[Pahl, Johann Gottfried]: Leben und Thaten des ehrwürdigen Paters Simpertus. Madrit [i. e. Heilbronn], 1799.wir uns auch keine graue Haare wachsen lassen. Haereticis non est servanda fides. Wir konnten ihm ja auch blos Befreyung von kirchlichen Strafen verheißen. Diese kann er erlangen, und der weltliche Arm kann ihn deßhalb ungehindert, als einen Majestäts-Lästerer und Pasquillanten köpfen, oder rädern, oder ewig einsperren lassen." Unterdessen stand ich in später Dämmerung auf meinem Posten. Seger befand sich auf seinem Zimmer. Ich sah bey dem brennende Lichte, wie er unruhig hin und her lief, bald durch das Fenster schaute, bald sich an den Schreibtisch setzte, bald in den Büchern kramte. Doch war er ausgekleidet, und ich bemerkte nichts, was einer Vorbereitung zur Flucht ähnlich gesehen hätte. Während ich beobachtete, kam aus dem Hause, an dessen Ecke ich stand, ein Dienstmädchen hervor, und setzte sich in die kühle Abendluft auf den Stein. Ich kannte das Mädchen. Sie war ein hübsches, freundliches Ding, und, wie es schien, nicht ohne guten Willen. Es fiel mir ein, daß die Wohnung unsers Philosophen auch eine Hinterthüre haben konnte, und so schickte ich wir uns auch keine graue Haare wachsen lassen. Haereticis non est servanda fides. Wir konnten ihm ja auch blos Befreyung von kirchlichen Strafen verheißen. Diese kann er erlangen, und der weltliche Arm kann ihn deßhalb ungehindert, als einen Majestäts-Lästerer und Pasquillanten köpfen, oder rädern, oder ewig einsperren lassen.“ Unterdessen stand ich in später Dämmerung auf meinem Posten. Seger befand sich auf seinem Zimmer. Ich sah bey dem brennende Lichte, wie er unruhig hin und her lief, bald durch das Fenster schaute, bald sich an den Schreibtisch setzte, bald in den Büchern kramte. Doch war er ausgekleidet, und ich bemerkte nichts, was einer Vorbereitung zur Flucht ähnlich gesehen hätte. Während ich beobachtete, kam aus dem Hause, an dessen Ecke ich stand, ein Dienstmädchen hervor, und setzte sich in die kühle Abendluft auf den Stein. Ich kannte das Mädchen. Sie war ein hübsches, freundliches Ding, und, wie es schien, nicht ohne guten Willen. Es fiel mir ein, daß die Wohnung unsers Philosophen auch eine Hinterthüre haben konnte, und so schickte ich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0245" n="245"/> wir uns auch keine graue Haare wachsen lassen. <hi rendition="#aq">Haereticis non est servanda fides</hi>. Wir konnten ihm ja auch blos Befreyung von kirchlichen Strafen verheißen. Diese kann er erlangen, und der weltliche Arm kann ihn deßhalb ungehindert, als einen Majestäts-Lästerer und Pasquillanten köpfen, oder rädern, oder ewig einsperren lassen.“</p> <p>Unterdessen stand ich in später Dämmerung auf meinem Posten. <hi rendition="#g">Seger</hi> befand sich auf seinem Zimmer. Ich sah bey dem brennende Lichte, wie er unruhig hin und her lief, bald durch das Fenster schaute, bald sich an den Schreibtisch setzte, bald in den Büchern kramte. Doch war er ausgekleidet, und ich bemerkte nichts, was einer Vorbereitung zur Flucht ähnlich gesehen hätte. Während ich beobachtete, kam aus dem Hause, an dessen Ecke ich stand, ein Dienstmädchen hervor, und setzte sich in die kühle Abendluft auf den Stein. Ich kannte das Mädchen. Sie war ein hübsches, freundliches Ding, und, wie es schien, nicht ohne guten Willen. Es fiel mir ein, daß die Wohnung unsers Philosophen auch eine Hinterthüre haben konnte, und so schickte ich </p> </div> </body> </text> </TEI> [245/0245]
wir uns auch keine graue Haare wachsen lassen. Haereticis non est servanda fides. Wir konnten ihm ja auch blos Befreyung von kirchlichen Strafen verheißen. Diese kann er erlangen, und der weltliche Arm kann ihn deßhalb ungehindert, als einen Majestäts-Lästerer und Pasquillanten köpfen, oder rädern, oder ewig einsperren lassen.“
Unterdessen stand ich in später Dämmerung auf meinem Posten. Seger befand sich auf seinem Zimmer. Ich sah bey dem brennende Lichte, wie er unruhig hin und her lief, bald durch das Fenster schaute, bald sich an den Schreibtisch setzte, bald in den Büchern kramte. Doch war er ausgekleidet, und ich bemerkte nichts, was einer Vorbereitung zur Flucht ähnlich gesehen hätte. Während ich beobachtete, kam aus dem Hause, an dessen Ecke ich stand, ein Dienstmädchen hervor, und setzte sich in die kühle Abendluft auf den Stein. Ich kannte das Mädchen. Sie war ein hübsches, freundliches Ding, und, wie es schien, nicht ohne guten Willen. Es fiel mir ein, daß die Wohnung unsers Philosophen auch eine Hinterthüre haben konnte, und so schickte ich
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Zitationshilfe: | [Pahl, Johann Gottfried]: Leben und Thaten des ehrwürdigen Paters Simpertus. Madrit [i. e. Heilbronn], 1799, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pahl_simpertus_1799/245>, abgerufen am 16.07.2024. |