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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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Jn Wahrheit hatte Christlieb die Leute zu einer schlech-
ten That verlocken wollen, um hinterher Alles auf Jo-
hannes schieben und so ihn noch einmal verderben zu
können. --

Johannes fuhr nun mit dem Schulmeister in sein
Heimathdorf. Der Wagen hielt vor der Pfarre. Er
vermochte kein Wort zu sprechen, als er in den Armen
des würdigen Pfarrerpaares lag, das ihn liebte wie
treue Eltern ihr Kind und ihn lautschluchzend empfing.
Jn diesem Augenblick vergaß er wieder Alles, was er
eben erlebt und gehört und was mit heiligen Schauern
sein Herz erbeben gemacht hatte: die Republik Frankreich,
die schwarz-roth-gold'nen Fahnen, die werdende deutsche
Freiheit, seine eigne Befreiung, die Liebe des Volks, die
sich ihm so innig und herrlich gezeigt hatte -- Alles,
Alles vergaß er, obwohl jede Vorstellung schon von einem
dieser Dinge seine ganze Seele fieberhaft mächtig be-
wegte -- er vergaß Alles vor der Allmacht eines einzigen
andern Gedankens und wie es sein letztes Wort gewesen,
was er damals im Dorfe gesprochen: meine Mutter!
als er in's Gefängniß geschleppt ward, so war es jetzt
sein erstes, da er heraus kam: "meine Mutter!"
rief er stammelnd, da er den Pfarrer eine Weile schwei-
gend umarmt gehabt und sank mit diesem Schmerzensruf
vor ihm auf die Knie.

Jn Wahrheit hatte Chriſtlieb die Leute zu einer ſchlech-
ten That verlocken wollen, um hinterher Alles auf Jo-
hannes ſchieben und ſo ihn noch einmal verderben zu
koͤnnen. —

Johannes fuhr nun mit dem Schulmeiſter in ſein
Heimathdorf. Der Wagen hielt vor der Pfarre. Er
vermochte kein Wort zu ſprechen, als er in den Armen
des wuͤrdigen Pfarrerpaares lag, das ihn liebte wie
treue Eltern ihr Kind und ihn lautſchluchzend empfing.
Jn dieſem Augenblick vergaß er wieder Alles, was er
eben erlebt und gehoͤrt und was mit heiligen Schauern
ſein Herz erbeben gemacht hatte: die Republik Frankreich,
die ſchwarz-roth-gold’nen Fahnen, die werdende deutſche
Freiheit, ſeine eigne Befreiung, die Liebe des Volks, die
ſich ihm ſo innig und herrlich gezeigt hatte — Alles,
Alles vergaß er, obwohl jede Vorſtellung ſchon von einem
dieſer Dinge ſeine ganze Seele fieberhaft maͤchtig be-
wegte — er vergaß Alles vor der Allmacht eines einzigen
andern Gedankens und wie es ſein letztes Wort geweſen,
was er damals im Dorfe geſprochen: meine Mutter!
als er in’s Gefaͤngniß geſchleppt ward, ſo war es jetzt
ſein erſtes, da er heraus kam: „meine Mutter!
rief er ſtammelnd, da er den Pfarrer eine Weile ſchwei-
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[339/0347] Jn Wahrheit hatte Chriſtlieb die Leute zu einer ſchlech- ten That verlocken wollen, um hinterher Alles auf Jo- hannes ſchieben und ſo ihn noch einmal verderben zu koͤnnen. — Johannes fuhr nun mit dem Schulmeiſter in ſein Heimathdorf. Der Wagen hielt vor der Pfarre. Er vermochte kein Wort zu ſprechen, als er in den Armen des wuͤrdigen Pfarrerpaares lag, das ihn liebte wie treue Eltern ihr Kind und ihn lautſchluchzend empfing. Jn dieſem Augenblick vergaß er wieder Alles, was er eben erlebt und gehoͤrt und was mit heiligen Schauern ſein Herz erbeben gemacht hatte: die Republik Frankreich, die ſchwarz-roth-gold’nen Fahnen, die werdende deutſche Freiheit, ſeine eigne Befreiung, die Liebe des Volks, die ſich ihm ſo innig und herrlich gezeigt hatte — Alles, Alles vergaß er, obwohl jede Vorſtellung ſchon von einem dieſer Dinge ſeine ganze Seele fieberhaft maͤchtig be- wegte — er vergaß Alles vor der Allmacht eines einzigen andern Gedankens und wie es ſein letztes Wort geweſen, was er damals im Dorfe geſprochen: meine Mutter! als er in’s Gefaͤngniß geſchleppt ward, ſo war es jetzt ſein erſtes, da er heraus kam: „meine Mutter!“ rief er ſtammelnd, da er den Pfarrer eine Weile ſchwei- gend umarmt gehabt und ſank mit dieſem Schmerzensruf vor ihm auf die Knie.

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/347>, abgerufen am 25.11.2024.