Mutter hereintrat. Dies wäre für Julie eine gute Ge- legenheit gewesen, ihn zu sprechen -- sie hatte sich nun dieselbe selbst verscherzt durch ihr hämisches Reden, was Mutter Eva nicht länger hatte hören mögen.
Aber wie es nun immer geht, es war doch etwas Mißtrauen von diesen Reden in Mutter Eva geweckt wor- den. Sie wollte es sich selbst nicht eingestehen, daß sie auf die Worte eines Mädchens, wie Julie, nur das Ge- ringste gäbe -- allein sie sagte sich, daß an jeder Sache immer doch etwas Wahres sei -- und wenn Julie auch log, so frech von ihrem Johannes ihr ins Gesicht lügen, konnte sie doch nicht -- Johannes mußte also doch bei Nacht Suschen mit Christlieb getroffen haben -- und wenn gar nichts Unrechtes dabei war, warum hatte er denn der Mutter Nichts davon erzählt und Suschen ihr auch Nichts gesagt, die doch sonst ihr gern jede Kleinig- keit vertraute? Gegen Johannes stieg kein Verdacht in ihr auf -- aber Suschen? und Mutter Eva schüttelte immer bedenklicher mit dem Kopfe. -- Wundert Euch darüber nur nicht und nehmt deshalb keinen Anstoß an Mutter Eva -- sie ist darum nicht schlechter als Jhr ge- dacht habt. Das Mißtrauen der alten Leute ist gerade öfter eine Frucht der Milde und Nächstenliebe, als der Härte und Menschenverachtung! Bei unsrer Mutter Eva
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Mutter hereintrat. Dies waͤre fuͤr Julie eine gute Ge- legenheit geweſen, ihn zu ſprechen — ſie hatte ſich nun dieſelbe ſelbſt verſcherzt durch ihr haͤmiſches Reden, was Mutter Eva nicht laͤnger hatte hoͤren moͤgen.
Aber wie es nun immer geht, es war doch etwas Mißtrauen von dieſen Reden in Mutter Eva geweckt wor- den. Sie wollte es ſich ſelbſt nicht eingeſtehen, daß ſie auf die Worte eines Maͤdchens, wie Julie, nur das Ge- ringſte gaͤbe — allein ſie ſagte ſich, daß an jeder Sache immer doch etwas Wahres ſei — und wenn Julie auch log, ſo frech von ihrem Johannes ihr ins Geſicht luͤgen, konnte ſie doch nicht — Johannes mußte alſo doch bei Nacht Suschen mit Chriſtlieb getroffen haben — und wenn gar nichts Unrechtes dabei war, warum hatte er denn der Mutter Nichts davon erzaͤhlt und Suschen ihr auch Nichts geſagt, die doch ſonſt ihr gern jede Kleinig- keit vertraute? Gegen Johannes ſtieg kein Verdacht in ihr auf — aber Suschen? und Mutter Eva ſchuͤttelte immer bedenklicher mit dem Kopfe. — Wundert Euch daruͤber nur nicht und nehmt deshalb keinen Anſtoß an Mutter Eva — ſie iſt darum nicht ſchlechter als Jhr ge- dacht habt. Das Mißtrauen der alten Leute iſt gerade oͤfter eine Frucht der Milde und Naͤchſtenliebe, als der Haͤrte und Menſchenverachtung! Bei unſrer Mutter Eva
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Mutter hereintrat. Dies waͤre fuͤr Julie eine gute Ge-
legenheit geweſen, ihn zu ſprechen — ſie hatte ſich nun
dieſelbe ſelbſt verſcherzt durch ihr haͤmiſches Reden, was
Mutter Eva nicht laͤnger hatte hoͤren moͤgen.
Aber wie es nun immer geht, es war doch etwas
Mißtrauen von dieſen Reden in Mutter Eva geweckt wor-
den. Sie wollte es ſich ſelbſt nicht eingeſtehen, daß ſie
auf die Worte eines Maͤdchens, wie Julie, nur das Ge-
ringſte gaͤbe — allein ſie ſagte ſich, daß an jeder Sache
immer doch etwas Wahres ſei — und wenn Julie auch
log, ſo frech von ihrem Johannes ihr ins Geſicht luͤgen,
konnte ſie doch nicht — Johannes mußte alſo doch bei
Nacht Suschen mit Chriſtlieb getroffen haben — und
wenn gar nichts Unrechtes dabei war, warum hatte er
denn der Mutter Nichts davon erzaͤhlt und Suschen ihr
auch Nichts geſagt, die doch ſonſt ihr gern jede Kleinig-
keit vertraute? Gegen Johannes ſtieg kein Verdacht in
ihr auf — aber Suschen? und Mutter Eva ſchuͤttelte
immer bedenklicher mit dem Kopfe. — Wundert Euch
daruͤber nur nicht und nehmt deshalb keinen Anſtoß an
Mutter Eva — ſie iſt darum nicht ſchlechter als Jhr ge-
dacht habt. Das Mißtrauen der alten Leute iſt gerade
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Haͤrte und Menſchenverachtung! Bei unſrer Mutter Eva
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/185>, abgerufen am 25.11.2024.
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