Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Schon früher hatte der Herzog in Deutschland große Güterankäufe gemacht; in Schlesien erwarb er das Herzogthum Sagan, in Böhmen die Herrschaft Nachod, in Sachsen das Landgut Löbichau. In Berlin besaß die Herzogin ein schönes Haus unter den Linden No. 7, das in meiner Jugend allgemein mit dem Namen des kurländischen Hauses bezeichnet wurde. Sie richtete sich darin auf das geschmackvollste ein, und versammelte einen Kreis von allen Berliner Notabilitäten um sich. Von den vier Töchtern der Herzogin erhielt die älteste, Wilhelmine, das Herzogthum Sagan; sie war zuerst an den französischen Prinzen Rohan, dann an den russischen Fürsten Trubetzkoi verheirathet. Die zweite Tochter Pauline heirathete den regierenden Fürsten von Hohenzollern-Hechingen, die dritte, Jeanette, den neapolitanischen Fürsten Acerenza-Pignatelli. Die vierte Tochter Dorothea lebte bei ihrer Mutter; sie war im Jahre 1806, als wir Kinder anfingen in das herzogliche Haus zu kommen, 18 Jahr alt und von wunderbarer Schönheit. Als ich später den Wilhelm Meister las, bemerkte ich, daß das Bild, welches ich mir von Mignon machte, der Prinzessin Dorothea glich. Die dunkeln unergründlichen Augen hielt man anfangs für braun, sie waren aber von einem intensiven Blau; Stirn und Nasenwurzel von vollendeter griechischer Reinheit, die Nase selbst vielleicht etwas zu lang, die Oberlippe von wahrhaft klassischem Schnitt, das Oval des Gesichtes von feinster Zeichnung. Ihr rabenschwarzes glänzendes Haar trug sie ganz einfach gescheitelt, und hinten in einen Knoten geschürzt. Beim Sprechen stieß sie ein ganz klein wenig mit der Zunge an, und dies gab ihr in unsern Augen einen noch größeren Liebreiz. Da Schon früher hatte der Herzog in Deutschland große Güterankäufe gemacht; in Schlesien erwarb er das Herzogthum Sagan, in Böhmen die Herrschaft Nachod, in Sachsen das Landgut Löbichau. In Berlin besaß die Herzogin ein schönes Haus unter den Linden No. 7, das in meiner Jugend allgemein mit dem Namen des kurländischen Hauses bezeichnet wurde. Sie richtete sich darin auf das geschmackvollste ein, und versammelte einen Kreis von allen Berliner Notabilitäten um sich. Von den vier Töchtern der Herzogin erhielt die älteste, Wilhelmine, das Herzogthum Sagan; sie war zuerst an den französischen Prinzen Rohan, dann an den russischen Fürsten Trubetzkoi verheirathet. Die zweite Tochter Pauline heirathete den regierenden Fürsten von Hohenzollern-Hechingen, die dritte, Jeanette, den neapolitanischen Fürsten Acerenza-Pignatelli. Die vierte Tochter Dorothea lebte bei ihrer Mutter; sie war im Jahre 1806, als wir Kinder anfingen in das herzogliche Haus zu kommen, 18 Jahr alt und von wunderbarer Schönheit. Als ich später den Wilhelm Meister las, bemerkte ich, daß das Bild, welches ich mir von Mignon machte, der Prinzessin Dorothea glich. Die dunkeln unergründlichen Augen hielt man anfangs für braun, sie waren aber von einem intensiven Blau; Stirn und Nasenwurzel von vollendeter griechischer Reinheit, die Nase selbst vielleicht etwas zu lang, die Oberlippe von wahrhaft klassischem Schnitt, das Oval des Gesichtes von feinster Zeichnung. Ihr rabenschwarzes glänzendes Haar trug sie ganz einfach gescheitelt, und hinten in einen Knoten geschürzt. Beim Sprechen stieß sie ein ganz klein wenig mit der Zunge an, und dies gab ihr in unsern Augen einen noch größeren Liebreiz. 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Die vierte Tochter Dorothea lebte bei ihrer Mutter; sie war im Jahre 1806, als wir Kinder anfingen in das herzogliche Haus zu kommen, 18 Jahr alt und von wunderbarer Schönheit. Als ich später den Wilhelm Meister las, bemerkte ich, daß das Bild, welches ich mir von Mignon machte, der Prinzessin Dorothea glich. Die dunkeln unergründlichen Augen hielt man anfangs für braun, sie waren aber von einem intensiven Blau; Stirn und Nasenwurzel von vollendeter griechischer Reinheit, die Nase selbst vielleicht etwas zu lang, die Oberlippe von wahrhaft klassischem Schnitt, das Oval des Gesichtes von feinster Zeichnung. Ihr rabenschwarzes glänzendes Haar trug sie ganz einfach gescheitelt, und hinten in einen Knoten geschürzt. Beim Sprechen stieß sie ein ganz klein wenig mit der Zunge an, und dies gab ihr in unsern Augen einen noch größeren Liebreiz. Da </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0108]
Schon früher hatte der Herzog in Deutschland große Güterankäufe gemacht; in Schlesien erwarb er das Herzogthum Sagan, in Böhmen die Herrschaft Nachod, in Sachsen das Landgut Löbichau. In Berlin besaß die Herzogin ein schönes Haus unter den Linden No. 7, das in meiner Jugend allgemein mit dem Namen des kurländischen Hauses bezeichnet wurde. Sie richtete sich darin auf das geschmackvollste ein, und versammelte einen Kreis von allen Berliner Notabilitäten um sich.
Von den vier Töchtern der Herzogin erhielt die älteste, Wilhelmine, das Herzogthum Sagan; sie war zuerst an den französischen Prinzen Rohan, dann an den russischen Fürsten Trubetzkoi verheirathet. Die zweite Tochter Pauline heirathete den regierenden Fürsten von Hohenzollern-Hechingen, die dritte, Jeanette, den neapolitanischen Fürsten Acerenza-Pignatelli. Die vierte Tochter Dorothea lebte bei ihrer Mutter; sie war im Jahre 1806, als wir Kinder anfingen in das herzogliche Haus zu kommen, 18 Jahr alt und von wunderbarer Schönheit. Als ich später den Wilhelm Meister las, bemerkte ich, daß das Bild, welches ich mir von Mignon machte, der Prinzessin Dorothea glich. Die dunkeln unergründlichen Augen hielt man anfangs für braun, sie waren aber von einem intensiven Blau; Stirn und Nasenwurzel von vollendeter griechischer Reinheit, die Nase selbst vielleicht etwas zu lang, die Oberlippe von wahrhaft klassischem Schnitt, das Oval des Gesichtes von feinster Zeichnung. Ihr rabenschwarzes glänzendes Haar trug sie ganz einfach gescheitelt, und hinten in einen Knoten geschürzt. Beim Sprechen stieß sie ein ganz klein wenig mit der Zunge an, und dies gab ihr in unsern Augen einen noch größeren Liebreiz. Da
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/108>, abgerufen am 16.02.2025. |