Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].reif. Aprikosen und Pfirsiche wurden uns zwar nie zum Vesperbrodt preißgegeben, doch pflegte der gute Vater die besten, während des Tages abgenommenen in einer großen Schachtel zu verwahren, bis wir aus der Schule kamen. So floß ein Tag nach dem andern hin. Die sechs Wochen Schulferien im Juli und August glichen anfangs vollkommen dem goldnen Zeitalter, weil wir von früh bis Abends im Freien bleiben konnten, wurden aber gegen das Ende durch die unnennbare Qual der Ferienarbeiten getrübt, die doch zuletzt gemacht werden mußten. Ich habe seitdem mit vielen mir befreundeten Schuldirektoren über diese Unsitte disputirt, sie haben mir auch meistentheils eingeräumt, daß Ferien, in denen man arbeitet, eben keine Ferien sind; allein so viel ich weiß, geht der alte Schlendrian noch immer so fort, und vergällt den armen, Jahr aus Jahr ein geplagten Schulkindern den einzigen reinen Genuß, den sie haben könnten, einige Wochen ganz ohne Arbeit zu sein. Bald nach den Hundstags-Ferien fingen schon die Pflaumen an, durch leichte Nachtfröste runzlich, aber desto schmackhafter zu werden. Dann kam allmälig die Birnen- und Apfelzeit heran. Diese wurde indessen nicht oft im großen Garten abgewartet; nur die frühen Birnensorten dienten dem Vesperbrodt, die spätern lagen vorsichtig ausgebreitet auf einem großen Billard im Oberstock. Selten blieb der September ganz schön; dichte Herbstnebel hüllten am Morgen alle Nähen und Fernen in einen magischen Schleier; es war für die Kinder ein höchst wunderbares Gefühl, die hohen Pappeln hinter dem Grasplatze nicht sehn zu können. Brach dann die Sonne reif. Aprikosen und Pfirsiche wurden uns zwar nie zum Vesperbrodt preißgegeben, doch pflegte der gute Vater die besten, während des Tages abgenommenen in einer großen Schachtel zu verwahren, bis wir aus der Schule kamen. So floß ein Tag nach dem andern hin. Die sechs Wochen Schulferien im Juli und August glichen anfangs vollkommen dem goldnen Zeitalter, weil wir von früh bis Abends im Freien bleiben konnten, wurden aber gegen das Ende durch die unnennbare Qual der Ferienarbeiten getrübt, die doch zuletzt gemacht werden mußten. Ich habe seitdem mit vielen mir befreundeten Schuldirektoren über diese Unsitte disputirt, sie haben mir auch meistentheils eingeräumt, daß Ferien, in denen man arbeitet, eben keine Ferien sind; allein so viel ich weiß, geht der alte Schlendrian noch immer so fort, und vergällt den armen, Jahr aus Jahr ein geplagten Schulkindern den einzigen reinen Genuß, den sie haben könnten, einige Wochen ganz ohne Arbeit zu sein. Bald nach den Hundstags-Ferien fingen schon die Pflaumen an, durch leichte Nachtfröste runzlich, aber desto schmackhafter zu werden. Dann kam allmälig die Birnen- und Apfelzeit heran. Diese wurde indessen nicht oft im großen Garten abgewartet; nur die frühen Birnensorten dienten dem Vesperbrodt, die spätern lagen vorsichtig ausgebreitet auf einem großen Billard im Oberstock. Selten blieb der September ganz schön; dichte Herbstnebel hüllten am Morgen alle Nähen und Fernen in einen magischen Schleier; es war für die Kinder ein höchst wunderbares Gefühl, die hohen Pappeln hinter dem Grasplatze nicht sehn zu können. Brach dann die Sonne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0132" n="120"/> reif. Aprikosen und Pfirsiche wurden uns zwar nie zum Vesperbrodt preißgegeben, doch pflegte der gute Vater die besten, während des Tages abgenommenen in einer großen Schachtel zu verwahren, bis wir aus der Schule kamen. </p><lb/> <p>So floß ein Tag nach dem andern hin. Die sechs Wochen Schulferien im Juli und August glichen anfangs vollkommen dem goldnen Zeitalter, weil wir von früh bis Abends im Freien bleiben konnten, wurden aber gegen das Ende durch die unnennbare Qual der Ferienarbeiten getrübt, die doch zuletzt gemacht werden mußten. Ich habe seitdem mit vielen mir befreundeten Schuldirektoren über diese Unsitte disputirt, sie haben mir auch meistentheils eingeräumt, daß Ferien, in denen man arbeitet, eben keine Ferien sind; allein so viel ich weiß, geht der alte Schlendrian noch immer so fort, und vergällt den armen, Jahr aus Jahr ein geplagten Schulkindern den einzigen reinen Genuß, den sie haben könnten, einige Wochen ganz ohne Arbeit zu sein. </p><lb/> <p>Bald nach den Hundstags-Ferien fingen schon die Pflaumen an, durch leichte Nachtfröste runzlich, aber desto schmackhafter zu werden. Dann kam allmälig die Birnen- und Apfelzeit heran. 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reif. Aprikosen und Pfirsiche wurden uns zwar nie zum Vesperbrodt preißgegeben, doch pflegte der gute Vater die besten, während des Tages abgenommenen in einer großen Schachtel zu verwahren, bis wir aus der Schule kamen.
So floß ein Tag nach dem andern hin. Die sechs Wochen Schulferien im Juli und August glichen anfangs vollkommen dem goldnen Zeitalter, weil wir von früh bis Abends im Freien bleiben konnten, wurden aber gegen das Ende durch die unnennbare Qual der Ferienarbeiten getrübt, die doch zuletzt gemacht werden mußten. Ich habe seitdem mit vielen mir befreundeten Schuldirektoren über diese Unsitte disputirt, sie haben mir auch meistentheils eingeräumt, daß Ferien, in denen man arbeitet, eben keine Ferien sind; allein so viel ich weiß, geht der alte Schlendrian noch immer so fort, und vergällt den armen, Jahr aus Jahr ein geplagten Schulkindern den einzigen reinen Genuß, den sie haben könnten, einige Wochen ganz ohne Arbeit zu sein.
Bald nach den Hundstags-Ferien fingen schon die Pflaumen an, durch leichte Nachtfröste runzlich, aber desto schmackhafter zu werden. Dann kam allmälig die Birnen- und Apfelzeit heran. Diese wurde indessen nicht oft im großen Garten abgewartet; nur die frühen Birnensorten dienten dem Vesperbrodt, die spätern lagen vorsichtig ausgebreitet auf einem großen Billard im Oberstock.
Selten blieb der September ganz schön; dichte Herbstnebel hüllten am Morgen alle Nähen und Fernen in einen magischen Schleier; es war für die Kinder ein höchst wunderbares Gefühl, die hohen Pappeln hinter dem Grasplatze nicht sehn zu können. Brach dann die Sonne
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/132>, abgerufen am 16.02.2025. |