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Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909.

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soll, dem wissenschaftliche Untersuchungen aufgetragen wer-
den, das junge Menschen erziehen soll, muß doch eine ganz
andere Erziehung genießen, als ein junges Mädchen, das
für Spiel und Tändelei oder zu Repräsentationen etc herge-
richtet wird! Je ernster, je verantwortungvoller der Beruf
ist, desto mehr muß auf die Ausbildung eines festen Wil-
lens, eines auf Grundsätzen und Konsequenz fußenden
Charakters, eines praktischen Sinnes und auf Förderung
eines warmen Gefühlslebens geschaut werden. Vor allem
muß einem solchen jungen Mädchen viel Freiheit gegeben
werden, damit es sich selber zur Freiheit erziehen kann.
Leider aber ziehen die wenigsten Eltern diese Konsequenzen.
Abgesehen davon, daß von mancher Gymnasiastin oder
Studentin eine Fülle häuslicher Dienste verlangt wird,
daß die Eltern glauben, ihre Tochter den gesellschaftlichen
Ansprüchen nicht entziehen zu dürfen, suchen sehr viele
Eltern den engen Kreis veralteter Ansichten stehen zu
lassen, in den herkömmlicherweise die Töchter eingeschlossen
werden. Sie bewachen genau jeden Schritt der jungen
Studentin und verlangen Rechenschaft über alles, was sie
tut.

Vor zweierlei glauben die Eltern ihre studierenden
Töchter besonders bewahren zu müssen: vor jeder Berüh-
rung mit der Frauenbewegung und vor dem Umgang mit
den Kommilitonen. Die Führerinnen der Frauenbewegung
werden als emanzipiert, die Arbeit derselben als "un-
weiblich" hingestellt. Mit dem Wort "unweiblich" und
"weiblich" wird überhaupt alles erreicht, was törichte
Erzieher wollen, denn gegen die Auslegung dieser beiden
Begriffe läßt sich nicht kämpfen.

Der Umgang mit Kommilitonen, die nicht im Hause
verkehren, wird einfach untersagt. Von Teilnahme an
studentischen Unternehmungen ist gar keine Rede. Der

soll, dem wissenschaftliche Untersuchungen aufgetragen wer-
den, das junge Menschen erziehen soll, muß doch eine ganz
andere Erziehung genießen, als ein junges Mädchen, das
für Spiel und Tändelei oder zu Repräsentationen ꝛc herge-
richtet wird! Je ernster, je verantwortungvoller der Beruf
ist, desto mehr muß auf die Ausbildung eines festen Wil-
lens, eines auf Grundsätzen und Konsequenz fußenden
Charakters, eines praktischen Sinnes und auf Förderung
eines warmen Gefühlslebens geschaut werden. Vor allem
muß einem solchen jungen Mädchen viel Freiheit gegeben
werden, damit es sich selber zur Freiheit erziehen kann.
Leider aber ziehen die wenigsten Eltern diese Konsequenzen.
Abgesehen davon, daß von mancher Gymnasiastin oder
Studentin eine Fülle häuslicher Dienste verlangt wird,
daß die Eltern glauben, ihre Tochter den gesellschaftlichen
Ansprüchen nicht entziehen zu dürfen, suchen sehr viele
Eltern den engen Kreis veralteter Ansichten stehen zu
lassen, in den herkömmlicherweise die Töchter eingeschlossen
werden. Sie bewachen genau jeden Schritt der jungen
Studentin und verlangen Rechenschaft über alles, was sie
tut.

Vor zweierlei glauben die Eltern ihre studierenden
Töchter besonders bewahren zu müssen: vor jeder Berüh-
rung mit der Frauenbewegung und vor dem Umgang mit
den Kommilitonen. Die Führerinnen der Frauenbewegung
werden als emanzipiert, die Arbeit derselben als „un-
weiblich“ hingestellt. Mit dem Wort „unweiblich“ und
„weiblich“ wird überhaupt alles erreicht, was törichte
Erzieher wollen, denn gegen die Auslegung dieser beiden
Begriffe läßt sich nicht kämpfen.

Der Umgang mit Kommilitonen, die nicht im Hause
verkehren, wird einfach untersagt. Von Teilnahme an
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[16/0015] soll, dem wissenschaftliche Untersuchungen aufgetragen wer- den, das junge Menschen erziehen soll, muß doch eine ganz andere Erziehung genießen, als ein junges Mädchen, das für Spiel und Tändelei oder zu Repräsentationen ꝛc herge- richtet wird! Je ernster, je verantwortungvoller der Beruf ist, desto mehr muß auf die Ausbildung eines festen Wil- lens, eines auf Grundsätzen und Konsequenz fußenden Charakters, eines praktischen Sinnes und auf Förderung eines warmen Gefühlslebens geschaut werden. Vor allem muß einem solchen jungen Mädchen viel Freiheit gegeben werden, damit es sich selber zur Freiheit erziehen kann. Leider aber ziehen die wenigsten Eltern diese Konsequenzen. Abgesehen davon, daß von mancher Gymnasiastin oder Studentin eine Fülle häuslicher Dienste verlangt wird, daß die Eltern glauben, ihre Tochter den gesellschaftlichen Ansprüchen nicht entziehen zu dürfen, suchen sehr viele Eltern den engen Kreis veralteter Ansichten stehen zu lassen, in den herkömmlicherweise die Töchter eingeschlossen werden. Sie bewachen genau jeden Schritt der jungen Studentin und verlangen Rechenschaft über alles, was sie tut. Vor zweierlei glauben die Eltern ihre studierenden Töchter besonders bewahren zu müssen: vor jeder Berüh- rung mit der Frauenbewegung und vor dem Umgang mit den Kommilitonen. Die Führerinnen der Frauenbewegung werden als emanzipiert, die Arbeit derselben als „un- weiblich“ hingestellt. Mit dem Wort „unweiblich“ und „weiblich“ wird überhaupt alles erreicht, was törichte Erzieher wollen, denn gegen die Auslegung dieser beiden Begriffe läßt sich nicht kämpfen. Der Umgang mit Kommilitonen, die nicht im Hause verkehren, wird einfach untersagt. Von Teilnahme an studentischen Unternehmungen ist gar keine Rede. Der

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Zitationshilfe: Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ohr_studentin_1909/15>, abgerufen am 24.11.2024.