Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Der berühmte Ertz-Dieb und Strassen-Räuber Cartouche. Leipzig, 1722.

Bild:
<< vorherige Seite

Allein die Tochter des Hauß-Herrn hielt inständig an, man solte weiter
suchen, es wären 2. Personen gewesen und eine davon hätte mit Ketten
geklappert. Sie fiengen hierauf überlaut zu schreyen, es wird warlich
Cartouche seyn, so zu entfliehen trachtet. Die Hof-Thüre ward sogleich
besetzet und der Hof sehr genau durchsuchet. Man brachte lange Zeit zu,
ehe derselbe gefunden wurde; Denn Cartouche hatte sich mit dem Bauch
und Gesichte an die Wand des Hauses geleget und dergestalt ausgestre-
cket, daß man im Düstren nicht erkennen konnte, ob es Mensch, oder
Hauß wäre; Endlich aber ward derselbe, nach langem Herumtappen,
gefunden, gegriffen, und denen indessen herbey geholten Thürwärtern des
Gefängnisses übergeben und ins Chatelet in ein ander Gefängniß ge-
bracht, allwo er fester geschlossen und nach der Zeit Tag und Nacht von
2. Gerichts-Dienern bewachet worden. Mit anbrechendem Tage kam
der Lieutenant des Criminal-Richters zu ihm, dem er, auf Befragen,
gar gelassen erzehlete, wie er mit seiner Befreyung zu Wercke ge-
gangen.

Man säumete indessen auch nicht noch immer Personen, die ver-
dächtig waren, aufzusuchen und in Arrest zu nehmen, da denn unter an-
dern auch 5. Archiers von der Wacht zu Fuß in Verwahrung genommen,
auch observiret worden, daß seit kurtzer Zeit mehr als 50. Soldaten vom
Regiment Gardes ausgerissen, auch daß eine gewisse Person, welche sich
sonst vom Trödeln ernähret, sich unversehens unsichtbar, und mit Hin-
terlassung aller ihrer Güter aus der Stadt gemacht, aus Furcht, von
Cartouche verrathen zu werden.

Cartouche war immittelst das gemeinste, wovon geredet wurde, und so
gar die Comoedianten accommodireten sich hierinnen nach dem Goust des
Volcks. Die Jtaliänischen stellten deßwegen am 20. Octobr. Harlequin
Cartouche,
aber mit schlechten Success vor. Denn wie die Comödie kaum
halb gespielet war, musten die Comödianten die Vorhänge des Schau-
Platzes herunter lassen; weil die gantze Action denen Zuschauern sehr ab-
geschmackt vorkam und sie ihr Mißvergnügen durch die allhier übliche
Manier zu Pfeiffen zu verstehen gaben, mit welcher schimpfflichen Music
aber denen Comödianten nichts gedienet war. Der Zulauff bey dieser
vermeinten curieusen Action war so groß, daß die Leute einander trugen.
Harlequin solte die Person des Cartouche vorstellen, so er aber nicht nach
dem Gutdüncken der seltsamen und in ihren Meinungen sehr delicaten

Welt
B 2

Allein die Tochter des Hauß-Herrn hielt inſtaͤndig an, man ſolte weiter
ſuchen, es waͤren 2. Perſonen geweſen und eine davon haͤtte mit Ketten
geklappert. Sie fiengen hierauf uͤberlaut zu ſchreyen, es wird warlich
Cartouche ſeyn, ſo zu entfliehen trachtet. Die Hof-Thuͤre ward ſogleich
beſetzet und der Hof ſehr genau durchſuchet. Man brachte lange Zeit zu,
ehe derſelbe gefunden wurde; Denn Cartouche hatte ſich mit dem Bauch
und Geſichte an die Wand des Hauſes geleget und dergeſtalt ausgeſtre-
cket, daß man im Duͤſtren nicht erkennen konnte, ob es Menſch, oder
Hauß waͤre; Endlich aber ward derſelbe, nach langem Herumtappen,
gefunden, gegriffen, und denen indeſſen herbey geholten Thuͤrwaͤrtern des
Gefaͤngniſſes uͤbergeben und ins Chatelet in ein ander Gefaͤngniß ge-
bracht, allwo er feſter geſchloſſen und nach der Zeit Tag und Nacht von
2. Gerichts-Dienern bewachet worden. Mit anbrechendem Tage kam
der Lieutenant des Criminal-Richters zu ihm, dem er, auf Befragen,
gar gelaſſen erzehlete, wie er mit ſeiner Befreyung zu Wercke ge-
gangen.

