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] Düsseldorf, 3. Mai.
Prozeß gegen Lassalle und Weyers. Um das Gerichtsgebäude sieht man in unerhörter Zahl die Schnapsgesichter preußischer Gensd'armen.
Ueber sechszig dieser Gerechtigkeitssäulen haben alle Eingänge besetzt; wahrscheinlich um nicht sagen zu lassen, man habe Militär requirirt.
Um 8 Uhr tritt der Gerichtshof in den Saal. Präsident ist Herr Druffel, ein ehrenwerther Mann, in dessen Gesicht westphälische Bornirtheit und ultramontaner Fanatismus sich liebenswürdig
paaren.
Auf Befehl des Herrn Druffel sind den Journalisten die üblichen Plätze verweigert worden. Treffliches Debut des biederen Präsidenten! Selbst in dem Berliner Polenprozeß unter dem alten
Regime hatten die Journalisten Plätze.
Den Platz des öffentlichen Ministeriums nimmt Herr Potthof ein, von dessen Werth noch wenig zu sagen ist. Herr Potthof hat sich seine ersten politischen Lorbeeren in dem Prozeß Dronke's vor
zwei Jahren in Koblenz verdient.
Lassalle und Weyers sitzen auf der Anklagebank; Stühle, wie in allen civilisirten Ländern, sind ihnen nicht gestattet worden.
Nach Wahl der Geschworenen wird die Sitzung um 8 1/2 Uhr eröffnet, und der Anklageakt verlesen.
Während dieser Verlesung sehe ich, daß der unparteiische Präsident einem schwarz-weißen Berichterstatter der Kölner Zeitung, früherem Mitredakteur der oberprokuratorischen Schnaase-Zeitung für den
Niederrhein, einen Sitzplatz hinter den Angeklagten eingeräumt hat. Dem Berichterstatter der Neuen Rheinischen Zeitung wurde gestern ausdrücklich dieser Platz verweigert, und zwar unter dem
Vorwande, daß auf die „Estrade“
Niemand
zugelassen werden dürfe. Vielleicht aber betrachtet man die Berichterstatter der Kölnischen Zeitung als Null.
Der Staatsprokurator leitet darauf die Prozedur mit einem sogenannten geschichtlichen Kohl ein.
„Die Prozedur eröffne unerfreuliche Erinnerungen. Diese Unerfreulichkeit sei das Zerwürfniß der Vereinbarungsversammlung mit der Krone. Eine Partei des Umsturzes habe alle ihre Thätigkeit
darauf in's Werk gesetzt. Die Geschworenen sollen jetzt die bedrohte soziale Ordnung rächen. Wenn man nicht gleich alle jene Leute vor Gericht gestellt, so geschah es, weil das Unternehmen
nicht so weit vorgeschritten war. In Betreff Lassalle's aber hat die Staatsbehörde für gut befunden, auf alle Handlungen des Angeklagten, welche die Zwecke (Tendenz) von Lassalle
und seiner Partei in's Licht setzen können, Rücksicht zu nehmen. Sie hat gegen Lassalle 13, gegen Weyers 7 Zeugen laden lassen“.
Die Zeugen werden aufgerufen und treten in's Zeugenzimmer zurück.
Zwei Acktenstücke, von denen im Anklageakt die Rede ist, werden verlesen und von Lassalle anerkannt.
Auf die thatsächlichen Fragen des Präsidenten erklärt Lassalle, daß er sich des Einzelnen nicht entsinne, aber Alle im Anklageakt behaupteten Thatsachen acceptiren wolle.
Die Verhandlung wird hier durch einen Zwischenfall gestört. Ein Polizist, Namens Grube, will den Redakteur der Neuen Rheinischen Zeitung, Herrn Bürgers, der auf dem Zeugenplatz zurückgeblieben ist,
hinausweisen. Bürgers beruft sich auf den Präsidenten, welcher endlich nach einigen Aeußerungen des Unwillens im Publikum die Zulassung von Bürgers verfügt.
Der Angeklagte Weyers giebt ebenfalls die im Anklageakt behaupteten Thatsachen zu, worauf zum Zeugenverhör geschritten wird.
Zeuge Siebolt. Der Zeuge erinnert sich der Sitzung des Volksklubs, in welcher Lassalle gesprochen, und zur Wahl von Führern aufgefordert habe. Spezielles weiß er nicht mehr. Auf die Frage,
ob er seine Aussage vor dem Instruktionsrichter anerkenne, sagt der Zeuge: „Ich habe das damals so gesagt, ich bin ein armer Familienvater…‥“ Der Präsident schneidet ihm
mit andern Fragen das Wort ab. Auf nochmalige Fragen sagt der Zeuge: „Vor dem Instruktionsrichter war ich vor lauter Elend zu bang, um dem Richter zu widersprechen; ich weiß von
nichts!“
Zeuge Rosselle, Schreiner, erklärt Mitglied eines Barrikadenclubs gewesen zu sein. Dieser Club wäre blos „Jux„ gewesen. Lasalle habe ihm keinen Auftrag zum Bau der Barrikade an
der Ritterstraße gegeben. Seine gegentheilige Aussage vor dem Instruktionsrichter nimmt er zurück. In der Versammlung in der Bockhalle sei von Barrikaden gesprochen worden; man habe gerufen, Rosellen
muß uns helfen, worauf er, der Zeuge, Ja gesagt. Lasalle, wiederholt er, habe ihm keinen Auftrag gegeben.
