Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Gabe anzunehmen, vermogte er nicht; weder sein Stolz, noch sein Ehrgefühl duldeten es -- er siegelte die Banknote ein, und ohne ein Wort hinzuzufügen, adressirte er sie an den Grafen. Dieser ließ durch öffentliche Blätter bekannt machen, daß er durch einen Irrthum eine Banknote von funfzig Thalern zugeschickt erhalten, und forderte zu einer Erklärung darüber auf. Die Erklärung blieb aus, er gab später eine gleiche Summe an die Armencasse der Stadt.

Thalheim versah wieder pünktlich sein Lehramt am Institut. Aber wie verändert fanden ihn die Pensionärinnen, als er wieder in ihrer Mitte erschien! Die stille, edle Heiterkeit, welche sonst oft über sein ganzes Wesen gehaucht war, und den hohen Ernst seines Antlitzes milderte, war spurlos davon verschwunden. Gram und Sorgen schienen immer tiefere Furchen in seine Stirn zu graben. Er brachte keine Freudigkeit mehr mit zu seinem Geschäft, denn alle Freudigkeit seines Herzens war verschwunden. Amalie hatte ihm gestanden, daß sie ihn hintergangen, daß sie ihn nie geliebt hatte. Der letzte Sonnenblick war mit dem kalten Wettersturm dieses einzigen Wortes für immer aus seinem ehelichen Leben verschwunden; diese ganze Ehe war für ihn selbst zu einer entsetzlichen Lüge geworden; und wie sollte er eine solche Lüge ruhig ertragen, dessen ganzes Reden und Handeln Wahrheit war? -- Amalie war stiller, in sich gekehrter, sie behandelte den Gatten mit mehr Zartgefühl und

Gabe anzunehmen, vermogte er nicht; weder sein Stolz, noch sein Ehrgefühl duldeten es — er siegelte die Banknote ein, und ohne ein Wort hinzuzufügen, adressirte er sie an den Grafen. Dieser ließ durch öffentliche Blätter bekannt machen, daß er durch einen Irrthum eine Banknote von funfzig Thalern zugeschickt erhalten, und forderte zu einer Erklärung darüber auf. Die Erklärung blieb aus, er gab später eine gleiche Summe an die Armencasse der Stadt.

Thalheim versah wieder pünktlich sein Lehramt am Institut. Aber wie verändert fanden ihn die Pensionärinnen, als er wieder in ihrer Mitte erschien! Die stille, edle Heiterkeit, welche sonst oft über sein ganzes Wesen gehaucht war, und den hohen Ernst seines Antlitzes milderte, war spurlos davon verschwunden. Gram und Sorgen schienen immer tiefere Furchen in seine Stirn zu graben. Er brachte keine Freudigkeit mehr mit zu seinem Geschäft, denn alle Freudigkeit seines Herzens war verschwunden. Amalie hatte ihm gestanden, daß sie ihn hintergangen, daß sie ihn nie geliebt hatte. Der letzte Sonnenblick war mit dem kalten Wettersturm dieses einzigen Wortes für immer aus seinem ehelichen Leben verschwunden; diese ganze Ehe war für ihn selbst zu einer entsetzlichen Lüge geworden; und wie sollte er eine solche Lüge ruhig ertragen, dessen ganzes Reden und Handeln Wahrheit war? — Amalie war stiller, in sich gekehrter, sie behandelte den Gatten mit mehr Zartgefühl und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0091" n="81"/>
Gabe anzunehmen, vermogte er nicht; weder sein Stolz, noch sein Ehrgefühl duldeten es &#x2014; er siegelte die Banknote ein, und ohne ein Wort hinzuzufügen, adressirte er sie an den Grafen. Dieser ließ durch öffentliche Blätter bekannt machen, daß er durch einen Irrthum eine Banknote von funfzig Thalern zugeschickt erhalten, und forderte zu einer Erklärung darüber auf. Die Erklärung blieb aus, er gab später eine gleiche Summe an die Armencasse der Stadt.</p>
        <p>Thalheim versah wieder pünktlich sein Lehramt am Institut. Aber wie verändert fanden ihn die Pensionärinnen, als er wieder in ihrer Mitte erschien! Die stille, edle Heiterkeit, welche sonst oft über sein ganzes Wesen gehaucht war, und den hohen Ernst seines Antlitzes milderte, war spurlos davon verschwunden. Gram und Sorgen schienen immer tiefere Furchen in seine Stirn zu graben. Er brachte keine Freudigkeit mehr mit zu seinem Geschäft, denn alle Freudigkeit seines Herzens war verschwunden. Amalie hatte ihm gestanden, daß sie ihn hintergangen, daß sie ihn nie geliebt hatte. Der letzte Sonnenblick war mit dem kalten Wettersturm dieses einzigen Wortes für immer aus seinem ehelichen Leben verschwunden; diese ganze Ehe war für ihn selbst zu einer entsetzlichen Lüge geworden; und wie sollte er eine solche Lüge ruhig ertragen, dessen ganzes Reden und Handeln Wahrheit war? &#x2014; Amalie war stiller, in sich gekehrter, sie behandelte den Gatten mit mehr Zartgefühl und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0091] Gabe anzunehmen, vermogte er nicht; weder sein Stolz, noch sein Ehrgefühl duldeten es — er siegelte die Banknote ein, und ohne ein Wort hinzuzufügen, adressirte er sie an den Grafen. Dieser ließ durch öffentliche Blätter bekannt machen, daß er durch einen Irrthum eine Banknote von funfzig Thalern zugeschickt erhalten, und forderte zu einer Erklärung darüber auf. Die Erklärung blieb aus, er gab später eine gleiche Summe an die Armencasse der Stadt. Thalheim versah wieder pünktlich sein Lehramt am Institut. Aber wie verändert fanden ihn die Pensionärinnen, als er wieder in ihrer Mitte erschien! Die stille, edle Heiterkeit, welche sonst oft über sein ganzes Wesen gehaucht war, und den hohen Ernst seines Antlitzes milderte, war spurlos davon verschwunden. Gram und Sorgen schienen immer tiefere Furchen in seine Stirn zu graben. Er brachte keine Freudigkeit mehr mit zu seinem Geschäft, denn alle Freudigkeit seines Herzens war verschwunden. Amalie hatte ihm gestanden, daß sie ihn hintergangen, daß sie ihn nie geliebt hatte. Der letzte Sonnenblick war mit dem kalten Wettersturm dieses einzigen Wortes für immer aus seinem ehelichen Leben verschwunden; diese ganze Ehe war für ihn selbst zu einer entsetzlichen Lüge geworden; und wie sollte er eine solche Lüge ruhig ertragen, dessen ganzes Reden und Handeln Wahrheit war? — Amalie war stiller, in sich gekehrter, sie behandelte den Gatten mit mehr Zartgefühl und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Repository TextGrid: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-23T11:52:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christoph Leijser, Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-23T11:52:15Z)
HATHI TRUST Digital Library: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-08-23T11:52:15Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/91
Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/91>, abgerufen am 22.11.2024.