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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

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gehend von Berlin mit ihr entzweit, und sie waren nicht in friedlicher Stimmung von einander geschieden, ging er mehrmals an dem Hause vorüber, das man ihm als ihre Wohnung bezeichnet hatte. Er hoffte, auf diese Weise sie zufällig zu sehen, einen Wink, einen Ruf von ihr zu erhalten -- lange war es aber vergebens, bis endlich eines Abends eine Rose zu seinen Füßen fiel, an welcher ein Zettel befestigt war. Wo anders her als von Bella konnte dieses Zeichen kommen, er drückte es entzückt an seine Lippen und las dann bei'm Schein der nächsten Laterne den Zettel. Es war offenbar hastig und mit zitternder Hand geschrieben -- es war nicht Bella's zierliche Handschrift -- aber in der Eile war es wohl möglich, daß sie so nachlässig geschrieben hatte. Er las verwundert lächelnd: "Wir dürfen uns einander nicht nähern, aber mein Herz bewahrt für Jaromir unverändert dasselbe Gefühl."

Er wußte sich diese Worte nicht recht zu deuten -- hatte Bella irgend ein andres Verhältniß angeknüpft, daß er sich ihr nicht nähern dürfe? Er mußte darüber Gewißheit haben, und eilte am nächsten Morgen zu ihr. Sie empfing ihn mit fröhlicher Ueberraschung. Er wollte endlich Ausschluß über die Rose -- das war vergebens, denn sie war nicht von Bella gekommen -- diese vermuthete endlich, eines ihrer Kammermädchen habe sich vielleicht einen schlechten Spas damit machen wollen -- man ließ die

gehend von Berlin mit ihr entzweit, und sie waren nicht in friedlicher Stimmung von einander geschieden, ging er mehrmals an dem Hause vorüber, das man ihm als ihre Wohnung bezeichnet hatte. Er hoffte, auf diese Weise sie zufällig zu sehen, einen Wink, einen Ruf von ihr zu erhalten — lange war es aber vergebens, bis endlich eines Abends eine Rose zu seinen Füßen fiel, an welcher ein Zettel befestigt war. Wo anders her als von Bella konnte dieses Zeichen kommen, er drückte es entzückt an seine Lippen und las dann bei’m Schein der nächsten Laterne den Zettel. Es war offenbar hastig und mit zitternder Hand geschrieben — es war nicht Bella’s zierliche Handschrift — aber in der Eile war es wohl möglich, daß sie so nachlässig geschrieben hatte. Er las verwundert lächelnd: „Wir dürfen uns einander nicht nähern, aber mein Herz bewahrt für Jaromir unverändert dasselbe Gefühl.“

Er wußte sich diese Worte nicht recht zu deuten — hatte Bella irgend ein andres Verhältniß angeknüpft, daß er sich ihr nicht nähern dürfe? Er mußte darüber Gewißheit haben, und eilte am nächsten Morgen zu ihr. Sie empfing ihn mit fröhlicher Ueberraschung. Er wollte endlich Ausschluß über die Rose — das war vergebens, denn sie war nicht von Bella gekommen — diese vermuthete endlich, eines ihrer Kammermädchen habe sich vielleicht einen schlechten Spas damit machen wollen — man ließ die

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[55/0065] gehend von Berlin mit ihr entzweit, und sie waren nicht in friedlicher Stimmung von einander geschieden, ging er mehrmals an dem Hause vorüber, das man ihm als ihre Wohnung bezeichnet hatte. Er hoffte, auf diese Weise sie zufällig zu sehen, einen Wink, einen Ruf von ihr zu erhalten — lange war es aber vergebens, bis endlich eines Abends eine Rose zu seinen Füßen fiel, an welcher ein Zettel befestigt war. Wo anders her als von Bella konnte dieses Zeichen kommen, er drückte es entzückt an seine Lippen und las dann bei’m Schein der nächsten Laterne den Zettel. Es war offenbar hastig und mit zitternder Hand geschrieben — es war nicht Bella’s zierliche Handschrift — aber in der Eile war es wohl möglich, daß sie so nachlässig geschrieben hatte. Er las verwundert lächelnd: „Wir dürfen uns einander nicht nähern, aber mein Herz bewahrt für Jaromir unverändert dasselbe Gefühl.“ Er wußte sich diese Worte nicht recht zu deuten — hatte Bella irgend ein andres Verhältniß angeknüpft, daß er sich ihr nicht nähern dürfe? Er mußte darüber Gewißheit haben, und eilte am nächsten Morgen zu ihr. Sie empfing ihn mit fröhlicher Ueberraschung. Er wollte endlich Ausschluß über die Rose — das war vergebens, denn sie war nicht von Bella gekommen — diese vermuthete endlich, eines ihrer Kammermädchen habe sich vielleicht einen schlechten Spas damit machen wollen — man ließ die

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/65>, abgerufen am 23.11.2024.