Zeuge Lorenz Grafen, Stellvertreter des Bürgerwehrkommandanten, erklärt auf die Frage, ob Lasalle der Bürgerwehr vorgeschlagen habe, die übriggebliebene Munition des Schützenvereins zu nehmen; die
Aufregung nach der Auflösung der Vereinbarungsversammlung sei der Art gewesen, daß die Bürgerwehr allgemein das Bedürfniß zur Anschaffung der Munition selbst gefühlt habe.
Der Zeuge sagt, Lasalle habe nicht gegen die königl. Gewalt, sondern gegen das hochverrätherische Ministerium Brandenburg und zum Schutz der Volksrechte aufgefordert. Die Stimmung sei bei allen
Leuten damals dieselbe gewesen. Er selbst, der Zeuge, habe die Ansicht Lasalle's den Worten der Fürsten nicht zu glauben, damals nicht getheilt (Gelächter), Lasalle aber habe nichts
angerathen, was nicht er, der Zeuge, als nothwendig mitgefühlt habe.
Auf eine Frage des Staats-Prokurators, gesteht der Zeuge, im Volksklub oftmals in seiner Bürgerwehrstellung angegriffen worden zu sein, aber nicht deshalb seine Stelle niedergelegt zu haben.
Der Zeuge war mit Lassalle damals nicht besonders befreundet, er war damals (Gelächter) Konstitutioneller und glaubte noch an eine ruhige Fortentwicklung; Lassalle that nichts weiter, als daß er diese
Ansicht bekämpfte, und zum bewaffneten Schutz der Volksrechte auffordete. Der Zeuge wird bei Erwähnung des Ministeriums Brandenburg immer lebhafter und giebt eine vollkommene Apologie des
„politischen Standpunktes“von Lassalle.
Zeuge Hesemann, Chef der Bürgerwehr von Neuß. In einer Bürgerwehrversammlung zu Neuß hatten sich fremde, nicht zu der Bürgerwehr gehörige Leute eingedrängt. Ob Jemand zur Bewaffnung aufgefordert,
könne er nicht sagen; er habe nur gehört, daß Jemand den Leuten zugerufen, im Zeughaus seien Waffen vorhanden.
Der Vertheidiger macht darauf aufmerksam, daß der Zeuge keinen der beiden Angeklagten nenne und daß nicht die Angeklagten denselben vorgeladen.
Zeuge Hohmann, Geschäftsmann in Neuß. Weyers sei am 29. Nov. in Neuß in einem Bierhause erschienen und habe die Gäste zu einer Volksversammlung eingeladen. Gleich darauf sei auch Lassalle gekommen
und habe auf die Nachricht, daß der Bürgermeister das Ausschellen der Volksversammlung so spät am Abend verboten, die Wirthshausschelle genommen und Weyers mit Ausschellen beauftragt.
Auf die weise Frage des unsterblichen Staatsprokurators Potthof, „ob bei Neuß eine Batterie sei.“ weiß der Zeuge nichts zu sagen.
Zeuge Eduard Kur. Lassalle habe in der Versammlung vom 29. Nov. zu Neuß über die Steuerverweigerung gesprochen, und zur Bewaffnung ermahnt. Die Düsseldorfer hätten vom Gemeinderath Munition
erhalten und die Neußer müßten dasselbe thun. Ob Lassalle von der Eventualität gesprochen, wenn der Neußer Gemeinderath die Munition verweigere, weiß der Zeuge nicht zu sagen.
Nach Lassalle habe Weyers gesprochen, dessen Rede keinen Eindruck gemacht, und dessen Worten der Zeuge nicht gefolgt sei.
Zeuge Zinksem, Gerichtsvollzieher in Neuß. In der Neußer Volksversammlung habe Lassalle über die politischen Zustände gesprochen, von dem passiven Widerstand der Vereinbarer-Versammlung den man mit
dem aktiven unterstützen müsse. Bei Gelegenheit der Steuerverweigerung habe er gesagt, wenn die Steuerboten kämen, müsse man ihnen den Hals brechen, worauf die Versammlung gelacht habe. Auch von
„Losgehen in Düsseldorf“ habe er gesprochen; der Zeuge weiß jedoch nichts Bestimmtes darüber, da ihm der Zusammenhang durch die häufigen Beifallsunterbrechungen entgangen sei.
Zeuge Max Joseph Schmitz, Kaufmann in Neuß. Lasalle habe in Neuß zur Wahl einer Commission für Beschaffung von Munition aufgefordert. Nach ihm sei Weyers aufgetreten, der sehr heftig und grob gegen
den König gesprochen habe und dem Zeugen sehr aufgereizt vorgekommen sei.