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Oest, Johann Friedrich: Versuch einer Beantwortung der pädagogischen Frage: Wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib und Seele verwüstenden Laster der Unzucht überhaupt, und der Selbstschwächung insonderheit verwahren, oder, wofern sie schon davon angesteckt waren, wie man sie davon heilen könne? Wien, 1787.

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Wärme muß natürlich sehr schwächen. Schon die Windeln geben übermäßige Wärme.

Wenn man sich dies gedenkt und dabei zugleich zugiebt, daß der sehr sichtbare schnelle Wuchs eines Kindes gleich in den ersten Wochen nach der Geburt durch das Wickeln, das sehr oft gewaltsam geschieht, eingeschränkt und zurückgehalten wird, und auch das Kind unter den Umständen nicht den freien Gebrauch seiner Glieder behält, der zu ihrer vollkommenern Ausbildung so ganz nothwendig ist; so dünkt mich muß man von der Schädlichkeit des Einwickelns überzeugt werden, selbst wenn man auch allen den Schaden, der durch sichtbare Unvorsichtigkeit hier begangen werden kann, nicht rechnen will, oder sogar diesen zu verhindern wüste. Was dem Kinde nur irgends den Gebrauch seiner Gliedmaßen verwehret, ist unnatürlich, ungerecht und schädlich.*)

*) Mögte man nicht wünschen und flehen, daß dieser schändliche Misbrauch durch obrigkeitliche Verfügung abgeschafft würde? Er ist der erste Grund zur Schwäche aufkeimender Geschlechter. Und doch - ich kenne eine Gegend, wo die Hebammen, freilich aus Vorurtheilen, wofür sie nichts konnten, und zu Theil aus recht guter Absicht, obrigkeitliche Befehle ausgewürckt haben, daß jede Mutter gehalten seyn

Wärme muß natürlich sehr schwächen. Schon die Windeln geben übermäßige Wärme.

Wenn man sich dies gedenkt und dabei zugleich zugiebt, daß der sehr sichtbare schnelle Wuchs eines Kindes gleich in den ersten Wochen nach der Geburt durch das Wickeln, das sehr oft gewaltsam geschieht, eingeschränkt und zurückgehalten wird, und auch das Kind unter den Umständen nicht den freien Gebrauch seiner Glieder behält, der zu ihrer vollkommenern Ausbildung so ganz nothwendig ist; so dünkt mich muß man von der Schädlichkeit des Einwickelns überzeugt werden, selbst wenn man auch allen den Schaden, der durch sichtbare Unvorsichtigkeit hier begangen werden kann, nicht rechnen will, oder sogar diesen zu verhindern wüste. Was dem Kinde nur irgends den Gebrauch seiner Gliedmaßen verwehret, ist unnatürlich, ungerecht und schädlich.*)

*) Mögte man nicht wünschen und flehen, daß dieser schändliche Misbrauch durch obrigkeitliche Verfügung abgeschafft würde? Er ist der erste Grund zur Schwäche aufkeimender Geschlechter. Und doch – ich kenne eine Gegend, wo die Hebammen, freilich aus Vorurtheilen, wofür sie nichts konnten, und zu Theil aus recht guter Absicht, obrigkeitliche Befehle ausgewürckt haben, daß jede Mutter gehalten seyn
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[60/0059] Wärme muß natürlich sehr schwächen. Schon die Windeln geben übermäßige Wärme. Wenn man sich dies gedenkt und dabei zugleich zugiebt, daß der sehr sichtbare schnelle Wuchs eines Kindes gleich in den ersten Wochen nach der Geburt durch das Wickeln, das sehr oft gewaltsam geschieht, eingeschränkt und zurückgehalten wird, und auch das Kind unter den Umständen nicht den freien Gebrauch seiner Glieder behält, der zu ihrer vollkommenern Ausbildung so ganz nothwendig ist; so dünkt mich muß man von der Schädlichkeit des Einwickelns überzeugt werden, selbst wenn man auch allen den Schaden, der durch sichtbare Unvorsichtigkeit hier begangen werden kann, nicht rechnen will, oder sogar diesen zu verhindern wüste. Was dem Kinde nur irgends den Gebrauch seiner Gliedmaßen verwehret, ist unnatürlich, ungerecht und schädlich. *) *) Mögte man nicht wünschen und flehen, daß dieser schändliche Misbrauch durch obrigkeitliche Verfügung abgeschafft würde? Er ist der erste Grund zur Schwäche aufkeimender Geschlechter. Und doch – ich kenne eine Gegend, wo die Hebammen, freilich aus Vorurtheilen, wofür sie nichts konnten, und zu Theil aus recht guter Absicht, obrigkeitliche Befehle ausgewürckt haben, daß jede Mutter gehalten seyn

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Zitationshilfe: Oest, Johann Friedrich: Versuch einer Beantwortung der pädagogischen Frage: Wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib und Seele verwüstenden Laster der Unzucht überhaupt, und der Selbstschwächung insonderheit verwahren, oder, wofern sie schon davon angesteckt waren, wie man sie davon heilen könne? Wien, 1787, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oest_kinder_1787/59>, abgerufen am 23.11.2024.