Saal zum Abendbrodte rief. Gewöhnlich waren ein paar Gäste aus der Stadt zugegen, denen wir Abends beim Abschiede, in Begleitung des treuen Wasser, bis an die Ecke des Grünen Weges das Geleit geben durften. Gingen wir in der lauen stockfinstern Sommernacht die stille Lehmgasse zurück, so erweckte ein Blick nach oben in den funkelnden, weitausgespannten

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/147>, abgerufen am 24.11.2024.