Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.Akt ist der Selbstmord so berechtigt wie das Niesen, das Spuken. Es muss eben geschehen. Es ist ein fisiologischer Akt. §. 31. Eines der schlagendsten Beispiele von der Zerstörung der Illusion durch Entlastung nach Aussen bildet die sexuelle Kohabitazion. Vor dem "Aktus" die Illusion der Verzükung in einen Gegenstand, der nach dem "Aktus", wenigstens in der Richtung, kalt und langweilig erscheint. - Vor dem "Aktus" die Illusion, der begehrte Gegenstand bilde den Gegenstand der Verzükung, während sich bald ergibt, dass es der eigene Körper, das eigene Ich, war. Die eigene Illusion des Entzückens ist davon. "Omne animal post coitum triste." - Während des libidinösen Aktes die Empfindung des ohnmächtigen Sich-Auflösens in den begehrten Gegenstand, was in dem Moment, in dem das Gehirn die Täuschung verzehrt hat, und die Entlastung erfolgt ist, sich als Wahn ergibt, denn zwei gleich im Begehren, für sich egoistische, stumpfsinnige Leiber bleiben als Resultat zurück. "Mit dem Gürtel, mit dem Schleier Reisst der schöne Wahn entzwei." Die Welt, die ihre Geschichte immer von Illusion zu Illusion schreibt - "Als noch das Lämpchen glüht" - statt wie der Denker von Desillusion zu Desillusion, sammelt nur die ihr günstig scheinenden Momente, wenn sie den Kopf voll hat, - aber entscheidend ist nur der Moment der Abstossung, der Entlastung, der Explosion; denn nur dies reinigt den Kopf und schaft Plaz für Nachfolgendes. Die reichste Geschichte hat derjenige, der die meisten Illusionen aus sich herausschleudert. §. 32. Unser Sistem ist kein Bestehendes, sondern ein Bewegtes; kein Kredo, sondern eine Insinuazion. Keine Lehrsaz, sondern eine Funkzion; keine Weltanschauung, sondern ein Akt ist der Selbstmord so berechtigt wie das Niesen, das Spuken. Es muss eben geschehen. Es ist ein fisiologischer Akt. §. 31. Eines der schlagendsten Beispiele von der Zerstörung der Illusion durch Entlastung nach Aussen bildet die sexuelle Kohabitazion. Vor dem „Aktus“ die Illusion der Verzükung in einen Gegenstand, der nach dem „Aktus“, wenigstens in der Richtung, kalt und langweilig erscheint. – Vor dem „Aktus“ die Illusion, der begehrte Gegenstand bilde den Gegenstand der Verzükung, während sich bald ergibt, dass es der eigene Körper, das eigene Ich, war. Die eigene Illusion des Entzückens ist davon. „Omne animal post coitum triste.“ – Während des libidinösen Aktes die Empfindung des ohnmächtigen Sich-Auflösens in den begehrten Gegenstand, was in dem Moment, in dem das Gehirn die Täuschung verzehrt hat, und die Entlastung erfolgt ist, sich als Wahn ergibt, denn zwei gleich im Begehren, für sich egoistische, stumpfsinnige Leiber bleiben als Resultat zurück. „Mit dem Gürtel, mit dem Schleier Reisst der schöne Wahn entzwei.“ Die Welt, die ihre Geschichte immer von Illusion zu Illusion schreibt – „Als noch das Lämpchen glüht“ – statt wie der Denker von Desillusion zu Desillusion, sammelt nur die ihr günstig scheinenden Momente, wenn sie den Kopf voll hat, – aber entscheidend ist nur der Moment der Abstossung, der Entlastung, der Explosion; denn nur dies reinigt den Kopf und schaft Plaz für Nachfolgendes. Die reichste Geschichte hat derjenige, der die meisten Illusionen aus sich herausschleudert. §. 32. Unser Sistem ist kein Bestehendes, sondern ein Bewegtes; kein Kredo, sondern eine Insinuazion. Keine Lehrsaz, sondern eine Funkzion; keine Weltanschauung, sondern ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0057" n="56"/> Akt ist der Selbstmord so berechtigt wie das Niesen, das Spuken. Es muss eben geschehen. Es ist ein fisiologischer Akt.</p> </div> <div n="2"> <head>§. 31.