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Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909.

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porierten entgegengestellt werde und die Zusammensetzung
des Ausschusses in diesem Sinne geschaffen werde. Auf
eine Universität, wie Zürich, macht das eine Zweidrittel-
mehrheit der Freien Studentenschaft gegenüber den Ver-
tretern der Korporationen.

Diese Neuorganisation der Allgemeinen Studenten-
ausschüsse, hervorgerufen durch die veränderten Zeitver-
hältnisse ist der Jnhalt des Vertretungsprinzipes im en-
gem Sinne der Freien Studentenschaft.

Die Freie Studentenschaft hat sich neben dieser - wir
können sie nennen im Vergleich mit den Verhältnissen im
modernen Rechtsstaat - politischen Aufgabe eine weitere,
humanistische gestellt. Sie beruht auf der Bildungsidee.

Dadurch, daß seit etwa hundert Jahren die Wissen-
schaft so enorme Fortschritte gemacht hat, drohen die Uni-
versitäten in Fachschulen zu zerfallen und das Studium
reines Fachstudium zu werden. Das alte Jdeal der Uni-
versität ist, wie schon der Name universitas litterarum sagt,
eine Vermittlung allgemeiner Bildung neben der An-
eignung gründlicher Fachkenntnisse. Dieses humanistische
Jdeal stellt die allerhöchsten Forderungen an den Men-
schen; der Mensch soll Mensch sein (homo und humanus
hängen zusammen); nicht nur Kenntnisse wissenschaftlicher
Art genügen, nein, er soll sie auch in einen praktischen
Zusammenhang mit seiner Zeit bringen; er soll diese Kennt-
nisse zum Nutzen der Aufwärtsentwicklung seiner Gene-
ration verwerten; er soll am Fortschritt mitarbeiten, ohne
dabei einseitigen Radikalismus zu vertreten. Vom Aka-
demiker verlangt man, daß er dem humanistischen Jdeal
getreu und schöpferisch ins Leben eingreifend über dem
Volksganzen stehe; daß er die Bestrebungen der einzelnen
Jnteressentengruppen, die oft einander stark gegenüber-
stehen, mit einander in Zusammenhang bringe, um das

porierten entgegengestellt werde und die Zusammensetzung
des Ausschusses in diesem Sinne geschaffen werde. Auf
eine Universität, wie Zürich, macht das eine Zweidrittel-
mehrheit der Freien Studentenschaft gegenüber den Ver-
tretern der Korporationen.

Diese Neuorganisation der Allgemeinen Studenten-
ausschüsse, hervorgerufen durch die veränderten Zeitver-
hältnisse ist der Jnhalt des Vertretungsprinzipes im en-
gem Sinne der Freien Studentenschaft.

Die Freie Studentenschaft hat sich neben dieser – wir
können sie nennen im Vergleich mit den Verhältnissen im
modernen Rechtsstaat – politischen Aufgabe eine weitere,
humanistische gestellt. Sie beruht auf der Bildungsidee.

Dadurch, daß seit etwa hundert Jahren die Wissen-
schaft so enorme Fortschritte gemacht hat, drohen die Uni-
versitäten in Fachschulen zu zerfallen und das Studium
reines Fachstudium zu werden. Das alte Jdeal der Uni-
versität ist, wie schon der Name universitas litterarum sagt,
eine Vermittlung allgemeiner Bildung neben der An-
eignung gründlicher Fachkenntnisse. Dieses humanistische
Jdeal stellt die allerhöchsten Forderungen an den Men-
schen; der Mensch soll Mensch sein (homo und humanus
hängen zusammen); nicht nur Kenntnisse wissenschaftlicher
Art genügen, nein, er soll sie auch in einen praktischen
Zusammenhang mit seiner Zeit bringen; er soll diese Kennt-
nisse zum Nutzen der Aufwärtsentwicklung seiner Gene-
ration verwerten; er soll am Fortschritt mitarbeiten, ohne
dabei einseitigen Radikalismus zu vertreten. Vom Aka-
demiker verlangt man, daß er dem humanistischen Jdeal
getreu und schöpferisch ins Leben eingreifend über dem
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[28/0027] porierten entgegengestellt werde und die Zusammensetzung des Ausschusses in diesem Sinne geschaffen werde. Auf eine Universität, wie Zürich, macht das eine Zweidrittel- mehrheit der Freien Studentenschaft gegenüber den Ver- tretern der Korporationen. Diese Neuorganisation der Allgemeinen Studenten- ausschüsse, hervorgerufen durch die veränderten Zeitver- hältnisse ist der Jnhalt des Vertretungsprinzipes im en- gem Sinne der Freien Studentenschaft. Die Freie Studentenschaft hat sich neben dieser – wir können sie nennen im Vergleich mit den Verhältnissen im modernen Rechtsstaat – politischen Aufgabe eine weitere, humanistische gestellt. Sie beruht auf der Bildungsidee. Dadurch, daß seit etwa hundert Jahren die Wissen- schaft so enorme Fortschritte gemacht hat, drohen die Uni- versitäten in Fachschulen zu zerfallen und das Studium reines Fachstudium zu werden. Das alte Jdeal der Uni- versität ist, wie schon der Name universitas litterarum sagt, eine Vermittlung allgemeiner Bildung neben der An- eignung gründlicher Fachkenntnisse. Dieses humanistische Jdeal stellt die allerhöchsten Forderungen an den Men- schen; der Mensch soll Mensch sein (homo und humanus hängen zusammen); nicht nur Kenntnisse wissenschaftlicher Art genügen, nein, er soll sie auch in einen praktischen Zusammenhang mit seiner Zeit bringen; er soll diese Kennt- nisse zum Nutzen der Aufwärtsentwicklung seiner Gene- ration verwerten; er soll am Fortschritt mitarbeiten, ohne dabei einseitigen Radikalismus zu vertreten. Vom Aka- demiker verlangt man, daß er dem humanistischen Jdeal getreu und schöpferisch ins Leben eingreifend über dem Volksganzen stehe; daß er die Bestrebungen der einzelnen Jnteressentengruppen, die oft einander stark gegenüber- stehen, mit einander in Zusammenhang bringe, um das

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Zitationshilfe: Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ohr_studentin_1909/27>, abgerufen am 27.11.2024.