Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.jüdischen Haushaltungsschulen zu empfehlen, einer solchen Abend- oder Samstagsschule einen Raum zur Verfügung zu stellen. An dem Unterricht sollten dabei auch die Schülerinnen der Haushaltungsschule, die zum großen Teil aus Analphabetinnen bestehen, teilnehmen. Ein solches Experiment ließe sich mit am besten an der Stanislauer Haushaltungsschule machen, wo die zionistische weibliche Abendschule bereits anregend gewirkt hat. Eine solche Abendschule ließe sich mit einer Flickschule vereinigen, wobei die Schülerinnen in zwei Schichten eingeteilt werden müßten, von welchen jede abwechselnd den Unterricht in den Schulfächern und im Flicken genießt. Auf ähnlichen Prinzipien wie die Abendschulen, werden in Ländern mit einer starken analphabetischen Bevölkerung Mädchenklubs eingerichtet. Die Mädchen werden dort in einige Gruppen eingeteilt, die sich je nach den Bedürfnissen, die sie in die Klubs führt, bilden. Die eine Gruppe wird im Lesen und Schreiben unterrichtet, die andere im Flicken oder Handarbeit, die dritte liest aus einer eigens dazu eingerichteten Bibliothek, die vierte unterhält sich, hört Musik oder irgend einen Vortrag, der zu diesem Zwecke im Raume des Klubs abgehalten wird. Ein solches Unternehmen ist viel kostspieliger als eine Abendschule und bedarf einer eigenen Gründung. Ein Klub kann aber auch allmählich als Erweiterung einer Abendschule entstehen. Einen ferneren Schritt zur Erweiterung der Volksbildung und Volkserziehung bilden die Volksuniversitäten. Auch hier haben die Zionisten Galiziens vorbildlich gewirkt. So gibt es zionistische Toynbeehalls in Lemberg und Tarnapol. Wir konnten dieselben leider nicht sehen, da wir während der Ferienzeit dort waren. Jedenfalls sind solche Unternehmungen zu begrüßen, doch glaube ich, daß die Einrichtung von Abendschulen speziell in Galizien von einer viel größeren Tragweite werden kann, als anderswo. Dort ist das Verhältnis zwischen Schüler und Schulleiter viel intimer, der Leiter kann die Schüler fortwährend beobachten und fördern: er kommt mit ihnen regelmäßig zusammen, kann einen Einblick in ihre Lebensverhältnisse gewinnen und allmählich aus dem Lehrer zum Freunde seiner Schüler werden. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Verbreitung von jüdischen Mädchenklubs jüdischen Haushaltungsschulen zu empfehlen, einer solchen Abend- oder Samstagsschule einen Raum zur Verfügung zu stellen. An dem Unterricht sollten dabei auch die Schülerinnen der Haushaltungsschule, die zum großen Teil aus Analphabetinnen bestehen, teilnehmen. Ein solches Experiment ließe sich mit am besten an der Stanislauer Haushaltungsschule machen, wo die zionistische weibliche Abendschule bereits anregend gewirkt hat. Eine solche Abendschule ließe sich mit einer Flickschule vereinigen, wobei die Schülerinnen in zwei Schichten eingeteilt werden müßten, von welchen jede abwechselnd den Unterricht in den Schulfächern und im Flicken genießt. Auf ähnlichen Prinzipien wie die Abendschulen, werden in Ländern mit einer starken analphabetischen Bevölkerung Mädchenklubs eingerichtet. Die Mädchen werden dort in einige Gruppen eingeteilt, die sich je nach den Bedürfnissen, die sie in die Klubs führt, bilden. Die eine Gruppe wird im Lesen und Schreiben unterrichtet, die andere im Flicken oder Handarbeit, die dritte liest aus einer eigens dazu eingerichteten Bibliothek, die vierte unterhält sich, hört Musik oder irgend einen Vortrag, der zu diesem Zwecke im Raume des Klubs abgehalten wird. Ein solches Unternehmen ist viel kostspieliger als eine Abendschule und bedarf einer eigenen Gründung. Ein Klub kann aber auch allmählich als Erweiterung einer Abendschule entstehen. Einen ferneren Schritt zur Erweiterung der Volksbildung und Volkserziehung bilden die Volksuniversitäten. Auch hier haben die Zionisten Galiziens vorbildlich gewirkt. So gibt es zionistische Toynbeehalls in Lemberg und Tarnapol. Wir konnten dieselben leider nicht sehen, da wir während der Ferienzeit dort waren. Jedenfalls sind solche Unternehmungen zu begrüßen, doch glaube ich, daß die Einrichtung von Abendschulen speziell in Galizien von einer viel größeren Tragweite werden kann, als anderswo. Dort ist das Verhältnis zwischen Schüler und Schulleiter viel intimer, der Leiter kann die Schüler fortwährend beobachten und fördern: er kommt mit ihnen regelmäßig zusammen, kann einen Einblick in ihre Lebensverhältnisse gewinnen und allmählich aus dem Lehrer zum Freunde seiner Schüler werden. