Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 3. Leipzig, 1846.und entwürdigt war -- durch andere Menschen?" So sagte sie zu sich -- aber sie wollte die grauen Haare ihres Vaters ehren und nicht jetzt, wo er oft in Verzweiflung in sie hineinfuhr, um sie auszuraufen, seinen Jammer noch mit ihrer Anklage vermehren, sie wollte nicht zu ihm sprechen: "Vater -- ich hab' es Dir vorausgesagt -- wie ein Strafgericht Gottes kommt es nun über uns -- und wir dürfen in der Stunde der Gefahr und des Entsetzens nicht frei und unschuldig unsere Häupter zu ihm aufheben, wir müssen sie in Demuth neigen und still Alles dulden." Sie wollte ihm das nicht sagen, denn das Kind ist nicht berufen zum Richter des Vaters und sie fühlte es wohl: jetzt richtete Gott durch seine geschändeten, verstümmelten Creaturen -- aber vielleicht hätte sie doch auf sein Klagen, das mit Beten und Fluchen abwechselte, etwas Hartes erwidert -- und darum wich sie ihm aus. Aber wie sollte sie Ruhe und Sammlung finden selbst allein in ihrem stillen Zimmer? Als sie es zum ersten Mal betreten, wo sie kurz vorher die erste Ahnung von dem Elend der Armuth empfangen hatte, war sie schon vor der Pracht dieses Zimmers erschrocken -- es war ihr, als hänge der Jammer von Hunderten daran -- und nun vollends! Sie schauderte vor diesem Ueberfluß und sie begriff, daß die Armen ein Recht hätten, die Reichen nicht nur zu beneiden, sondern auch zu verachten. und entwürdigt war — durch andere Menschen?“ So sagte sie zu sich — aber sie wollte die grauen Haare ihres Vaters ehren und nicht jetzt, wo er oft in Verzweiflung in sie hineinfuhr, um sie auszuraufen, seinen Jammer noch mit ihrer Anklage vermehren, sie wollte nicht zu ihm sprechen: „Vater — ich hab’ es Dir vorausgesagt — wie ein Strafgericht Gottes kommt es nun über uns — und wir dürfen in der Stunde der Gefahr und des Entsetzens nicht frei und unschuldig unsere Häupter zu ihm aufheben, wir müssen sie in Demuth neigen und still Alles dulden.“ Sie wollte ihm das nicht sagen, denn das Kind ist nicht berufen zum Richter des Vaters und sie fühlte es wohl: jetzt richtete Gott durch seine geschändeten, verstümmelten Creaturen — aber vielleicht hätte sie doch auf sein Klagen, das mit Beten und Fluchen abwechselte, etwas Hartes erwidert — und darum wich sie ihm aus. Aber wie sollte sie Ruhe und Sammlung finden selbst allein in ihrem stillen Zimmer? Als sie es zum ersten Mal betreten, wo sie kurz vorher die erste Ahnung von dem Elend der Armuth empfangen hatte, war sie schon vor der Pracht dieses Zimmers erschrocken — es war ihr, als hänge der Jammer von Hunderten daran — und nun vollends! Sie schauderte vor diesem Ueberfluß und sie begriff, daß die Armen ein Recht hätten, die Reichen nicht nur zu beneiden, sondern auch zu verachten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0166" n="162"/> und entwürdigt war — durch andere Menschen?“ So sagte sie zu sich — aber sie wollte die grauen Haare ihres Vaters ehren und nicht jetzt, wo er oft in Verzweiflung in sie hineinfuhr, um sie auszuraufen, seinen Jammer noch mit ihrer Anklage vermehren, sie wollte nicht zu ihm sprechen: „Vater — ich hab’ es Dir vorausgesagt — wie ein Strafgericht Gottes kommt es nun über uns — und wir dürfen in der Stunde der Gefahr und des Entsetzens nicht frei und unschuldig unsere Häupter zu ihm aufheben, wir müssen sie in Demuth neigen und still Alles dulden.“ Sie wollte ihm das nicht sagen, denn das Kind ist nicht berufen zum Richter des Vaters und sie fühlte es wohl: jetzt richtete Gott durch seine geschändeten, verstümmelten Creaturen — aber vielleicht hätte sie doch auf sein Klagen, das mit Beten und Fluchen abwechselte, etwas Hartes erwidert — und darum wich sie ihm aus.</p> <p>Aber wie sollte sie Ruhe und Sammlung finden selbst allein in ihrem stillen Zimmer? Als sie es zum ersten Mal betreten, wo sie kurz vorher die erste Ahnung von dem Elend der Armuth empfangen hatte, war sie schon vor der Pracht dieses Zimmers erschrocken — es war ihr, als hänge der Jammer von Hunderten daran — und nun vollends! Sie schauderte vor diesem Ueberfluß und sie begriff, daß die Armen ein Recht hätten, die Reichen nicht nur zu <hi rendition="#g">beneiden</hi>, sondern auch zu <hi rendition="#g">verachten</hi>.</p> </div> </body> </text> </TEI> [162/0166]
und entwürdigt war — durch andere Menschen?“ So sagte sie zu sich — aber sie wollte die grauen Haare ihres Vaters ehren und nicht jetzt, wo er oft in Verzweiflung in sie hineinfuhr, um sie auszuraufen, seinen Jammer noch mit ihrer Anklage vermehren, sie wollte nicht zu ihm sprechen: „Vater — ich hab’ es Dir vorausgesagt — wie ein Strafgericht Gottes kommt es nun über uns — und wir dürfen in der Stunde der Gefahr und des Entsetzens nicht frei und unschuldig unsere Häupter zu ihm aufheben, wir müssen sie in Demuth neigen und still Alles dulden.“ Sie wollte ihm das nicht sagen, denn das Kind ist nicht berufen zum Richter des Vaters und sie fühlte es wohl: jetzt richtete Gott durch seine geschändeten, verstümmelten Creaturen — aber vielleicht hätte sie doch auf sein Klagen, das mit Beten und Fluchen abwechselte, etwas Hartes erwidert — und darum wich sie ihm aus.
Aber wie sollte sie Ruhe und Sammlung finden selbst allein in ihrem stillen Zimmer? Als sie es zum ersten Mal betreten, wo sie kurz vorher die erste Ahnung von dem Elend der Armuth empfangen hatte, war sie schon vor der Pracht dieses Zimmers erschrocken — es war ihr, als hänge der Jammer von Hunderten daran — und nun vollends! Sie schauderte vor diesem Ueberfluß und sie begriff, daß die Armen ein Recht hätten, die Reichen nicht nur zu beneiden, sondern auch zu verachten.
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 3. Leipzig, 1846, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss03_1846/166>, abgerufen am 16.02.2025. |