Frühlingsluft wehe, er konnte die milde Luft durch sein Kerkerfenster einathmen -- aber nie hatte man ihm eine Zeitung in seine Zelle gebracht, die Gefängnißwärter, und weiter sah er Niemand, hatten ihm nie Etwas erzählt, er hatte keine Ahnung davon, daß es Frühling im Völker- leben, Frühling in Deutschland geworden war. Er konnte aus seinem Fenster nicht auf die Gassen sehen, aber er hörte heute schon seit mehr als einer Stunde ein seltsa- mes Geräusch an sein Ohr schlagen, wie von hunderten von Stimmen. Er öffnete das Fenster und lauschte wunderbar bewegt. Das Gewirr wuchs, er wußte gar nicht, was es könnte zu bedeuten haben. Einmal auch war es ihm, als wäre der Ruf: "Johannes heraus!" deutlich hörbar gewesen -- er konnte es aber nicht be- greifen und lächelte über seine Träumerei, denn er meinte, falsch verstanden zu haben.
Auf einmal that die Thür seines Gefängnisses sich weit auf -- es war zu einer ungewohnten Stunde und Johannes sah sich verwundert um.
"Kommt heraus!" sagte der Hüter.
Johannes starrte ihn an: "Der Abend dämmert schon," sagte er, "will man mich endlich einmal verhören? -- oder bei Nacht und Nebel in ein andres Gefängniß bringen?" fragte er zögernd.
"Macht hurtig!" sagte jener, "die wüthende Rotte
Fruͤhlingsluft wehe, er konnte die milde Luft durch ſein Kerkerfenſter einathmen — aber nie hatte man ihm eine Zeitung in ſeine Zelle gebracht, die Gefaͤngnißwaͤrter, und weiter ſah er Niemand, hatten ihm nie Etwas erzaͤhlt, er hatte keine Ahnung davon, daß es Fruͤhling im Voͤlker- leben, Fruͤhling in Deutſchland geworden war. Er konnte aus ſeinem Fenſter nicht auf die Gaſſen ſehen, aber er hoͤrte heute ſchon ſeit mehr als einer Stunde ein ſeltſa- mes Geraͤuſch an ſein Ohr ſchlagen, wie von hunderten von Stimmen. Er oͤffnete das Fenſter und lauſchte wunderbar bewegt. Das Gewirr wuchs, er wußte gar nicht, was es koͤnnte zu bedeuten haben. Einmal auch war es ihm, als waͤre der Ruf: „Johannes heraus!“ deutlich hoͤrbar geweſen — er konnte es aber nicht be- greifen und laͤchelte uͤber ſeine Traͤumerei, denn er meinte, falſch verſtanden zu haben.
Auf einmal that die Thuͤr ſeines Gefaͤngniſſes ſich weit auf — es war zu einer ungewohnten Stunde und Johannes ſah ſich verwundert um.
„Kommt heraus!“ ſagte der Huͤter.
Johannes ſtarrte ihn an: „Der Abend daͤmmert ſchon,“ ſagte er, „will man mich endlich einmal verhoͤren? — oder bei Nacht und Nebel in ein andres Gefaͤngniß bringen?“ fragte er zoͤgernd.
„Macht hurtig!“ ſagte jener, „die wuͤthende Rotte
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Fruͤhlingsluft wehe, er konnte die milde Luft durch ſein
Kerkerfenſter einathmen — aber nie hatte man ihm eine
Zeitung in ſeine Zelle gebracht, die Gefaͤngnißwaͤrter, und
weiter ſah er Niemand, hatten ihm nie Etwas erzaͤhlt, er
hatte keine Ahnung davon, daß es Fruͤhling im Voͤlker-
leben, Fruͤhling in Deutſchland geworden war. Er konnte
aus ſeinem Fenſter nicht auf die Gaſſen ſehen, aber er
hoͤrte heute ſchon ſeit mehr als einer Stunde ein ſeltſa-
mes Geraͤuſch an ſein Ohr ſchlagen, wie von hunderten
von Stimmen. Er oͤffnete das Fenſter und lauſchte
wunderbar bewegt. Das Gewirr wuchs, er wußte gar
nicht, was es koͤnnte zu bedeuten haben. Einmal auch
war es ihm, als waͤre der Ruf: „Johannes heraus!“
deutlich hoͤrbar geweſen — er konnte es aber nicht be-
greifen und laͤchelte uͤber ſeine Traͤumerei, denn er meinte,
falſch verſtanden zu haben.
Auf einmal that die Thuͤr ſeines Gefaͤngniſſes ſich
weit auf — es war zu einer ungewohnten Stunde und
Johannes ſah ſich verwundert um.
„Kommt heraus!“ ſagte der Huͤter.
Johannes ſtarrte ihn an: „Der Abend daͤmmert
ſchon,“ ſagte er, „will man mich endlich einmal verhoͤren?
— oder bei Nacht und Nebel in ein andres Gefaͤngniß
bringen?“ fragte er zoͤgernd.
„Macht hurtig!“ ſagte jener, „die wuͤthende Rotte
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/341>, abgerufen am 22.11.2024.
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