Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846.denn da kommt man jugendfrisch aus den Armen des Schlafs und der Träume, die ganze Schöpfung ist wie neu geboren und wir sind es selbst mit ihr -- man weiß noch Nichts von Zwang, man lebt noch halb im Traume fort und schämt sich nicht, wahr und unverstellt zu sein." Sie dachte, als sie dies sagte, an den Morgen ihres letzten Abschiedes von Gustav Thal heim und ihrer ersten Rede mit Jaromir -- aber sie dachte zugleich an den gestrigen Abend, als sie weiter hinzusetzte: "Aber die Abende sind auch schön -- nur in ganz andrer Weise; da zieht ein wonniges Träumen durch die ganze Natur, und die Natur theilt es der Menschenseele mit, und da drinnen haust es sich ein in dem klopfenden Herzen, in dem dann zugleich wie im Freien alle Nachtigallen laut zu schlagen anfangen und alle Nektargefäße verhüllender Blüthen sich öffnen." Ihre Gedanken weilten bei Jaromir, den sie so eben gesehen, es war ihr, als wenn sie schon mit ihm spräche, und jetzt hielt sie plötzlich inne, als sie sich besann, daß Aarens es war, der ihr gegenüber stand und zu dem sie in solcher Weise geredet. Aarens, obwohl er sich über diese Sprache verwunderte, fand doch, daß er Elisabeth nie schöner und hinreißender gesehen, als in diesem Augenblick -- und er war eitel genug, sich diese plötzliche Gehobenheit ihres ganzen Wesens zu seinem Gunsten auszulegen. denn da kommt man jugendfrisch aus den Armen des Schlafs und der Träume, die ganze Schöpfung ist wie neu geboren und wir sind es selbst mit ihr — man weiß noch Nichts von Zwang, man lebt noch halb im Traume fort und schämt sich nicht, wahr und unverstellt zu sein.“ Sie dachte, als sie dies sagte, an den Morgen ihres letzten Abschiedes von Gustav Thal heim und ihrer ersten Rede mit Jaromir — aber sie dachte zugleich an den gestrigen Abend, als sie weiter hinzusetzte: „Aber die Abende sind auch schön — nur in ganz andrer Weise; da zieht ein wonniges Träumen durch die ganze Natur, und die Natur theilt es der Menschenseele mit, und da drinnen haust es sich ein in dem klopfenden Herzen, in dem dann zugleich wie im Freien alle Nachtigallen laut zu schlagen anfangen und alle Nektargefäße verhüllender Blüthen sich öffnen.“ Ihre Gedanken weilten bei Jaromir, den sie so eben gesehen, es war ihr, als wenn sie schon mit ihm spräche, und jetzt hielt sie plötzlich inne, als sie sich besann, daß Aarens es war, der ihr gegenüber stand und zu dem sie in solcher Weise geredet. Aarens, obwohl er sich über diese Sprache verwunderte, fand doch, daß er Elisabeth nie schöner und hinreißender gesehen, als in diesem Augenblick — und er war eitel genug, sich diese plötzliche Gehobenheit ihres ganzen Wesens zu seinem Gunsten auszulegen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0168" n="162"/> denn da kommt man jugendfrisch aus den Armen des Schlafs und der Träume, die ganze Schöpfung ist wie neu geboren und wir sind es selbst mit ihr — man weiß <hi rendition="#g">noch</hi> Nichts von Zwang, man lebt noch halb im Traume fort und schämt sich nicht, wahr und unverstellt zu sein.“ Sie dachte, als sie dies sagte, an den Morgen ihres letzten Abschiedes von Gustav Thal heim und ihrer ersten Rede mit Jaromir — aber sie dachte zugleich an den gestrigen Abend, als sie weiter hinzusetzte: „Aber die Abende sind auch schön — nur in ganz andrer Weise; da zieht ein wonniges Träumen durch die ganze Natur, und die Natur theilt es der Menschenseele mit, und da drinnen haust es sich ein in dem klopfenden Herzen, in dem dann zugleich wie im Freien alle Nachtigallen laut zu schlagen anfangen und alle Nektargefäße verhüllender Blüthen sich öffnen.“</p> <p>Ihre Gedanken weilten bei Jaromir, den sie so eben gesehen, es war ihr, als wenn sie schon mit ihm spräche, und jetzt hielt sie plötzlich inne, als sie sich besann, daß Aarens es war, der ihr gegenüber stand und zu dem sie in solcher Weise geredet.</p> <p>Aarens, obwohl er sich über diese Sprache verwunderte, fand doch, daß er Elisabeth nie schöner und hinreißender gesehen, als in diesem Augenblick — und er war eitel genug, sich diese plötzliche Gehobenheit ihres ganzen Wesens zu seinem Gunsten auszulegen.</p> </div> </body> </text> </TEI> [162/0168]
denn da kommt man jugendfrisch aus den Armen des Schlafs und der Träume, die ganze Schöpfung ist wie neu geboren und wir sind es selbst mit ihr — man weiß noch Nichts von Zwang, man lebt noch halb im Traume fort und schämt sich nicht, wahr und unverstellt zu sein.“ Sie dachte, als sie dies sagte, an den Morgen ihres letzten Abschiedes von Gustav Thal heim und ihrer ersten Rede mit Jaromir — aber sie dachte zugleich an den gestrigen Abend, als sie weiter hinzusetzte: „Aber die Abende sind auch schön — nur in ganz andrer Weise; da zieht ein wonniges Träumen durch die ganze Natur, und die Natur theilt es der Menschenseele mit, und da drinnen haust es sich ein in dem klopfenden Herzen, in dem dann zugleich wie im Freien alle Nachtigallen laut zu schlagen anfangen und alle Nektargefäße verhüllender Blüthen sich öffnen.“
Ihre Gedanken weilten bei Jaromir, den sie so eben gesehen, es war ihr, als wenn sie schon mit ihm spräche, und jetzt hielt sie plötzlich inne, als sie sich besann, daß Aarens es war, der ihr gegenüber stand und zu dem sie in solcher Weise geredet.
Aarens, obwohl er sich über diese Sprache verwunderte, fand doch, daß er Elisabeth nie schöner und hinreißender gesehen, als in diesem Augenblick — und er war eitel genug, sich diese plötzliche Gehobenheit ihres ganzen Wesens zu seinem Gunsten auszulegen.
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/168>, abgerufen am 17.02.2025. |