Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846."Den Armen quält der Hunger, der Frost, der Mangel an Allem, was zu den Lebensbedürfnissen gehört -- und sich von irgend einer dieser Qualen zu befreien, weiß er dein gesetzliches Mittel. Denn wie er auch arbeiten mag -- seine Arbeit wird so gering bezahlt, daß sie nimmer jene schlimmen Begleiter des Armen verbannen kann, welche von dem Augenblick an, als er auf hartem schlechten Lager geboren wird, ihn mit schauerlicher Treue auf allen seinen Wegen begleiten -- -- aber am Schlimmsten ist doch der Versucher, der zu dem Armen tritt und ihn höhnisch fragt: warum bist Du arm? Habe den Muth, es nicht mehr sein zu wollen und Du bist es nicht mehr -- und Tausende Deiner Brüder sind es nicht mehr -- -- aber diesen Muth zu haben, ist ein Verbrechen -- -- das sieht wohl der Arme ein und schaudert vor dem Verbrechen zurück -- er will es nicht begehen, er kann standhaft bleiben -- er kann den Versucher immer sieghaft bekämpfen, aber er kann ihn nicht vernichten -- er kann den Feind seiner Ruhe nicht verbieten, wiederzukommen." "Wenn einst diese Versuchungen aufhören könnten -- wenn eine in Liebe und Gleichheit verbrüderte Gesellschaft sie unmöglich machte? Wenn alle Menschen es vermöchten in heiliger Eintracht neben einander zu leben, daß nicht die Einen darben müßten, wo die Andern mitten im Uebersluß sich noch unbefriedigt fühlen?" „Den Armen quält der Hunger, der Frost, der Mangel an Allem, was zu den Lebensbedürfnissen gehört — und sich von irgend einer dieser Qualen zu befreien, weiß er dein gesetzliches Mittel. Denn wie er auch arbeiten mag — seine Arbeit wird so gering bezahlt, daß sie nimmer jene schlimmen Begleiter des Armen verbannen kann, welche von dem Augenblick an, als er auf hartem schlechten Lager geboren wird, ihn mit schauerlicher Treue auf allen seinen Wegen begleiten — — aber am Schlimmsten ist doch der Versucher, der zu dem Armen tritt und ihn höhnisch fragt: warum bist Du arm? Habe den Muth, es nicht mehr sein zu wollen und Du bist es nicht mehr — und Tausende Deiner Brüder sind es nicht mehr — — aber diesen Muth zu haben, ist ein Verbrechen — — das sieht wohl der Arme ein und schaudert vor dem Verbrechen zurück — er will es nicht begehen, er kann standhaft bleiben — er kann den Versucher immer sieghaft bekämpfen, aber er kann ihn nicht vernichten — er kann den Feind seiner Ruhe nicht verbieten, wiederzukommen.“ „Wenn einst diese Versuchungen aufhören könnten — wenn eine in Liebe und Gleichheit verbrüderte Gesellschaft sie unmöglich machte? Wenn alle Menschen es vermöchten in heiliger Eintracht neben einander zu leben, daß nicht die Einen darben müßten, wo die Andern mitten im Uebersluß sich noch unbefriedigt fühlen?“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0097" n="91"/> <p> „Den Armen quält der Hunger, der Frost, der Mangel an Allem, was zu den Lebensbedürfnissen gehört — und sich von irgend einer dieser Qualen zu befreien, weiß er dein gesetzliches Mittel. Denn wie er auch arbeiten mag — seine Arbeit wird so gering bezahlt, daß sie nimmer jene schlimmen Begleiter des Armen verbannen kann, welche von dem Augenblick an, als er auf hartem schlechten Lager geboren wird, ihn mit schauerlicher Treue auf allen seinen Wegen begleiten — — aber am Schlimmsten ist doch der Versucher, der zu dem Armen tritt und ihn höhnisch fragt: <hi rendition="#g">warum bist Du arm</hi>? Habe den Muth, es nicht mehr sein zu wollen und Du bist es nicht mehr — und Tausende Deiner Brüder sind es nicht mehr — — aber diesen Muth zu haben, ist ein Verbrechen — — das sieht wohl der Arme ein und schaudert vor dem Verbrechen zurück — er will es nicht begehen, er kann standhaft bleiben — er kann den Versucher immer sieghaft bekämpfen, aber er kann ihn nicht vernichten — er kann den Feind seiner Ruhe nicht verbieten, wiederzukommen.“</p> <p>„Wenn einst diese Versuchungen aufhören könnten — wenn eine in Liebe und Gleichheit verbrüderte Gesellschaft sie unmöglich machte? Wenn alle Menschen es vermöchten in heiliger Eintracht neben einander zu leben, daß nicht die Einen darben müßten, wo die Andern mitten im Uebersluß sich noch unbefriedigt fühlen?“</p> </div> </body> </text> </TEI> [91/0097]
„Den Armen quält der Hunger, der Frost, der Mangel an Allem, was zu den Lebensbedürfnissen gehört — und sich von irgend einer dieser Qualen zu befreien, weiß er dein gesetzliches Mittel. Denn wie er auch arbeiten mag — seine Arbeit wird so gering bezahlt, daß sie nimmer jene schlimmen Begleiter des Armen verbannen kann, welche von dem Augenblick an, als er auf hartem schlechten Lager geboren wird, ihn mit schauerlicher Treue auf allen seinen Wegen begleiten — — aber am Schlimmsten ist doch der Versucher, der zu dem Armen tritt und ihn höhnisch fragt: warum bist Du arm? Habe den Muth, es nicht mehr sein zu wollen und Du bist es nicht mehr — und Tausende Deiner Brüder sind es nicht mehr — — aber diesen Muth zu haben, ist ein Verbrechen — — das sieht wohl der Arme ein und schaudert vor dem Verbrechen zurück — er will es nicht begehen, er kann standhaft bleiben — er kann den Versucher immer sieghaft bekämpfen, aber er kann ihn nicht vernichten — er kann den Feind seiner Ruhe nicht verbieten, wiederzukommen.“
„Wenn einst diese Versuchungen aufhören könnten — wenn eine in Liebe und Gleichheit verbrüderte Gesellschaft sie unmöglich machte? Wenn alle Menschen es vermöchten in heiliger Eintracht neben einander zu leben, daß nicht die Einen darben müßten, wo die Andern mitten im Uebersluß sich noch unbefriedigt fühlen?“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/97 |
Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/97>, abgerufen am 16.02.2025. |