Oberwinder, Heinrich: Der Fall Buschoff. Berlin, 1892.ihm jetzt, nachdem 4 Wochen über Buschoffs unerklärliche Enthaftung verflossen sind, noch immer an einem annehmbaren Abwehrmaterial fehlt, erhellt am besten aus der andauernden Schweigsamkeit des "Reichsanzeigers"! Inzwischen fragt man sich hier, weshalb der Herr Minister das amtliche Gutachten verschweigt, das der Geheime Justizrat Biersch aus Cleve mitgebracht hat? Auch kann es niemand verstehen, daß er gegen den Untersuchungsrichter Brixius, nachdem dieser den Synagogenvorsteher Oster, in Widerspruch mit der Strafprozeßordnung, zu den nachträglichen Vernehmungen herangezogen hat, nicht in entsprechender Weise vorgeht? Der Umstand, daß der Schwiegersohn des inquirierenden Richters hauptsächlich bei der Verteidigung des angeschuldigten Schächters mitgearbeitet hat, hätte ein solches Einschreiten doch hinlänglich begründet." Weil eben neben Buschoff irgend eine andere Thäterschaft - wie die "K. Volkszeitung" sich ausdrückt - nicht in Frage kommt, konzentriert sich auf seine Person die ganze erdrückende Belastung. Um so mehr gehört er vor die Geschworenen, die allein maßgebenden Richter. Es kann somit von einem unhaltbaren Indizienbeweise gar keine Rede sein. Liegt doch zunächst das eidlich bereits erhärtete Zeugnis des etc. Mölders vor, garnicht zu reden von den zahlreichen übrigen Zeugen, die man leider - Gott weiß, warum, nicht einmal vereidigt hat! Auf so beschaffene Belastungen hin werden, wenn es mit rechten Dingen zugeht, hundert Angeklagte in neunundneunzig Fällen unzweifelhaft auf das Schaffot oder ins Zuchthaus geschickt werden. Überdies ist mit dem hier vorgebrachten Material der Schuldbeweis wider Wolf Buschoff keineswegs schon ganz erschöpft. Als er am Mordtage dem in Luttingen, einem bei Xanten gelegenen Dorfe, wohnenden Besitzer Brants gegen 11 Uhr mittags an der Ecke der Kirch- und Clever Straße zufällig begegnete, rief ihm dieser als guter Bekannter einen freundlichen Gruß zu. Der Schächter blieb jedoch sichtlich verwirrt stehen, sah sich scheu um und machte sich, wie von Furien gehetzt, davon. Zeuge Brants hat, wie vier Zeugen das bekunden, am Mittagstisch, bei sich - als er ihm jetzt, nachdem 4 Wochen über Buschoffs unerklärliche Enthaftung verflossen sind, noch immer an einem annehmbaren Abwehrmaterial fehlt, erhellt am besten aus der andauernden Schweigsamkeit des „Reichsanzeigers“! Inzwischen fragt man sich hier, weshalb der Herr Minister das amtliche Gutachten verschweigt, das der Geheime Justizrat Biersch aus Cleve mitgebracht hat? Auch kann es niemand verstehen, daß er gegen den Untersuchungsrichter Brixius, nachdem dieser den Synagogenvorsteher Oster, in Widerspruch mit der Strafprozeßordnung, zu den nachträglichen Vernehmungen herangezogen hat, nicht in entsprechender Weise vorgeht? Der Umstand, daß der Schwiegersohn des inquirierenden Richters hauptsächlich bei der Verteidigung des angeschuldigten Schächters mitgearbeitet hat, hätte ein solches Einschreiten doch hinlänglich begründet.“ Weil eben neben Buschoff irgend eine andere Thäterschaft – wie die „K. Volkszeitung“ sich ausdrückt – nicht in Frage kommt, konzentriert sich auf seine Person die ganze erdrückende Belastung. Um so mehr gehört er vor die Geschworenen, die allein maßgebenden Richter. Es kann somit von einem unhaltbaren Indizienbeweise gar keine Rede sein. Liegt doch zunächst das eidlich bereits erhärtete Zeugnis des etc. Mölders vor, garnicht zu reden von den zahlreichen übrigen Zeugen, die man leider – Gott weiß, warum, nicht einmal vereidigt hat! Auf so beschaffene Belastungen hin werden, wenn es mit rechten Dingen zugeht, hundert Angeklagte in neunundneunzig Fällen unzweifelhaft auf das Schaffot oder ins Zuchthaus geschickt werden. Überdies ist mit dem hier vorgebrachten Material der Schuldbeweis wider Wolf Buschoff keineswegs schon ganz erschöpft. Als er am Mordtage dem in Luttingen, einem bei Xanten gelegenen Dorfe, wohnenden Besitzer Brants gegen 11 Uhr mittags an der Ecke der Kirch- und Clever Straße zufällig begegnete, rief ihm dieser als guter Bekannter einen freundlichen Gruß zu. Der Schächter blieb jedoch sichtlich verwirrt stehen, sah sich scheu um und machte sich, wie von Furien gehetzt, davon. 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ihm jetzt, nachdem 4 Wochen über Buschoffs unerklärliche Enthaftung verflossen sind, noch immer an einem annehmbaren Abwehrmaterial fehlt, erhellt am besten aus der andauernden Schweigsamkeit des „Reichsanzeigers“! Inzwischen fragt man sich hier, weshalb der Herr Minister das amtliche Gutachten verschweigt, das der Geheime Justizrat Biersch aus Cleve mitgebracht hat? Auch kann es niemand verstehen, daß er gegen den Untersuchungsrichter Brixius, nachdem dieser den Synagogenvorsteher Oster, in Widerspruch mit der Strafprozeßordnung, zu den nachträglichen Vernehmungen herangezogen hat, nicht in entsprechender Weise vorgeht? Der Umstand, daß der Schwiegersohn des inquirierenden Richters hauptsächlich bei der Verteidigung des angeschuldigten Schächters mitgearbeitet hat, hätte ein solches Einschreiten doch hinlänglich begründet.“
Weil eben neben Buschoff irgend eine andere Thäterschaft – wie die „K. Volkszeitung“ sich ausdrückt – nicht in Frage kommt, konzentriert sich auf seine Person die ganze erdrückende Belastung. Um so mehr gehört er vor die Geschworenen, die allein maßgebenden Richter. Es kann somit von einem unhaltbaren Indizienbeweise gar keine Rede sein. Liegt doch zunächst das eidlich bereits erhärtete Zeugnis des etc. Mölders vor, garnicht zu reden von den zahlreichen übrigen Zeugen, die man leider – Gott weiß, warum, nicht einmal vereidigt hat! Auf so beschaffene Belastungen hin werden, wenn es mit rechten Dingen zugeht, hundert Angeklagte in neunundneunzig Fällen unzweifelhaft auf das Schaffot oder ins Zuchthaus geschickt werden. Überdies ist mit dem hier vorgebrachten Material der Schuldbeweis wider Wolf Buschoff keineswegs schon ganz erschöpft. Als er am Mordtage dem in Luttingen, einem bei Xanten gelegenen Dorfe, wohnenden Besitzer Brants gegen 11 Uhr mittags an der Ecke der Kirch- und Clever Straße zufällig begegnete, rief ihm dieser als guter Bekannter einen freundlichen Gruß zu. Der Schächter blieb jedoch sichtlich verwirrt stehen, sah sich scheu um und machte sich, wie von Furien gehetzt, davon. Zeuge Brants hat, wie vier Zeugen das bekunden, am Mittagstisch, bei sich – als er
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