Oest, Johann Friedrich: Versuch einer Beantwortung der pädagogischen Frage: Wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib und Seele verwüstenden Laster der Unzucht überhaupt, und der Selbstschwächung insonderheit verwahren, oder, wofern sie schon davon angesteckt waren, wie man sie davon heilen könne? Wien, 1787.es begreifen, daß diese Reizungen für solche, die das Glück der Liebe in dem Besitz eines tugendhaften Mädchens empfunden haben, nichts Anziehendes haben können; ich kann es aber auch begreifen, daß mancher sonst schuldlose Jüngling nicht so viel Bekanntschaft mit dem Besseren und Schlechteren in diesem Fall hat, daß er nicht das erstemal mit einiger Neugierde vorbeilaufen, das zweite mal schon etwas mehr zögern, dann etwas näher kommen und endlich ins Verderben gerathen sollte. Er hört da vielleicht die erste Süßigkeit aus dem Munde eines Mädchens, hat da die erste Gelegenheit, einen Kuß auf ihren Mund zu drücken. Jhr armseliger Putz, ihr geborgtes Roth ist bei dem Schein der Straßenlampe ihm der Eindruck einer blendenen Schönheit. O, wie mancher scheitert hier mit seiner Unschuld, die er aus dem ländlichen frugalen Hause seiner Eltern mit sich nahm! Und solche Häuser werden gelitten! Ehedem waren sie nur großen Städten eigen, aber allmählig fangen auch die kleineren an, ihnen diesen Vorzug zu beneiden. Jn großen Städten hielt man sie für Bedürfniß, weil daselbst Handel, Schiffahrt, Besatzung u. s. w. einen großen Zusammenfluß junger Mannschaft es begreifen, daß diese Reizungen für solche, die das Glück der Liebe in dem Besitz eines tugendhaften Mädchens empfunden haben, nichts Anziehendes haben können; ich kann es aber auch begreifen, daß mancher sonst schuldlose Jüngling nicht so viel Bekanntschaft mit dem Besseren und Schlechteren in diesem Fall hat, daß er nicht das erstemal mit einiger Neugierde vorbeilaufen, das zweite mal schon etwas mehr zögern, dann etwas näher kommen und endlich ins Verderben gerathen sollte. Er hört da vielleicht die erste Süßigkeit aus dem Munde eines Mädchens, hat da die erste Gelegenheit, einen Kuß auf ihren Mund zu drücken. Jhr armseliger Putz, ihr geborgtes Roth ist bei dem Schein der Straßenlampe ihm der Eindruck einer blendenen Schönheit. O, wie mancher scheitert hier mit seiner Unschuld, die er aus dem ländlichen frugalen Hause seiner Eltern mit sich nahm! Und solche Häuser werden gelitten! Ehedem waren sie nur großen Städten eigen, aber allmählig fangen auch die kleineren an, ihnen diesen Vorzug zu beneiden. Jn großen Städten hielt man sie für Bedürfniß, weil daselbst Handel, Schiffahrt, Besatzung u. s. w. einen großen Zusammenfluß junger Mannschaft <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0198" n="199"/> es begreifen, daß diese Reizungen für solche, die das Glück der Liebe in dem Besitz eines tugendhaften Mädchens empfunden haben, nichts Anziehendes haben können; ich kann es aber auch begreifen, daß mancher sonst schuldlose Jüngling nicht so viel Bekanntschaft mit dem Besseren und Schlechteren in diesem Fall hat, daß er nicht das erstemal mit einiger Neugierde vorbeilaufen, das zweite mal schon etwas mehr zögern, dann etwas näher kommen und endlich ins Verderben gerathen sollte. Er hört da vielleicht die erste Süßigkeit aus dem Munde eines Mädchens, hat da die erste Gelegenheit, einen Kuß auf ihren Mund zu drücken. Jhr armseliger Putz, ihr geborgtes Roth ist bei dem Schein der Straßenlampe ihm der Eindruck einer blendenen Schönheit. O, wie mancher scheitert hier mit seiner Unschuld, die er aus dem ländlichen frugalen Hause seiner Eltern mit sich nahm! Und solche Häuser werden gelitten!</p> <p>Ehedem waren sie nur großen Städten eigen, aber allmählig fangen auch die kleineren an, ihnen diesen Vorzug zu beneiden. Jn großen Städten hielt man sie für Bedürfniß, weil daselbst Handel, Schiffahrt, Besatzung u. s. w. einen großen Zusammenfluß junger Mannschaft </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [199/0198]
es begreifen, daß diese Reizungen für solche, die das Glück der Liebe in dem Besitz eines tugendhaften Mädchens empfunden haben, nichts Anziehendes haben können; ich kann es aber auch begreifen, daß mancher sonst schuldlose Jüngling nicht so viel Bekanntschaft mit dem Besseren und Schlechteren in diesem Fall hat, daß er nicht das erstemal mit einiger Neugierde vorbeilaufen, das zweite mal schon etwas mehr zögern, dann etwas näher kommen und endlich ins Verderben gerathen sollte. Er hört da vielleicht die erste Süßigkeit aus dem Munde eines Mädchens, hat da die erste Gelegenheit, einen Kuß auf ihren Mund zu drücken. Jhr armseliger Putz, ihr geborgtes Roth ist bei dem Schein der Straßenlampe ihm der Eindruck einer blendenen Schönheit. O, wie mancher scheitert hier mit seiner Unschuld, die er aus dem ländlichen frugalen Hause seiner Eltern mit sich nahm! Und solche Häuser werden gelitten!
Ehedem waren sie nur großen Städten eigen, aber allmählig fangen auch die kleineren an, ihnen diesen Vorzug zu beneiden. Jn großen Städten hielt man sie für Bedürfniß, weil daselbst Handel, Schiffahrt, Besatzung u. s. w. einen großen Zusammenfluß junger Mannschaft
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Zitationshilfe: | Oest, Johann Friedrich: Versuch einer Beantwortung der pädagogischen Frage: Wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib und Seele verwüstenden Laster der Unzucht überhaupt, und der Selbstschwächung insonderheit verwahren, oder, wofern sie schon davon angesteckt waren, wie man sie davon heilen könne? Wien, 1787, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oest_kinder_1787/198>, abgerufen am 16.02.2025. |