Man ſaͤumete indeſſen auch nicht noch immer Perſonen, die ver-
daͤchtig waren, aufzuſuchen und in Arreſt zu nehmen, da denn unter an-
dern auch 5. Archiers von der Wacht zu Fuß in Verwahrung genommen,
auch obſerviret worden, daß ſeit kurtzer Zeit mehr als 50. Soldaten vom
Regiment Gardes ausgeriſſen, auch daß eine gewiſſe Perſon, welche ſich
ſonſt vom Troͤdeln ernaͤhret, ſich unverſehens unſichtbar, und mit Hin-
terlaſſung aller ihrer Guͤter aus der Stadt gemacht, aus Furcht, von
Cartouche verrathen zu werden.

Cartouche war im̃ittelſt das gemeinſte, wovon geredet wurde, und ſo
gar die Comœdianten accommodireten ſich hierinnen nach dem Gouſt des
Volcks. Die Jtaliaͤniſchen ſtellten deßwegen am 20. Octobr. Harlequin
Cartouche,
aber mit ſchlechten Succeſs vor. Denn wie die Comoͤdie kaum
halb geſpielet war, muſten die Comoͤdianten die Vorhaͤnge des Schau-
Platzes herunter laſſen; weil die gantze Action denen Zuſchauern ſehr ab-
geſchmackt vorkam und ſie ihr Mißvergnuͤgen durch die allhier uͤbliche
Manier zu Pfeiffen zu verſtehen gaben, mit welcher ſchimpfflichen Muſic
aber denen Comoͤdianten nichts gedienet war. Der Zulauff bey dieſer
vermeinten curieuſen Action war ſo groß, daß die Leute einander trugen.
Harlequin ſolte die Perſon des Cartouche vorſtellen, ſo er aber nicht nach
dem Gutduͤncken der ſeltſamen und in ihren Meinungen ſehr delicaten

