Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.-- Ach, Johannes, kannst Du mir das Alles vergeben? Kannst Du mir es vergeben, damit ich ruhig sterben kann?" "Vergeben ist eine heilige Pflicht," sagte Johannes aufstehend und feierlich, aber mit gepreßter Stimme. "Ich vergebe Dir Alles!" "Du vergiebst mir -- nur aus kalter strenger Pflicht, nicht aus zärtlichem Herzen, Du vergiebst mir, weil es Deine strenge Tugend Dir so befiehlt --" flüsterte sie vorwurfsvoll, "doch ja, ich verdiene das -- Du vergiebst doch -- ich danke Dir! Aber vollende, kröne Dein Werk, wenn ich, mit Dir versöhnt, sterben darf, so versöhne mich auch mit Jaromir, ich habe an ihm unrecht gehandelt, wie an Dir, ich habe ihn unglücklich gemacht, wie Dich -- --!" Johannes sah sie fragend an und schwieg. Nach einer Pause begann Amalie wieder hastig: "Du willst mich nicht verstehen -- Jaromir ist hier, ich habe ihn wiedergesehen!" "Auch noch das!" sagte Johannes tonlos. "Einige Tage vorher, eh' ich krank ward, sah ich ihn unter meinen Fenstern vorübergehen -- die fünf Jahre unsrer Trennung hatten ihn sehr verändert, er sah blaß und abgezehrt aus, und ein tiefer Gram wohnte in seinen früher so fröhlich glänzenden Augen, Mehrmals des Tages ging er vorüber, immer sah er herauf -- aber ich bezwang — Ach, Johannes, kannst Du mir das Alles vergeben? Kannst Du mir es vergeben, damit ich ruhig sterben kann?“ „Vergeben ist eine heilige Pflicht,“ sagte Johannes aufstehend und feierlich, aber mit gepreßter Stimme. „Ich vergebe Dir Alles!“ „Du vergiebst mir — nur aus kalter strenger Pflicht, nicht aus zärtlichem Herzen, Du vergiebst mir, weil es Deine strenge Tugend Dir so befiehlt —“ flüsterte sie vorwurfsvoll, „doch ja, ich verdiene das — Du vergiebst doch — ich danke Dir! Aber vollende, kröne Dein Werk, wenn ich, mit Dir versöhnt, sterben darf, so versöhne mich auch mit Jaromir, ich habe an ihm unrecht gehandelt, wie an Dir, ich habe ihn unglücklich gemacht, wie Dich — —!“ Johannes sah sie fragend an und schwieg. Nach einer Pause begann Amalie wieder hastig: „Du willst mich nicht verstehen — Jaromir ist hier, ich habe ihn wiedergesehen!“ „Auch noch das!“ sagte Johannes tonlos. „Einige Tage vorher, eh’ ich krank ward, sah ich ihn unter meinen Fenstern vorübergehen — die fünf Jahre unsrer Trennung hatten ihn sehr verändert, er sah blaß und abgezehrt aus, und ein tiefer Gram wohnte in seinen früher so fröhlich glänzenden Augen, Mehrmals des Tages ging er vorüber, immer sah er herauf — aber ich bezwang <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0042" n="32"/> — Ach, Johannes, kannst Du mir das Alles vergeben? Kannst Du mir es vergeben, damit ich ruhig sterben kann?“</p> <p>„Vergeben ist eine heilige Pflicht,“ sagte Johannes aufstehend und feierlich, aber mit gepreßter Stimme. „Ich vergebe Dir Alles!“</p> <p>„Du vergiebst mir — nur aus kalter strenger Pflicht, nicht aus zärtlichem Herzen, Du vergiebst mir, weil es Deine strenge Tugend Dir so befiehlt —“ flüsterte sie vorwurfsvoll, „doch ja, ich verdiene das — Du vergiebst doch — ich danke Dir! Aber vollende, kröne Dein Werk, wenn ich, mit Dir versöhnt, sterben darf, so versöhne mich auch mit Jaromir, ich habe an ihm unrecht gehandelt, wie an Dir, ich habe ihn unglücklich gemacht, wie Dich — —!“</p> <p>Johannes sah sie fragend an und schwieg.</p> <p>Nach einer Pause begann Amalie wieder hastig: „Du willst mich nicht verstehen — Jaromir ist hier, ich habe ihn wiedergesehen!“</p> <p>„Auch noch das!“ sagte Johannes tonlos.</p> <p>„Einige Tage vorher, eh’ ich krank ward, sah ich ihn unter meinen Fenstern vorübergehen — die fünf Jahre unsrer Trennung hatten ihn sehr verändert, er sah blaß und abgezehrt aus, und ein tiefer Gram wohnte in seinen früher so fröhlich glänzenden Augen, Mehrmals des Tages ging er vorüber, immer sah er herauf — aber ich bezwang </p> </div> </body> </text> </TEI> [32/0042]
— Ach, Johannes, kannst Du mir das Alles vergeben? Kannst Du mir es vergeben, damit ich ruhig sterben kann?“
„Vergeben ist eine heilige Pflicht,“ sagte Johannes aufstehend und feierlich, aber mit gepreßter Stimme. „Ich vergebe Dir Alles!“
„Du vergiebst mir — nur aus kalter strenger Pflicht, nicht aus zärtlichem Herzen, Du vergiebst mir, weil es Deine strenge Tugend Dir so befiehlt —“ flüsterte sie vorwurfsvoll, „doch ja, ich verdiene das — Du vergiebst doch — ich danke Dir! Aber vollende, kröne Dein Werk, wenn ich, mit Dir versöhnt, sterben darf, so versöhne mich auch mit Jaromir, ich habe an ihm unrecht gehandelt, wie an Dir, ich habe ihn unglücklich gemacht, wie Dich — —!“
Johannes sah sie fragend an und schwieg.
Nach einer Pause begann Amalie wieder hastig: „Du willst mich nicht verstehen — Jaromir ist hier, ich habe ihn wiedergesehen!“
„Auch noch das!“ sagte Johannes tonlos.
„Einige Tage vorher, eh’ ich krank ward, sah ich ihn unter meinen Fenstern vorübergehen — die fünf Jahre unsrer Trennung hatten ihn sehr verändert, er sah blaß und abgezehrt aus, und ein tiefer Gram wohnte in seinen früher so fröhlich glänzenden Augen, Mehrmals des Tages ging er vorüber, immer sah er herauf — aber ich bezwang
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