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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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Turner grüßten die Mädchen, die alle unter den Linden
zurückblieben, und zogen nun mit den Dorfburschen unter
zahlreichen Hurrahs zum Dorfe hinaus, bis auf eine
kleine Höhe seitwärts von demselben, der alten Burgruine
gegenüber. Dort stellten sie sich auf und sangen Alle
vereint den vaterländischen Gesang:

"Was ist des Deutschen Vaterland!"

Dabei zündete Johannes auf dieser Höhe, daß es
weit den Weg, den die Turner ziehen mußten, beleuchtete,
ein großes Johannisfeuer an, zu dem schon Alles bereit
lag. So trennten sie sich unter vielen Grüßen und
Händeschütteln und dem Turnerruf: "Gut Heil!"

Johannes stand da wie ein schöner altdeutscher Held
und schürte das Feuer, das mit rother Gluth sein blasses
Angesicht übergoß. Seine blauen Augen glänzten heller als
je, wie von höherer Begeisterung. Unser Schulmeister
hatte lange träumerisch in die Flamme gestarrt -- jetzt
wußte er sich auf einmal nicht zu halten und zu helfen,
er sprang auf Johannes zu und schüttelte und drückte
heftig dessen Hand. Johannes aber hatte nur Sinn für
den einen Gedanken, der ihn allezeit, zumal aber heute
und gerade jetzt am meisten in dieser Stunde beseelte: den
Gedanken, auch seine ländlichen Brüder aufzuwecken zum
Bewußtsein ihrer wahren Menschenwürde, sie aufzuwek-
ken zum Streben nach Freiheit, und so deutete er auch

Turner gruͤßten die Maͤdchen, die alle unter den Linden
zuruͤckblieben, und zogen nun mit den Dorfburſchen unter
zahlreichen Hurrahs zum Dorfe hinaus, bis auf eine
kleine Hoͤhe ſeitwaͤrts von demſelben, der alten Burgruine
gegenuͤber. Dort ſtellten ſie ſich auf und ſangen Alle
vereint den vaterlaͤndiſchen Geſang:

„Was iſt des Deutſchen Vaterland!“

Dabei zuͤndete Johannes auf dieſer Hoͤhe, daß es
weit den Weg, den die Turner ziehen mußten, beleuchtete,
ein großes Johannisfeuer an, zu dem ſchon Alles bereit
lag. So trennten ſie ſich unter vielen Gruͤßen und
Haͤndeſchuͤtteln und dem Turnerruf: „Gut Heil!“

Johannes ſtand da wie ein ſchoͤner altdeutſcher Held
und ſchuͤrte das Feuer, das mit rother Gluth ſein blaſſes
Angeſicht uͤbergoß. Seine blauen Augen glaͤnzten heller als
je, wie von hoͤherer Begeiſterung. Unſer Schulmeiſter
hatte lange traͤumeriſch in die Flamme geſtarrt — jetzt
wußte er ſich auf einmal nicht zu halten und zu helfen,
er ſprang auf Johannes zu und ſchuͤttelte und druͤckte
heftig deſſen Hand. Johannes aber hatte nur Sinn fuͤr
den einen Gedanken, der ihn allezeit, zumal aber heute
und gerade jetzt am meiſten in dieſer Stunde beſeelte: den
Gedanken, auch ſeine laͤndlichen Bruͤder aufzuwecken zum
Bewußtſein ihrer wahren Menſchenwuͤrde, ſie aufzuwek-
ken zum Streben nach Freiheit, und ſo deutete er auch

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[214/0222] Turner gruͤßten die Maͤdchen, die alle unter den Linden zuruͤckblieben, und zogen nun mit den Dorfburſchen unter zahlreichen Hurrahs zum Dorfe hinaus, bis auf eine kleine Hoͤhe ſeitwaͤrts von demſelben, der alten Burgruine gegenuͤber. Dort ſtellten ſie ſich auf und ſangen Alle vereint den vaterlaͤndiſchen Geſang: „Was iſt des Deutſchen Vaterland!“ Dabei zuͤndete Johannes auf dieſer Hoͤhe, daß es weit den Weg, den die Turner ziehen mußten, beleuchtete, ein großes Johannisfeuer an, zu dem ſchon Alles bereit lag. So trennten ſie ſich unter vielen Gruͤßen und Haͤndeſchuͤtteln und dem Turnerruf: „Gut Heil!“ Johannes ſtand da wie ein ſchoͤner altdeutſcher Held und ſchuͤrte das Feuer, das mit rother Gluth ſein blaſſes Angeſicht uͤbergoß. Seine blauen Augen glaͤnzten heller als je, wie von hoͤherer Begeiſterung. Unſer Schulmeiſter hatte lange traͤumeriſch in die Flamme geſtarrt — jetzt wußte er ſich auf einmal nicht zu halten und zu helfen, er ſprang auf Johannes zu und ſchuͤttelte und druͤckte heftig deſſen Hand. Johannes aber hatte nur Sinn fuͤr den einen Gedanken, der ihn allezeit, zumal aber heute und gerade jetzt am meiſten in dieſer Stunde beſeelte: den Gedanken, auch ſeine laͤndlichen Bruͤder aufzuwecken zum Bewußtſein ihrer wahren Menſchenwuͤrde, ſie aufzuwek- ken zum Streben nach Freiheit, und ſo deutete er auch

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/222>, abgerufen am 23.11.2024.