Welt
B 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="11"/>
Allein die Tochter des Hauß-Herrn hielt in&#x017F;ta&#x0364;ndig an, man &#x017F;olte weiter<lb/>
&#x017F;uchen, es wa&#x0364;ren 2. Per&#x017F;onen gewe&#x017F;en und eine davon ha&#x0364;tte mit Ketten<lb/>
geklappert. Sie fiengen hierauf u&#x0364;berlaut zu &#x017F;chreyen, es wird warlich<lb/><hi rendition="#aq">Cartouche</hi> &#x017F;eyn, &#x017F;o zu entfliehen trachtet. Die Hof-Thu&#x0364;re ward &#x017F;ogleich<lb/>
be&#x017F;etzet und der Hof &#x017F;ehr genau durch&#x017F;uchet. Man brachte lange Zeit zu,<lb/>
ehe der&#x017F;elbe gefunden wurde; Denn <hi rendition="#aq">Cartouche</hi> hatte &#x017F;ich mit dem Bauch<lb/>
und Ge&#x017F;ichte an die Wand des Hau&#x017F;es geleget und derge&#x017F;talt ausge&#x017F;tre-<lb/>
cket, daß man im Du&#x0364;&#x017F;tren nicht erkennen konnte, ob es Men&#x017F;ch, oder<lb/>
Hauß wa&#x0364;re; Endlich aber ward der&#x017F;elbe, nach langem Herumtappen,<lb/>
gefunden, gegriffen, und denen inde&#x017F;&#x017F;en herbey geholten Thu&#x0364;rwa&#x0364;rtern des<lb/>
Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;es u&#x0364;bergeben und ins <hi rendition="#aq">Chatelet</hi> in ein ander Gefa&#x0364;ngniß ge-<lb/>
bracht, allwo er fe&#x017F;ter ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und nach der Zeit Tag und Nacht von<lb/>
2. Gerichts-Dienern bewachet worden. Mit anbrechendem Tage kam<lb/>
der Lieutenant des <hi rendition="#aq">Criminal-</hi>Richters zu ihm, dem er, auf Befragen,<lb/>
gar gela&#x017F;&#x017F;en erzehlete, wie er mit &#x017F;einer Befreyung zu Wercke ge-<lb/>
gangen.</p><lb/>
        <p>Man &#x017F;a&#x0364;umete inde&#x017F;&#x017F;en auch nicht noch immer Per&#x017F;onen, die ver-<lb/>
da&#x0364;chtig waren, aufzu&#x017F;uchen und in Arre&#x017F;t zu nehmen, da denn unter an-<lb/>
dern auch 5. Archiers von der Wacht zu Fuß in Verwahrung genommen,<lb/>
auch <hi rendition="#aq">ob&#x017F;ervir</hi>et worden, daß &#x017F;eit kurtzer Zeit mehr als 50. Soldaten vom<lb/>
Regiment Gardes ausgeri&#x017F;&#x017F;en, auch daß eine gewi&#x017F;&#x017F;e Per&#x017F;on, welche &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t vom Tro&#x0364;deln erna&#x0364;hret, &#x017F;ich unver&#x017F;ehens un&#x017F;ichtbar, und mit Hin-<lb/>
terla&#x017F;&#x017F;ung aller ihrer Gu&#x0364;ter aus der Stadt gemacht, aus Furcht, von<lb/><hi rendition="#aq">Cartouche</hi> verrathen zu werden.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">Cartouche</hi> war im&#x0303;ittel&#x017F;t das gemein&#x017F;te, wovon geredet wurde, und &#x017F;o<lb/>
gar die <hi rendition="#aq">Com&#x0153;diant</hi>en <hi rendition="#aq">accommodi</hi>reten &#x017F;ich hierinnen nach dem <hi rendition="#aq">Gou&#x017F;t</hi> des<lb/>
Volcks. Die Jtalia&#x0364;ni&#x017F;chen &#x017F;tellten deßwegen am 20. Octobr. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Harlequin<lb/>
Cartouche,</hi></hi> aber mit &#x017F;chlechten <hi rendition="#aq">Succe&#x017F;s</hi> vor. Denn wie die Como&#x0364;die kaum<lb/>
halb ge&#x017F;pielet war, mu&#x017F;ten die Como&#x0364;dianten die Vorha&#x0364;nge des Schau-<lb/>
Platzes herunter la&#x017F;&#x017F;en; weil die gantze <hi rendition="#aq">Action</hi> denen Zu&#x017F;chauern &#x017F;ehr ab-<lb/>
ge&#x017F;chmackt vorkam und &#x017F;ie ihr Mißvergnu&#x0364;gen durch die allhier u&#x0364;bliche<lb/>
