Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.vernahm man Nichts, als die langen, unruhigen Athemzüge der Kranken. In der dunkelsten Ecke des Gemaches saß der Gatte der Kranken in einem schwarzen Lehnstuhl. Sein Arm stützte sich auf eine Seitenlehne des Sessels, so daß die emporgehaltene Hand das müde herabgesenkte Haupt trug. Thalheim mogte einige dreißig Jahre zählen. Die Züge seines Antlitzes waren von männlicher Schönheit und antiker Regelmäßigkeit; aber aus den leichten Furchen seiner hohen, breiten Stirn, Furchen, welche nur der Schmerz gezogen haben konnte, war bald zu lesen, daß manch hartes Geschick den Mann getroffen haben mogte, und die Blässe seines Antlitzes, das dunkle Feuer, das in seinen tiefblauen Augen brannte, das schmerzliche Zucken um den Mund, das die Oberlippe emporzog und ihn halb öffnete, so daß man eine Reihe großer mormorweißer Zähne gewahrte, deutete auch jetzt auf ein schmerzlichbewegtes Innere. Bei All' dem aber konnte Thalheim's Anblick auch in seiner jetzigen niedergebeugten Stellung weniger Mitleid, als Ehrfurcht erwecken. Etwas Unaussprechliches, Unnennbares prägte sich in seiner Gestalt, auf seinem Gesichte aus, etwas Heiliges, Unüberwindliches. Er stand jetzt auf, denn die Kranke, welche er im Schlummer glaubte, hatte sich jetzt plötzlich rasch aufgerichtet und rief ungeduldig: vernahm man Nichts, als die langen, unruhigen Athemzüge der Kranken. In der dunkelsten Ecke des Gemaches saß der Gatte der Kranken in einem schwarzen Lehnstuhl. Sein Arm stützte sich auf eine Seitenlehne des Sessels, so daß die emporgehaltene Hand das müde herabgesenkte Haupt trug. Thalheim mogte einige dreißig Jahre zählen. Die Züge seines Antlitzes waren von männlicher Schönheit und antiker Regelmäßigkeit; aber aus den leichten Furchen seiner hohen, breiten Stirn, Furchen, welche nur der Schmerz gezogen haben konnte, war bald zu lesen, daß manch hartes Geschick den Mann getroffen haben mogte, und die Blässe seines Antlitzes, das dunkle Feuer, das in seinen tiefblauen Augen brannte, das schmerzliche Zucken um den Mund, das die Oberlippe emporzog und ihn halb öffnete, so daß man eine Reihe großer mormorweißer Zähne gewahrte, deutete auch jetzt auf ein schmerzlichbewegtes Innere. Bei All’ dem aber konnte Thalheim’s Anblick auch in seiner jetzigen niedergebeugten Stellung weniger Mitleid, als Ehrfurcht erwecken. Etwas Unaussprechliches, Unnennbares prägte sich in seiner Gestalt, auf seinem Gesichte aus, etwas Heiliges, Unüberwindliches. Er stand jetzt auf, denn die Kranke, welche er im Schlummer glaubte, hatte sich jetzt plötzlich rasch aufgerichtet und rief ungeduldig: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0029" n="19"/> vernahm man Nichts, als die langen, unruhigen Athemzüge der Kranken.</p> <p>In der dunkelsten Ecke des Gemaches saß der Gatte der Kranken in einem schwarzen Lehnstuhl. Sein Arm stützte sich auf eine Seitenlehne des Sessels, so daß die emporgehaltene Hand das müde herabgesenkte Haupt trug.</p> <p>Thalheim mogte einige dreißig Jahre zählen. Die Züge seines Antlitzes waren von männlicher Schönheit und antiker Regelmäßigkeit; aber aus den leichten Furchen seiner hohen, breiten Stirn, Furchen, welche nur der Schmerz gezogen haben konnte, war bald zu lesen, daß manch hartes Geschick den Mann getroffen haben mogte, und die Blässe seines Antlitzes, das dunkle Feuer, das in seinen tiefblauen Augen brannte, das schmerzliche Zucken um den Mund, das die Oberlippe emporzog und ihn halb öffnete, so daß man eine Reihe großer mormorweißer Zähne gewahrte, deutete auch jetzt auf ein schmerzlichbewegtes Innere. Bei All’ dem aber konnte Thalheim’s Anblick auch in seiner jetzigen niedergebeugten Stellung weniger Mitleid, als Ehrfurcht erwecken. Etwas Unaussprechliches, Unnennbares prägte sich in seiner Gestalt, auf seinem Gesichte aus, etwas Heiliges, Unüberwindliches.</p> <p>Er stand jetzt auf, denn die Kranke, welche er im Schlummer glaubte, hatte sich jetzt plötzlich rasch aufgerichtet und rief ungeduldig:</p> </div> </body> </text> </TEI> [19/0029]
vernahm man Nichts, als die langen, unruhigen Athemzüge der Kranken.
In der dunkelsten Ecke des Gemaches saß der Gatte der Kranken in einem schwarzen Lehnstuhl. Sein Arm stützte sich auf eine Seitenlehne des Sessels, so daß die emporgehaltene Hand das müde herabgesenkte Haupt trug.
Thalheim mogte einige dreißig Jahre zählen. Die Züge seines Antlitzes waren von männlicher Schönheit und antiker Regelmäßigkeit; aber aus den leichten Furchen seiner hohen, breiten Stirn, Furchen, welche nur der Schmerz gezogen haben konnte, war bald zu lesen, daß manch hartes Geschick den Mann getroffen haben mogte, und die Blässe seines Antlitzes, das dunkle Feuer, das in seinen tiefblauen Augen brannte, das schmerzliche Zucken um den Mund, das die Oberlippe emporzog und ihn halb öffnete, so daß man eine Reihe großer mormorweißer Zähne gewahrte, deutete auch jetzt auf ein schmerzlichbewegtes Innere. Bei All’ dem aber konnte Thalheim’s Anblick auch in seiner jetzigen niedergebeugten Stellung weniger Mitleid, als Ehrfurcht erwecken. Etwas Unaussprechliches, Unnennbares prägte sich in seiner Gestalt, auf seinem Gesichte aus, etwas Heiliges, Unüberwindliches.
Er stand jetzt auf, denn die Kranke, welche er im Schlummer glaubte, hatte sich jetzt plötzlich rasch aufgerichtet und rief ungeduldig:
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/29>, abgerufen am 22.07.2024. |