Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846."Sie hier, Elisabeth?" fragte er sanft im Tone der höchsten Verwunderung. Sie stand zitternd vor ihm mit gesenktem Blick, und wie die Morgenröthe am Osthimmel aufflammte, so erglühte auch ihr Gesicht wie im sanften Wiederschein -- und gleichsam, als fühle sie jetzt bei Thalheims Befremden über ihr Hiersein, daß der Schritt, den sie gethan, vielleicht nicht nur ungewöhnlich, sondern auch unmädchenhaft sei, hauchte sie leise "Vergebung" und senkte ihr Haupt auf seine Hand herab, welche die ihrige hielt, so daß sie in einer gebeugten, halb knieenden Stellung vor ihm verharrte, bis er selbst sagte: "Richten Sie sich auf, Elisabeth, Sie haben mir vielleicht noch Etwas zu sagen, zögern Sie nicht -- ist es ein Wunsch, vielleicht ein Auftrag, ich werde wenigstens versuchen, Ihnen Nichts unerfüllt zu lassen." Sie richtete sich plötzlich auf mit aller Kraft, welche ihr zu Gebote stand, und sagte unter Thränen, lächelnd: "Ich habe um Nichts bitten wollen, als daß Sie diese Blumen mitnehmen -- Nelken sind ja Ihre Lieblingsblumen -- und deshalb kam ich hierher -- und zu einem letzten Lebewohl." Sie hatte diese Worte mit ruhiger Fassung gesagt: "Ich werde Sie niemals vergessen, Elisabeth -- ich habe es sie immer ahnen lassen: Sie sind meine theuerste Schülerin „Sie hier, Elisabeth?“ fragte er sanft im Tone der höchsten Verwunderung. Sie stand zitternd vor ihm mit gesenktem Blick, und wie die Morgenröthe am Osthimmel aufflammte, so erglühte auch ihr Gesicht wie im sanften Wiederschein — und gleichsam, als fühle sie jetzt bei Thalheims Befremden über ihr Hiersein, daß der Schritt, den sie gethan, vielleicht nicht nur ungewöhnlich, sondern auch unmädchenhaft sei, hauchte sie leise „Vergebung“ und senkte ihr Haupt auf seine Hand herab, welche die ihrige hielt, so daß sie in einer gebeugten, halb knieenden Stellung vor ihm verharrte, bis er selbst sagte: „Richten Sie sich auf, Elisabeth, Sie haben mir vielleicht noch Etwas zu sagen, zögern Sie nicht — ist es ein Wunsch, vielleicht ein Auftrag, ich werde wenigstens versuchen, Ihnen Nichts unerfüllt zu lassen.“ Sie richtete sich plötzlich auf mit aller Kraft, welche ihr zu Gebote stand, und sagte unter Thränen, lächelnd: „Ich habe um Nichts bitten wollen, als daß Sie diese Blumen mitnehmen — Nelken sind ja Ihre Lieblingsblumen — und deshalb kam ich hierher — und zu einem letzten Lebewohl.“ Sie hatte diese Worte mit ruhiger Fassung gesagt: „Ich werde Sie niemals vergessen, Elisabeth — ich habe es sie immer ahnen lassen: Sie sind meine theuerste Schülerin <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0117" n="107"/> <p> „Sie hier, Elisabeth?“ fragte er sanft im Tone der höchsten Verwunderung.</p> <p>Sie stand zitternd vor ihm mit gesenktem Blick, und wie die Morgenröthe am Osthimmel aufflammte, so erglühte auch ihr Gesicht wie im sanften Wiederschein — und gleichsam, als fühle sie jetzt bei Thalheims Befremden über ihr Hiersein, daß der Schritt, den sie gethan, vielleicht nicht nur ungewöhnlich, sondern auch unmädchenhaft sei, hauchte sie leise „Vergebung“ und senkte ihr Haupt auf seine Hand herab, welche die ihrige hielt, so daß sie in einer gebeugten, halb knieenden Stellung vor ihm verharrte, bis er selbst sagte:</p> <p>„Richten Sie sich auf, Elisabeth, Sie haben mir vielleicht noch Etwas zu sagen, zögern Sie nicht — ist es ein Wunsch, vielleicht ein Auftrag, ich werde wenigstens versuchen, Ihnen Nichts unerfüllt zu lassen.“</p> <p>Sie richtete sich plötzlich auf mit aller Kraft, welche ihr zu Gebote stand, und sagte unter Thränen, lächelnd: „Ich habe um Nichts bitten wollen, als daß Sie diese Blumen mitnehmen — Nelken sind ja Ihre Lieblingsblumen — und deshalb kam ich hierher — und zu einem letzten Lebewohl.“</p> <p>Sie hatte diese Worte mit ruhiger Fassung gesagt: „Ich werde Sie niemals vergessen, Elisabeth — ich habe es sie immer ahnen lassen: Sie sind meine theuerste Schülerin </p> </div> </body> </text> </TEI> [107/0117]
„Sie hier, Elisabeth?“ fragte er sanft im Tone der höchsten Verwunderung.
Sie stand zitternd vor ihm mit gesenktem Blick, und wie die Morgenröthe am Osthimmel aufflammte, so erglühte auch ihr Gesicht wie im sanften Wiederschein — und gleichsam, als fühle sie jetzt bei Thalheims Befremden über ihr Hiersein, daß der Schritt, den sie gethan, vielleicht nicht nur ungewöhnlich, sondern auch unmädchenhaft sei, hauchte sie leise „Vergebung“ und senkte ihr Haupt auf seine Hand herab, welche die ihrige hielt, so daß sie in einer gebeugten, halb knieenden Stellung vor ihm verharrte, bis er selbst sagte:
„Richten Sie sich auf, Elisabeth, Sie haben mir vielleicht noch Etwas zu sagen, zögern Sie nicht — ist es ein Wunsch, vielleicht ein Auftrag, ich werde wenigstens versuchen, Ihnen Nichts unerfüllt zu lassen.“
Sie richtete sich plötzlich auf mit aller Kraft, welche ihr zu Gebote stand, und sagte unter Thränen, lächelnd: „Ich habe um Nichts bitten wollen, als daß Sie diese Blumen mitnehmen — Nelken sind ja Ihre Lieblingsblumen — und deshalb kam ich hierher — und zu einem letzten Lebewohl.“
Sie hatte diese Worte mit ruhiger Fassung gesagt: „Ich werde Sie niemals vergessen, Elisabeth — ich habe es sie immer ahnen lassen: Sie sind meine theuerste Schülerin
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