Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846.Schauspiel! Ein kleiner Knabe stellte sich schreiend vor Jaromir hin und jammerte, indem er die leeren Hände zeigte: "Ich hatte ein großes, rothes Stück, die Andern haben es mir wieder weggerissen." "Schäme Dich!" sagte Franz. "Du weißt, daß Du nicht betteln sollst." Er fuhr fort, während Jaromir noch ein kleines Geldstück für das Kind suchte. "Herr, nun werden Sie gewiß sagen, daß die Fabrikkinder eine böse Brut sind -- so ist's auch, sie fluchen wie alte Sünder, sie führen häßliche Reden und machen sich freche Späße, sie betteln und stehlen, sie betrügen und balgen sich untereinander -- und wenn diese Kinder groß werden, so wachsen ihre Laster mit -- Herr! Sie haben Mitleid für diese Elenden, ich sehe es Ihnen an, sonst hätten Sie sie auch nicht beschenkt -- d'rum sag' ich's Ihnen: was können diese Kinder dafür, daß man sie wild aufwachsen läßt und zu Verbrechern erzieht?" In diesem Augenblicke mahnte die heftig gezogene Glocke wieder zur Arbeit -- Alles lief wieder in die Fabrikgebäude. "Wir müssen an die Arbeit," sagte Franz zu Jaromir, der ihn staunend angesehen hatte, während er sprach, "wollten Sie etwa zu Herrn Felchner -- dort ist das Wohnhaus." Jaromir folgte Franz, der mit den Andern schnell zur Arbeit laufen wollte. Er sagte: "Ich mögte mich wohl ein Wenig umsehen und auch noch länger mit Ihnen reden, kann ich Ihnen nicht folgen?" Schauspiel! Ein kleiner Knabe stellte sich schreiend vor Jaromir hin und jammerte, indem er die leeren Hände zeigte: „Ich hatte ein großes, rothes Stück, die Andern haben es mir wieder weggerissen.“ „Schäme Dich!“ sagte Franz. „Du weißt, daß Du nicht betteln sollst.“ Er fuhr fort, während Jaromir noch ein kleines Geldstück für das Kind suchte. „Herr, nun werden Sie gewiß sagen, daß die Fabrikkinder eine böse Brut sind — so ist’s auch, sie fluchen wie alte Sünder, sie führen häßliche Reden und machen sich freche Späße, sie betteln und stehlen, sie betrügen und balgen sich untereinander — und wenn diese Kinder groß werden, so wachsen ihre Laster mit — Herr! Sie haben Mitleid für diese Elenden, ich sehe es Ihnen an, sonst hätten Sie sie auch nicht beschenkt — d’rum sag’ ich’s Ihnen: was können diese Kinder dafür, daß man sie wild aufwachsen läßt und zu Verbrechern erzieht?“ In diesem Augenblicke mahnte die heftig gezogene Glocke wieder zur Arbeit — Alles lief wieder in die Fabrikgebäude. „Wir müssen an die Arbeit,“ sagte Franz zu Jaromir, der ihn staunend angesehen hatte, während er sprach, „wollten Sie etwa zu Herrn Felchner — dort ist das Wohnhaus.“ Jaromir folgte Franz, der mit den Andern schnell zur Arbeit laufen wollte. Er sagte: „Ich mögte mich wohl ein Wenig umsehen und auch noch länger mit Ihnen reden, kann ich Ihnen nicht folgen?“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0112" n="106"/> Schauspiel! Ein kleiner Knabe stellte sich schreiend vor Jaromir hin und jammerte, indem er die leeren Hände zeigte:</p> <p>„Ich hatte ein großes, rothes Stück, die Andern haben es mir wieder weggerissen.“</p> <p>„Schäme Dich!“ sagte Franz. „Du weißt, daß Du nicht betteln sollst.“ Er fuhr fort, während Jaromir noch ein kleines Geldstück für das Kind suchte. „Herr, nun werden Sie gewiß sagen, daß die Fabrikkinder eine böse Brut sind — so ist’s auch, sie fluchen wie alte Sünder, sie führen häßliche Reden und machen sich freche Späße, sie betteln und stehlen, sie betrügen und balgen sich untereinander — und wenn diese Kinder groß werden, so wachsen ihre Laster mit — Herr! Sie haben Mitleid für diese Elenden, ich sehe es Ihnen an, sonst hätten Sie sie auch nicht beschenkt — d’rum sag’ ich’s Ihnen: was können diese Kinder dafür, daß man sie wild aufwachsen läßt und zu Verbrechern erzieht?“</p> <p>In diesem Augenblicke mahnte die heftig gezogene Glocke wieder zur Arbeit — Alles lief wieder in die Fabrikgebäude. „Wir müssen an die Arbeit,“ sagte Franz zu Jaromir, der ihn staunend angesehen hatte, während er sprach, „wollten Sie etwa zu Herrn Felchner — dort ist das Wohnhaus.“</p> <p>Jaromir folgte Franz, der mit den Andern schnell zur Arbeit laufen wollte. Er sagte: „Ich mögte mich wohl ein Wenig umsehen und auch noch länger mit Ihnen reden, kann ich Ihnen nicht folgen?“</p> </div> </body> </text> </TEI> [106/0112]
Schauspiel! Ein kleiner Knabe stellte sich schreiend vor Jaromir hin und jammerte, indem er die leeren Hände zeigte:
„Ich hatte ein großes, rothes Stück, die Andern haben es mir wieder weggerissen.“
„Schäme Dich!“ sagte Franz. „Du weißt, daß Du nicht betteln sollst.“ Er fuhr fort, während Jaromir noch ein kleines Geldstück für das Kind suchte. „Herr, nun werden Sie gewiß sagen, daß die Fabrikkinder eine böse Brut sind — so ist’s auch, sie fluchen wie alte Sünder, sie führen häßliche Reden und machen sich freche Späße, sie betteln und stehlen, sie betrügen und balgen sich untereinander — und wenn diese Kinder groß werden, so wachsen ihre Laster mit — Herr! Sie haben Mitleid für diese Elenden, ich sehe es Ihnen an, sonst hätten Sie sie auch nicht beschenkt — d’rum sag’ ich’s Ihnen: was können diese Kinder dafür, daß man sie wild aufwachsen läßt und zu Verbrechern erzieht?“
In diesem Augenblicke mahnte die heftig gezogene Glocke wieder zur Arbeit — Alles lief wieder in die Fabrikgebäude. „Wir müssen an die Arbeit,“ sagte Franz zu Jaromir, der ihn staunend angesehen hatte, während er sprach, „wollten Sie etwa zu Herrn Felchner — dort ist das Wohnhaus.“
Jaromir folgte Franz, der mit den Andern schnell zur Arbeit laufen wollte. Er sagte: „Ich mögte mich wohl ein Wenig umsehen und auch noch länger mit Ihnen reden, kann ich Ihnen nicht folgen?“
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/112>, abgerufen am 22.07.2024. |