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Verbreitung von jüdischen Mädchenklubs <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0093" n="93"/> jüdischen Haushaltungsschulen zu empfehlen, einer solchen Abend- oder Samstagsschule einen Raum zur Verfügung zu stellen. An dem Unterricht sollten dabei auch die Schülerinnen der Haushaltungsschule, die zum großen Teil aus Analphabetinnen bestehen, teilnehmen. Ein solches Experiment ließe sich mit am besten an der Stanislauer Haushaltungsschule machen, wo die zionistische weibliche Abendschule bereits anregend gewirkt hat.</p> <p>Eine solche Abendschule ließe sich mit einer Flickschule vereinigen, wobei die Schülerinnen in zwei Schichten eingeteilt werden müßten, von welchen jede abwechselnd den Unterricht in den Schulfächern und im Flicken genießt.</p> <p>Auf ähnlichen Prinzipien wie die Abendschulen, werden in Ländern mit einer starken analphabetischen Bevölkerung Mädchenklubs eingerichtet. Die Mädchen werden dort in einige Gruppen eingeteilt, die sich je nach den Bedürfnissen, die sie in die Klubs führt, bilden. Die eine Gruppe wird im Lesen und Schreiben unterrichtet, die andere im Flicken oder Handarbeit, die dritte liest aus einer eigens dazu eingerichteten Bibliothek, die vierte unterhält sich, hört Musik oder irgend einen Vortrag, der zu diesem Zwecke im Raume des Klubs abgehalten wird.</p> <p>Ein solches Unternehmen ist viel kostspieliger als eine Abendschule und bedarf einer eigenen Gründung. Ein Klub kann aber auch allmählich als Erweiterung einer Abendschule entstehen.</p> <p>Einen ferneren Schritt zur Erweiterung der Volksbildung und Volkserziehung bilden die Volksuniversitäten. Auch hier haben die Zionisten Galiziens vorbildlich gewirkt. So gibt es zionistische Toynbeehalls in Lemberg und Tarnapol. Wir konnten dieselben leider nicht sehen, da wir während der Ferienzeit dort waren.</p> <p>Jedenfalls sind solche Unternehmungen zu begrüßen, doch glaube ich, daß die Einrichtung von Abendschulen speziell in Galizien von einer viel größeren Tragweite werden kann, als anderswo. Dort ist das Verhältnis zwischen Schüler und Schulleiter viel intimer, der Leiter kann die Schüler fortwährend beobachten und fördern: er kommt mit ihnen regelmäßig zusammen, kann einen Einblick in ihre Lebensverhältnisse gewinnen und allmählich aus dem Lehrer zum Freunde seiner Schüler werden. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Verbreitung von jüdischen Mädchenklubs </p> </div> </body> </text> </TEI> [93/0093]
jüdischen Haushaltungsschulen zu empfehlen, einer solchen Abend- oder Samstagsschule einen Raum zur Verfügung zu stellen. An dem Unterricht sollten dabei auch die Schülerinnen der Haushaltungsschule, die zum großen Teil aus Analphabetinnen bestehen, teilnehmen. Ein solches Experiment ließe sich mit am besten an der Stanislauer Haushaltungsschule machen, wo die zionistische weibliche Abendschule bereits anregend gewirkt hat.
Eine solche Abendschule ließe sich mit einer Flickschule vereinigen, wobei die Schülerinnen in zwei Schichten eingeteilt werden müßten, von welchen jede abwechselnd den Unterricht in den Schulfächern und im Flicken genießt.
Auf ähnlichen Prinzipien wie die Abendschulen, werden in Ländern mit einer starken analphabetischen Bevölkerung Mädchenklubs eingerichtet. Die Mädchen werden dort in einige Gruppen eingeteilt, die sich je nach den Bedürfnissen, die sie in die Klubs führt, bilden. Die eine Gruppe wird im Lesen und Schreiben unterrichtet, die andere im Flicken oder Handarbeit, die dritte liest aus einer eigens dazu eingerichteten Bibliothek, die vierte unterhält sich, hört Musik oder irgend einen Vortrag, der zu diesem Zwecke im Raume des Klubs abgehalten wird.
Ein solches Unternehmen ist viel kostspieliger als eine Abendschule und bedarf einer eigenen Gründung. Ein Klub kann aber auch allmählich als Erweiterung einer Abendschule entstehen.
Einen ferneren Schritt zur Erweiterung der Volksbildung und Volkserziehung bilden die Volksuniversitäten. Auch hier haben die Zionisten Galiziens vorbildlich gewirkt. So gibt es zionistische Toynbeehalls in Lemberg und Tarnapol. Wir konnten dieselben leider nicht sehen, da wir während der Ferienzeit dort waren.
Jedenfalls sind solche Unternehmungen zu begrüßen, doch glaube ich, daß die Einrichtung von Abendschulen speziell in Galizien von einer viel größeren Tragweite werden kann, als anderswo. Dort ist das Verhältnis zwischen Schüler und Schulleiter viel intimer, der Leiter kann die Schüler fortwährend beobachten und fördern: er kommt mit ihnen regelmäßig zusammen, kann einen Einblick in ihre Lebensverhältnisse gewinnen und allmählich aus dem Lehrer zum Freunde seiner Schüler werden. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Verbreitung von jüdischen Mädchenklubs
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/93 |
Zitationshilfe: | Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/93>, abgerufen am 27.07.2024. |