</head><lb/> <p>Eines der schlagendsten Beispiele von der Zerstörung der Illusion durch Entlastung nach Aussen bildet die sexuelle Kohabitazion. Vor dem „Aktus“ die Illusion der Verzükung in einen Gegenstand, der nach dem „Aktus“, wenigstens in <hi rendition="#g">der</hi> Richtung, kalt und langweilig erscheint. – Vor dem „Aktus“ die Illusion, der begehrte Gegenstand bilde den Gegenstand der Verzükung, während sich bald ergibt, dass es der eigene Körper, das eigene Ich, <hi rendition="#g">war</hi>. Die eigene Illusion des Entzückens ist davon. „Omne animal post coitum triste.“ – Während des libidinösen Aktes die Empfindung des ohnmächtigen Sich-Auflösens <hi rendition="#g">in den</hi> begehrten Gegenstand, was in dem Moment, in dem das Gehirn die Täuschung verzehrt hat, und die Entlastung erfolgt ist, sich als Wahn ergibt, denn zwei gleich im Begehren, <hi rendition="#g">für sich</hi> egoistische, stumpfsinnige Leiber bleiben als Resultat zurück.</p> <lg type="poem"> <l>„Mit dem Gürtel, mit dem Schleier</l><lb/> <l>Reisst der schöne Wahn entzwei.“</l><lb/> </lg> <p>Die Welt, die ihre Geschichte immer von Illusion zu Illusion schreibt – „Als noch das Lämpchen glüht“ – statt wie der Denker von Desillusion zu Desillusion, sammelt nur die ihr günstig scheinenden Momente, wenn sie den Kopf voll hat, – aber entscheidend ist nur der Moment der Abstossung, der Entlastung, der Explosion; denn nur dies reinigt den Kopf und schaft Plaz für Nachfolgendes. Die reichste Geschichte hat derjenige, der die meisten Illusionen aus sich herausschleudert.</p> </div> <div n="2"> <head>§. 32.</head><lb/> <p>Unser Sistem ist kein Bestehendes, sondern ein Bewegtes; kein Kredo, sondern eine Insinuazion. Keine Lehrsaz, sondern eine Funkzion; keine <choice><sic>Weltauschauung</sic><corr>Weltanschauung</corr></choice>, sondern ein </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0057]
Akt ist der Selbstmord so berechtigt wie das Niesen, das Spuken. Es muss eben geschehen. Es ist ein fisiologischer Akt.
§. 31.
Eines der schlagendsten Beispiele von der Zerstörung der Illusion durch Entlastung nach Aussen bildet die sexuelle Kohabitazion. Vor dem „Aktus“ die Illusion der Verzükung in einen Gegenstand, der nach dem „Aktus“, wenigstens in der Richtung, kalt und langweilig erscheint. – Vor dem „Aktus“ die Illusion, der begehrte Gegenstand bilde den Gegenstand der Verzükung, während sich bald ergibt, dass es der eigene Körper, das eigene Ich, war. Die eigene Illusion des Entzückens ist davon. „Omne animal post coitum triste.“ – Während des libidinösen Aktes die Empfindung des ohnmächtigen Sich-Auflösens in den begehrten Gegenstand, was in dem Moment, in dem das Gehirn die Täuschung verzehrt hat, und die Entlastung erfolgt ist, sich als Wahn ergibt, denn zwei gleich im Begehren, für sich egoistische, stumpfsinnige Leiber bleiben als Resultat zurück.
„Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
Reisst der schöne Wahn entzwei.“
Die Welt, die ihre Geschichte immer von Illusion zu Illusion schreibt – „Als noch das Lämpchen glüht“ – statt wie der Denker von Desillusion zu Desillusion, sammelt nur die ihr günstig scheinenden Momente, wenn sie den Kopf voll hat, – aber entscheidend ist nur der Moment der Abstossung, der Entlastung, der Explosion; denn nur dies reinigt den Kopf und schaft Plaz für Nachfolgendes. Die reichste Geschichte hat derjenige, der die meisten Illusionen aus sich herausschleudert.
§. 32.
Unser Sistem ist kein Bestehendes, sondern ein Bewegtes; kein Kredo, sondern eine Insinuazion. Keine Lehrsaz, sondern eine Funkzion; keine Weltanschauung, sondern ein
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2013-04-29T10:04:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-04-29T10:04:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-04-29T10:04:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |