Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Die Bauernhäuser stachen gegen das schmucke Pfarrhaus gewaltig ab, und erweckten den Eindruck des tiefsten Elends. Wir betraten hier zum ersten Male die niedrigen Stuben, deren dumpfe Luft uns den Athem versetzte, und sahen die dürftigen, zerlumpten Gestalten der Bewohner, denen man es anmerkte, daß sie der unfruchtbaren Natur kaum das nackte Dasein abringen konnten. Die Lasten des damaligen Krieges trugen mit dazu bei, den Zustand noch zu verschlechtern. Die Erinnerung an diese platte Sandexistenz hat mich lange nicht verlassen. Es ist seitdem unendlich viel zur Verbesserung der bäuerlichen Verhältnisse in den Marken geschehn, und Schöneiche ist ein recht freundliches Dorf geworden, aber der Fluch, den die Natur über diese unwirthbaren Flächen verhängt, wird sich nie ganz aufheben lassen. Einer sonderbaren Liebhaberei des Predigers Dapp will ich hier gedenken. Er behauptete, jeder Mensch müsse etwas sammeln. Da ihm zu einer Sammlung von Gemälden, Kupfern, Münzen etc. die Mittel fehlten, so sammelte er alle deutschen Eigennamen auf -mann, und hatte deren damals aus Zeitungen, Büchern und mündlicher Mittheilung an 20 oder 30,000 beisammen, alphabetisch geordnet und mit den gehörigen Beweisstellen versehn. Da ich zufällig den Namen eines Mitschülers Pillemann nannte, so schlug er in seinem Register nach, und war sehr verwundert ihn noch nicht zu haben. Er trug ihn sogleich nach mit dem Vermerke: "Pillemann, Schüler der Hartungschen Bürgerschule in Berlin." Was nach seinem Tode aus der Sammlung geworden, wüßte ich nicht anzugeben; sie könnte für ein allgemeines deutsches Onomasticon von Werth sein. Die Bauernhäuser stachen gegen das schmucke Pfarrhaus gewaltig ab, und erweckten den Eindruck des tiefsten Elends. Wir betraten hier zum ersten Male die niedrigen Stuben, deren dumpfe Luft uns den Athem versetzte, und sahen die dürftigen, zerlumpten Gestalten der Bewohner, denen man es anmerkte, daß sie der unfruchtbaren Natur kaum das nackte Dasein abringen konnten. Die Lasten des damaligen Krieges trugen mit dazu bei, den Zustand noch zu verschlechtern. Die Erinnerung an diese platte Sandexistenz hat mich lange nicht verlassen. Es ist seitdem unendlich viel zur Verbesserung der bäuerlichen Verhältnisse in den Marken geschehn, und Schöneiche ist ein recht freundliches Dorf geworden, aber der Fluch, den die Natur über diese unwirthbaren Flächen verhängt, wird sich nie ganz aufheben lassen. Einer sonderbaren Liebhaberei des Predigers Dapp will ich hier gedenken. Er behauptete, jeder Mensch müsse etwas sammeln. Da ihm zu einer Sammlung von Gemälden, Kupfern, Münzen etc. die Mittel fehlten, so sammelte er alle deutschen Eigennamen auf -mann, und hatte deren damals aus Zeitungen, Büchern und mündlicher Mittheilung an 20 oder 30,000 beisammen, alphabetisch geordnet und mit den gehörigen Beweisstellen versehn. Da ich zufällig den Namen eines Mitschülers Pillemann nannte, so schlug er in seinem Register nach, und war sehr verwundert ihn noch nicht zu haben. Er trug ihn sogleich nach mit dem Vermerke: „Pillemann, Schüler der Hartungschen Bürgerschule in Berlin.