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Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909.

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Ganze dadurch zu fördern. Kurz, das humanistische Jdeal
des Akademikers verlangt von ihm wissenschaftliche Bil-
dung, Zusammenhang mit der Wirklichkeit, Eingehen in die
Gesamtheit, um über der Gesamtheit stehen zu können.

Dieses Jdeal, so schwer es ist, ihm nachzustreben,
muß heute noch aufrecht erhalten werden. Daß es noch
vorhanden ist, beweist die Achtung vor dem Akademiker,
der Trieb zur Universität. Daß es aber auch anderseits
stark vernachlässigt wird, beweist die mißtrauische Hal-
tung des Volkes zu den Wissenschaftlern. Es sind deutlich
zwei Strömungen im Volke vorhanden. Die eine bildet
sich heraus aus dem Gefühl, daß das Studium dem Men-
schen eine besondere Stellung verleihe. Dieses Gefühl
stammt aus der Zeit her, wo die Akademiker an der
Spitze der Volksbewegung standen, wo sie tatsächlich die
Führer des Volkes waren, seine Jdeale aufrecht erhielten
und ihre Existenz für diese Jdeale in die Schranken setzten.
Denken wir an die Zeiten von den Freiheitskriegen an
bis zur 48er Revolution. Da waren die Professoren
und die Studenten Volksführer, die für die Freiheit, die
Konstitution und die Einigung Deutschlands kämpften.

Dann kam aber nach und nach ein Wechsel. Die
Wissenschaft machte Riesenfortschritte. Diese zwangen zur
Spezialisierung. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse führ-
ten zu einem ungeheuren Aufschwung der Technik und diese
zum Emporblühen der Jndustrie. Der Handel dehnte
sich über die ganze Welt aus. Das Leben veränderte
sich; eine neue Klasse Menschen, die Jndustriearbeiterklasse,
schob sich ins Volksganze ein. Neue Konstellationen im
Volksleben entstanden: die Masse und die Macht der Masse
durch ihre Organisierung. Das Kapital, sein Einfluß,
seine Riesenmöglichkeiten, gaben dem Streben des Menschen
andere Richtungen.


Ganze dadurch zu fördern. Kurz, das humanistische Jdeal
des Akademikers verlangt von ihm wissenschaftliche Bil-
dung, Zusammenhang mit der Wirklichkeit, Eingehen in die
Gesamtheit, um über der Gesamtheit stehen zu können.

Dieses Jdeal, so schwer es ist, ihm nachzustreben,
muß heute noch aufrecht erhalten werden. Daß es noch
vorhanden ist, beweist die Achtung vor dem Akademiker,
der Trieb zur Universität. Daß es aber auch anderseits
stark vernachlässigt wird, beweist die mißtrauische Hal-
tung des Volkes zu den Wissenschaftlern. Es sind deutlich
zwei Strömungen im Volke vorhanden. Die eine bildet
sich heraus aus dem Gefühl, daß das Studium dem Men-
schen eine besondere Stellung verleihe. Dieses Gefühl
stammt aus der Zeit her, wo die Akademiker an der
Spitze der Volksbewegung standen, wo sie tatsächlich die
Führer des Volkes waren, seine Jdeale aufrecht erhielten
und ihre Existenz für diese Jdeale in die Schranken setzten.
Denken wir an die Zeiten von den Freiheitskriegen an
bis zur 48er Revolution. Da waren die Professoren
und die Studenten Volksführer, die für die Freiheit, die
Konstitution und die Einigung Deutschlands kämpften.

Dann kam aber nach und nach ein Wechsel. Die
Wissenschaft machte Riesenfortschritte. Diese zwangen zur
Spezialisierung. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse führ-
ten zu einem ungeheuren Aufschwung der Technik und diese
zum Emporblühen der Jndustrie. Der Handel dehnte
sich über die ganze Welt aus. Das Leben veränderte
sich; eine neue Klasse Menschen, die Jndustriearbeiterklasse,
schob sich ins Volksganze ein. Neue Konstellationen im
Volksleben entstanden: die Masse und die Macht der Masse
durch ihre Organisierung. Das Kapital, sein Einfluß,
seine Riesenmöglichkeiten, gaben dem Streben des Menschen
andere Richtungen.


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[29/0028] Ganze dadurch zu fördern. Kurz, das humanistische Jdeal des Akademikers verlangt von ihm wissenschaftliche Bil- dung, Zusammenhang mit der Wirklichkeit, Eingehen in die Gesamtheit, um über der Gesamtheit stehen zu können. Dieses Jdeal, so schwer es ist, ihm nachzustreben, muß heute noch aufrecht erhalten werden. Daß es noch vorhanden ist, beweist die Achtung vor dem Akademiker, der Trieb zur Universität. Daß es aber auch anderseits stark vernachlässigt wird, beweist die mißtrauische Hal- tung des Volkes zu den Wissenschaftlern. Es sind deutlich zwei Strömungen im Volke vorhanden. Die eine bildet sich heraus aus dem Gefühl, daß das Studium dem Men- schen eine besondere Stellung verleihe. Dieses Gefühl stammt aus der Zeit her, wo die Akademiker an der Spitze der Volksbewegung standen, wo sie tatsächlich die Führer des Volkes waren, seine Jdeale aufrecht erhielten und ihre Existenz für diese Jdeale in die Schranken setzten. Denken wir an die Zeiten von den Freiheitskriegen an bis zur 48er Revolution. Da waren die Professoren und die Studenten Volksführer, die für die Freiheit, die Konstitution und die Einigung Deutschlands kämpften. Dann kam aber nach und nach ein Wechsel. Die Wissenschaft machte Riesenfortschritte. Diese zwangen zur Spezialisierung. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse führ- ten zu einem ungeheuren Aufschwung der Technik und diese zum Emporblühen der Jndustrie. Der Handel dehnte sich über die ganze Welt aus. Das Leben veränderte sich; eine neue Klasse Menschen, die Jndustriearbeiterklasse, schob sich ins Volksganze ein. Neue Konstellationen im Volksleben entstanden: die Masse und die Macht der Masse durch ihre Organisierung. Das Kapital, sein Einfluß, seine Riesenmöglichkeiten, gaben dem Streben des Menschen andere Richtungen.

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Zitationshilfe: Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ohr_studentin_1909/28>, abgerufen am 24.11.2024.