Manier zu Pfeiffen zu ver&#x017F;tehen gaben, mit welcher &#x017F;chimpfflichen <hi rendition="#aq">Mu&#x017F;ic</hi><lb/>
aber denen Como&#x0364;dianten nichts gedienet war. Der Zulauff bey die&#x017F;er<lb/>
vermeinten <hi rendition="#aq">curieu&#x017F;</hi>en <hi rendition="#aq">Action</hi> war &#x017F;o groß, daß die Leute einander trugen.<lb/><hi rendition="#aq">Harlequin</hi> &#x017F;olte die Per&#x017F;on des <hi rendition="#aq">Cartouche</hi> vor&#x017F;tellen, &#x017F;o er aber nicht nach<lb/>
dem Gutdu&#x0364;ncken der &#x017F;elt&#x017F;amen und in ihren Meinungen &#x017F;ehr <hi rendition="#aq">delicat</hi>en<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Welt</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0017] Allein die Tochter des Hauß-Herrn hielt inſtaͤndig an, man ſolte weiter ſuchen, es waͤren 2. Perſonen geweſen und eine davon haͤtte mit Ketten geklappert. Sie fiengen hierauf uͤberlaut zu ſchreyen, es wird warlich Cartouche ſeyn, ſo zu entfliehen trachtet. Die Hof-Thuͤre ward ſogleich beſetzet und der Hof ſehr genau durchſuchet. Man brachte lange Zeit zu, ehe derſelbe gefunden wurde; Denn Cartouche hatte ſich mit dem Bauch und Geſichte an die Wand des Hauſes geleget und dergeſtalt ausgeſtre- cket, daß man im Duͤſtren nicht erkennen konnte, ob es Menſch, oder Hauß waͤre; Endlich aber ward derſelbe, nach langem Herumtappen, gefunden, gegriffen, und denen indeſſen herbey geholten Thuͤrwaͤrtern des Gefaͤngniſſes uͤbergeben und ins Chatelet in ein ander Gefaͤngniß ge- bracht, allwo er feſter geſchloſſen und nach der Zeit Tag und Nacht von 2. Gerichts-Dienern bewachet worden. Mit anbrechendem Tage kam der Lieutenant des Criminal-Richters zu ihm, dem er, auf Befragen, gar gelaſſen erzehlete, wie er mit ſeiner Befreyung zu Wercke ge- gangen. Man ſaͤumete indeſſen auch nicht noch immer Perſonen, die ver- daͤchtig waren, aufzuſuchen und in Arreſt zu nehmen, da denn unter an- dern auch 5. Archiers von der Wacht zu Fuß in Verwahrung genommen, auch obſerviret worden, daß ſeit kurtzer Zeit mehr als 50. Soldaten vom Regiment Gardes ausgeriſſen, auch daß eine gewiſſe Perſon, welche ſich ſonſt vom Troͤdeln ernaͤhret, ſich unverſehens unſichtbar, und mit Hin- terlaſſung aller ihrer Guͤter aus der Stadt gemacht, aus Furcht, von Cartouche verrathen zu werden. Cartouche war im̃ittelſt das gemeinſte, wovon geredet wurde, und ſo gar die Comœdianten accommodireten ſich hierinnen nach dem Gouſt des Volcks. Die Jtaliaͤniſchen ſtellten deßwegen am 20. Octobr. Harlequin Cartouche, aber mit ſchlechten Succeſs vor. Denn wie die Comoͤdie kaum halb geſpielet war, muſten die Comoͤdianten die Vorhaͤnge des Schau- Platzes herunter laſſen; weil die gantze Action denen Zuſchauern ſehr ab- geſchmackt vorkam und ſie ihr Mißvergnuͤgen durch die allhier uͤbliche Manier zu Pfeiffen zu verſtehen gaben, mit welcher ſchimpfflichen Muſic aber denen Comoͤdianten nichts gedienet war. Der Zulauff bey dieſer vermeinten curieuſen Action war ſo groß, daß die Leute einander trugen. Harlequin ſolte die Perſon des Cartouche vorſtellen, ſo er aber nicht nach dem Gutduͤncken der ſeltſamen und in ihren Meinungen ſehr delicaten Welt B 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/oa_cartouche_1722
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/oa_cartouche_1722/17
Zitationshilfe: [N. N.]: Der berühmte Ertz-Dieb und Strassen-Räuber Cartouche. Leipzig, 1722, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oa_cartouche_1722/17>, abgerufen am 22.11.2024.