“ Was nach seinem Tode aus der Sammlung geworden, wüßte ich nicht anzugeben; sie könnte für ein allgemeines deutsches Onomasticon von Werth sein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0104" n="92"/> </p><lb/> <p>Die Bauernhäuser stachen gegen das schmucke Pfarrhaus gewaltig ab, und erweckten den Eindruck des tiefsten Elends. Wir betraten hier zum ersten Male die niedrigen Stuben, deren dumpfe Luft uns den Athem versetzte, und sahen die dürftigen, zerlumpten Gestalten der Bewohner, denen man es anmerkte, daß sie der unfruchtbaren Natur kaum das nackte Dasein abringen konnten. Die Lasten des damaligen Krieges trugen mit dazu bei, den Zustand noch zu verschlechtern. Die Erinnerung an diese platte Sandexistenz hat mich lange nicht verlassen. Es ist seitdem unendlich viel zur Verbesserung der bäuerlichen Verhältnisse in den Marken geschehn, und Schöneiche ist ein recht freundliches Dorf geworden, aber der Fluch, den die Natur über diese unwirthbaren Flächen verhängt, wird sich nie ganz aufheben lassen. </p><lb/> <p>Einer sonderbaren Liebhaberei des Predigers Dapp will ich hier gedenken. Er behauptete, jeder Mensch müsse etwas sammeln. Da ihm zu einer Sammlung von Gemälden, Kupfern, Münzen etc. die Mittel fehlten, so sammelte er alle deutschen Eigennamen auf -mann, und hatte deren damals aus Zeitungen, Büchern und mündlicher Mittheilung an 20 oder 30,000 beisammen, alphabetisch geordnet und mit den gehörigen Beweisstellen versehn. Da ich zufällig den Namen eines Mitschülers Pillemann nannte, so schlug er in seinem Register nach, und war sehr verwundert ihn noch nicht zu haben. Er trug ihn sogleich nach mit dem Vermerke: „Pillemann, Schüler der Hartungschen Bürgerschule in Berlin.“ Was nach seinem Tode aus der Sammlung geworden, wüßte ich nicht anzugeben; sie könnte für ein allgemeines deutsches Onomasticon von Werth sein. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0104]
Die Bauernhäuser stachen gegen das schmucke Pfarrhaus gewaltig ab, und erweckten den Eindruck des tiefsten Elends. Wir betraten hier zum ersten Male die niedrigen Stuben, deren dumpfe Luft uns den Athem versetzte, und sahen die dürftigen, zerlumpten Gestalten der Bewohner, denen man es anmerkte, daß sie der unfruchtbaren Natur kaum das nackte Dasein abringen konnten. Die Lasten des damaligen Krieges trugen mit dazu bei, den Zustand noch zu verschlechtern. Die Erinnerung an diese platte Sandexistenz hat mich lange nicht verlassen. Es ist seitdem unendlich viel zur Verbesserung der bäuerlichen Verhältnisse in den Marken geschehn, und Schöneiche ist ein recht freundliches Dorf geworden, aber der Fluch, den die Natur über diese unwirthbaren Flächen verhängt, wird sich nie ganz aufheben lassen.
Einer sonderbaren Liebhaberei des Predigers Dapp will ich hier gedenken. Er behauptete, jeder Mensch müsse etwas sammeln. Da ihm zu einer Sammlung von Gemälden, Kupfern, Münzen etc. die Mittel fehlten, so sammelte er alle deutschen Eigennamen auf -mann, und hatte deren damals aus Zeitungen, Büchern und mündlicher Mittheilung an 20 oder 30,000 beisammen, alphabetisch geordnet und mit den gehörigen Beweisstellen versehn. Da ich zufällig den Namen eines Mitschülers Pillemann nannte, so schlug er in seinem Register nach, und war sehr verwundert ihn noch nicht zu haben. Er trug ihn sogleich nach mit dem Vermerke: „Pillemann, Schüler der Hartungschen Bürgerschule in Berlin.“ Was nach seinem Tode aus der Sammlung geworden, wüßte ich nicht anzugeben; sie könnte für ein allgemeines deutsches Onomasticon von Werth sein.
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