mehr so fleißig ist, sich schon selbst Manches zu ver- dienen -- aber da hat er weder Zeit noch Geld übrig zur Reise und hat nicht herkommen können. Da kränkt sich nun die Mutter Eva, daß ihr sei als habe sie kein Kind mehr, und daß sie auch nicht wisse, ob er noch so gut und fromm sei wie damals, als sie ihn wegge- geben und ob er nicht gar ein vornehmer Herr gewor- den und der Bauernmutter sich schäme."
"Da müßt er ja ein ganz schlechter Mensch sein!" rief unser Schulmeister aus, "das wird er doch nicht. Die Mutter muß er doch in Ehren halten und wär' er ein Fürst geworden. Was wäre das für eine Zeit, in der ein Kind seiner Mutter sich schämen dürfte, nur deshalb, weil sie arm und keine vornehme oder gelehrte Frau ist. Das macht doch nicht den Werth des Menschen aus!"
Das Gespräch ward jetzt unterbrochen, weil die Thür auf einmal ganz leise aufgemacht ward und ein junger Mann hereintrat und dazwischen wie eine Er- scheinung stehen blieb. Er sah so fremd aus und Nie- mand kannte ihn. Lichtbraunes Haar floß lang und ein wenig verwirrt um ein schönes, edles Angesicht und ein zierlicher Bart um den lächelnden Mund. Mit dunklen, wunderbar leuchtenden Augen sprühte er im Kreise umher. Jn dem schwarzen Sammtüberrock bis oben hinauf unter einen weißen Hemdkragen zugeknöpft,
mehr ſo fleißig iſt, ſich ſchon ſelbſt Manches zu ver- dienen — aber da hat er weder Zeit noch Geld uͤbrig zur Reiſe und hat nicht herkommen koͤnnen. Da kraͤnkt ſich nun die Mutter Eva, daß ihr ſei als habe ſie kein Kind mehr, und daß ſie auch nicht wiſſe, ob er noch ſo gut und fromm ſei wie damals, als ſie ihn wegge- geben und ob er nicht gar ein vornehmer Herr gewor- den und der Bauernmutter ſich ſchaͤme.“
„Da muͤßt er ja ein ganz ſchlechter Menſch ſein!“ rief unſer Schulmeiſter aus, „das wird er doch nicht. Die Mutter muß er doch in Ehren halten und waͤr’ er ein Fuͤrſt geworden. Was waͤre das fuͤr eine Zeit, in der ein Kind ſeiner Mutter ſich ſchaͤmen duͤrfte, nur deshalb, weil ſie arm und keine vornehme oder gelehrte Frau iſt. Das macht doch nicht den Werth des Menſchen aus!“
Das Geſpraͤch ward jetzt unterbrochen, weil die Thuͤr auf einmal ganz leiſe aufgemacht ward und ein junger Mann hereintrat und dazwiſchen wie eine Er- ſcheinung ſtehen blieb. Er ſah ſo fremd aus und Nie- mand kannte ihn. Lichtbraunes Haar floß lang und ein wenig verwirrt um ein ſchoͤnes, edles Angeſicht und ein zierlicher Bart um den laͤchelnden Mund. Mit dunklen, wunderbar leuchtenden Augen ſpruͤhte er im Kreiſe umher. Jn dem ſchwarzen Sammtuͤberrock bis oben hinauf unter einen weißen Hemdkragen zugeknoͤpft,
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mehr ſo fleißig iſt, ſich ſchon ſelbſt Manches zu ver-
dienen — aber da hat er weder Zeit noch Geld uͤbrig
zur Reiſe und hat nicht herkommen koͤnnen. Da kraͤnkt
ſich nun die Mutter Eva, daß ihr ſei als habe ſie kein
Kind mehr, und daß ſie auch nicht wiſſe, ob er noch
ſo gut und fromm ſei wie damals, als ſie ihn wegge-
geben und ob er nicht gar ein vornehmer Herr gewor-
den und der Bauernmutter ſich ſchaͤme.“
„Da muͤßt er ja ein ganz ſchlechter Menſch ſein!“
rief unſer Schulmeiſter aus, „das wird er doch nicht.
Die Mutter muß er doch in Ehren halten und waͤr’ er
ein Fuͤrſt geworden. Was waͤre das fuͤr eine Zeit, in
der ein Kind ſeiner Mutter ſich ſchaͤmen duͤrfte, nur deshalb,
weil ſie arm und keine vornehme oder gelehrte Frau iſt.
Das macht doch nicht den Werth des Menſchen aus!“
Das Geſpraͤch ward jetzt unterbrochen, weil die
Thuͤr auf einmal ganz leiſe aufgemacht ward und ein
junger Mann hereintrat und dazwiſchen wie eine Er-
ſcheinung ſtehen blieb. Er ſah ſo fremd aus und Nie-
mand kannte ihn. Lichtbraunes Haar floß lang und ein
wenig verwirrt um ein ſchoͤnes, edles Angeſicht und
ein zierlicher Bart um den laͤchelnden Mund. Mit
dunklen, wunderbar leuchtenden Augen ſpruͤhte er im
Kreiſe umher. Jn dem ſchwarzen Sammtuͤberrock bis
oben hinauf unter einen weißen Hemdkragen zugeknoͤpft,
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/50>, abgerufen am 02.02.2025.
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