Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.was ihn dazu treibe, sie hatte ihm die Blumen zugeworfen, und wer weiß, wie er sich darüber lustig gemacht hatte -- sie hatte ihn zu sich beschieden, und er war gekommen, aus Mitleid gekommen -- nur aus Mitleid, wo sie an Sehnsucht gedacht hatte. Vielleicht war er von ihrem Sterbebette in Bella's Arme geeilt, und hatte ihr die Scene, die sie sich so erhaben gedacht hatte, als eine Lächerlichkeit erzählt -- hatte ihre Armuth gesehen, und das Geld, was Amalie durch Bella empfing, war gewiß aus seinen Händen gekommen, er hatte vielleicht diesen Weg gewählt, um sich so nicht verrathen und die Gabe abgewiesen zu sehen -- und deshalb hatte sie Bella in ihrem Billet gebeten, es dem Gatten zu verheimlichen -- wie sie bei diesen Gedanken ankam, verhüllte sie ihr Gesicht, und schrie auf: "Es giebt keinen größern Fluch, als die Armuth!" Sie hätte so gern das Geld zurückgegeben, das sie nun so drückte und so beschämte und so demüthigte -- aber sie war es nicht mehr im Stande, sie besaß es nicht mehr, sie hatte es ausgegeben. Und wo war die Möglichkeit, bald im Besitz einer gleichen Summe zu kommen? "Die Armuth darf ja keinen Stolz und keine Scham haben," sagte sie stöhnend zu sich, "was bei den Reichen Tugend und Recht ist, ist bei den Armen Verbrechen und Unrecht." was ihn dazu treibe, sie hatte ihm die Blumen zugeworfen, und wer weiß, wie er sich darüber lustig gemacht hatte — sie hatte ihn zu sich beschieden, und er war gekommen, aus Mitleid gekommen — nur aus Mitleid, wo sie an Sehnsucht gedacht hatte. Vielleicht war er von ihrem Sterbebette in Bella’s Arme geeilt, und hatte ihr die Scene, die sie sich so erhaben gedacht hatte, als eine Lächerlichkeit erzählt — hatte ihre Armuth gesehen, und das Geld, was Amalie durch Bella empfing, war gewiß aus seinen Händen gekommen, er hatte vielleicht diesen Weg gewählt, um sich so nicht verrathen und die Gabe abgewiesen zu sehen — und deshalb hatte sie Bella in ihrem Billet gebeten, es dem Gatten zu verheimlichen — wie sie bei diesen Gedanken ankam, verhüllte sie ihr Gesicht, und schrie auf: „Es giebt keinen größern Fluch, als die Armuth!“ Sie hätte so gern das Geld zurückgegeben, das sie nun so drückte und so beschämte und so demüthigte — aber sie war es nicht mehr im Stande, sie besaß es nicht mehr, sie hatte es ausgegeben. Und wo war die Möglichkeit, bald im Besitz einer gleichen Summe zu kommen? „Die Armuth darf ja keinen Stolz und keine Scham haben,“ sagte sie stöhnend zu sich, „was bei den Reichen Tugend und Recht ist, ist bei den Armen Verbrechen und Unrecht.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0102" n="92"/> was ihn dazu treibe, sie hatte ihm die Blumen zugeworfen, und wer weiß, wie er sich darüber lustig gemacht hatte — sie hatte ihn zu sich beschieden, und er war gekommen, aus Mitleid gekommen — nur aus Mitleid, wo sie an Sehnsucht gedacht hatte. Vielleicht war er von ihrem Sterbebette in Bella’s Arme geeilt, und hatte ihr die Scene, die sie sich so erhaben gedacht hatte, als eine Lächerlichkeit erzählt — hatte ihre Armuth gesehen, und das Geld, was Amalie durch Bella empfing, war gewiß aus seinen Händen gekommen, er hatte vielleicht diesen Weg gewählt, um sich so nicht verrathen und die Gabe abgewiesen zu sehen — und deshalb hatte sie Bella in ihrem Billet gebeten, es dem Gatten zu verheimlichen — wie sie bei diesen Gedanken ankam, verhüllte sie ihr Gesicht, und schrie auf:</p> <p>„Es giebt keinen größern Fluch, als die Armuth!“</p> <p>Sie hätte so gern das Geld zurückgegeben, das sie nun so drückte und so beschämte und so demüthigte — aber sie war es nicht mehr im Stande, sie besaß es nicht mehr, sie hatte es ausgegeben. Und wo war die Möglichkeit, bald im Besitz einer gleichen Summe zu kommen?</p> <p>„Die Armuth darf ja keinen Stolz und keine Scham haben,“ sagte sie stöhnend zu sich, „was bei den Reichen Tugend und Recht ist, ist bei den Armen Verbrechen und Unrecht.“</p> </div> </body> </text> </TEI> [92/0102]
was ihn dazu treibe, sie hatte ihm die Blumen zugeworfen, und wer weiß, wie er sich darüber lustig gemacht hatte — sie hatte ihn zu sich beschieden, und er war gekommen, aus Mitleid gekommen — nur aus Mitleid, wo sie an Sehnsucht gedacht hatte. Vielleicht war er von ihrem Sterbebette in Bella’s Arme geeilt, und hatte ihr die Scene, die sie sich so erhaben gedacht hatte, als eine Lächerlichkeit erzählt — hatte ihre Armuth gesehen, und das Geld, was Amalie durch Bella empfing, war gewiß aus seinen Händen gekommen, er hatte vielleicht diesen Weg gewählt, um sich so nicht verrathen und die Gabe abgewiesen zu sehen — und deshalb hatte sie Bella in ihrem Billet gebeten, es dem Gatten zu verheimlichen — wie sie bei diesen Gedanken ankam, verhüllte sie ihr Gesicht, und schrie auf:
„Es giebt keinen größern Fluch, als die Armuth!“
Sie hätte so gern das Geld zurückgegeben, das sie nun so drückte und so beschämte und so demüthigte — aber sie war es nicht mehr im Stande, sie besaß es nicht mehr, sie hatte es ausgegeben. Und wo war die Möglichkeit, bald im Besitz einer gleichen Summe zu kommen?
„Die Armuth darf ja keinen Stolz und keine Scham haben,“ sagte sie stöhnend zu sich, „was bei den Reichen Tugend und Recht ist, ist bei den Armen Verbrechen und Unrecht.“
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