Französische Republik.
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Paris, 20. April.
Passy, Finanzminister, überdie enormen Abzüge seines Büdjets aufgebracht, hat mit Demission gedroht.
‒ Laut des heute früh von der Bankdirektion ausgegebenen Bülletins ist der Pariser Wechselverkehr in der letzten Woche (12-19. April) von 50, 292, 321 Fr. 76 Centimes auf 49, 196, 645 Fr. 99
Centimes abermals gesunken. Auch der Departementalverkehr hat merklich abgenommen.
‒ Der kleine Abend-Moniteur sprengte gestern Abend das Gerücht aus, Heinrich V. sei gestorben!
Die Schaar der legitimistischen Blätter nimmt das sehr übel und erwidert, daß sich der Graf Chambord in Frohnsdorf nie wohler befunden habe als eben jetzt.
(An den Redakteur der „Patrie.“ Mein Herr, ich lese in Ihrem Journale von gestern Abend, daß Sie den Gedanken hegen, ich befände mich schon seit mehreren Tagen in Paris und die
Mittheilungen, die ich der Regierung gemacht, könnten wohl dem Entschlusse desselben, rücksichtlich der Intervention in Rom nicht fremd sein u. s. w. Ich erkläre Ihnen hiermit auf meine Ehre, daß ich
erst am Montage Abends (16. April) in Paris eintraf und acht Tage brauchte, um mit einem kranken Körper den Weg von Marsaille nach Paris zurückzulegen. Ich erkläre ferner, daß ich der Regierung keine
Eröffnungen machen konnte, da ich erst mit der thelegraphischen Depesche eintraf, welche ihr den Umschwung der Dinge in Florenz anzeigte und weshalb ich erst spätere Nachrichten abwarten mußte, um
mein Verfahren zu regeln. Ich bitte Sie um Aufnahme dieser Berichtigung Ihrer Unwahrheiten in Ihrer nächsten Nummer etc. etc. etc.
Paris, 19. April.
(gez.) Joseph Montanelli.
‒ Die Cholera macht bei dem abscheulich kalten Wetter Rieesnschritte. Es lagen bis vorgestern (18.) in den Hospitälern von Paris allein 2199 Erkrankte.
‒ Gegen die Blindschleiche Taschereau ist eine Verläumdungsklage eingereicht.
‒ Im Sarthedepartement tritt Lamoriciere als Kandidat auf.
‒ Heute feiert man im Elysée den 42. Geburtstag seiner republikanischen Majestät.
‒ Faucher fährt in seinem Ausweisungssystem fort. Aus Aerger über einige vortreffliche Artikel in der Tribune des Peuples hat er einige neue Expulsionsbefehle gegen die daran arbeitenden
Journalisten (meist Italiener, Polen und Deutsche) unterschrieben.
‒ Die Gerichtsdiener verhafteten gestern auf der Straße einen der Gerantes dn Peuple Bürger Vasbenter, auf dem mehrere rechtskräftige Strafurtheile haften. Unter Louis Philipp
benachrichtigte die Staatsanwaltschaft stets die Verurtheilten, daß sie sich im Gefängniß zu stellen hätten, wenn sie sich keiner öffentlichen Verhaftung aussetzen wollten. Unter der honetten Republik
ist man natürlich ungenirter.
‒ General Jabrier ist aus Kopenhagen nach Paris zurückgekehrt und erläßt im Journal des Debats eine Erklärung gegen die deutsche Eroberungswuth gegen das kleine Dänemark im Gegensatz aller
geheiligten Verträge.
‒ Im Duphotklub regnete es gestern Abend wieder tüchtig Prügel. Seitdem er vorbereitende Wahlversammlung geworden, hat natürlich jeder Mann Zutritt. Inmitten eines stockroyalistischen
Vortrages erschallte plötzlich der Raf: „Nieder mit den Royalisten! es lebe die demokratisch-soziale Republik!“ Die Damen auf den Gallerien antworteten: „Es lebe Heinrich V.!
Nieder mit der Republik!“ Dies gab den Dandy's im Saale den Muth und sie zogen ihre Stockdegen und sonstigen verborgenen Mordinstrumente gegen die Republikaner. Diese aber ergriffen die
Royalisten an der Gurgel und warfen sie zum Saale hinaus, so daß die Rothen Herren desselben blieben. Ein demokratischer Klub war längst geschlossen worden.
‒ Die Nationalversammlung behandelte heute vor dem Finanzbüdget die Urlaubsfrage, die sie vor dem Selbstmorde schützen soll. Die Urlaube sind sehr erschwert.
‒ Das Memorial Bordelais vom 17. April, eines der giftigsten Organe des Südens, veröffentlicht einen Brief des Präsidenten Bonaparte, d. d. Elysee, 10. April, an seinen Vetter Napoleon
Jerome, der auf seiner Reise nach Madrid in Bordeaux gesagt haben soll: „…Beherrscht von den Chefs der reaktionären Bewegung, kann mein Vetter (Präsident) nicht frei seinen Inspirationen
folgen. Er ist dieses Joches überdrüssig und bereit, dasselbe abzuschütteln. Um ihm in diesem Streben zu helfen, ist es nöthig, daß man in die nächste Kammer Männer wähle, die eher dem jetzigen
Ministerio feindlich sind, als der moderirten Partei angehören.“
‒ Die E. Raspail'sche Ohrfeige kam gestern vor dem hiesigen Zuchtgericht zur Verhandlung. Point und eine Menge Zeugen wurden vernommen. Point erklärte, daß ihm Raspail keine Ohrfeige
gegeben, sondern nur das Kinn etwas unsanft in die Höhe gerückt habe (?). Raspail, den die Gerichtsdiener vergebens suchten, sandte ein Attest ein, das ein Fieber bescheinigt und sein Erscheinen für
morgen (20.) verspricht, wo die Prozeßverhandlungen fortgesetzt werden.
‒ National-Versammlung. Sitzung vom 20. April. In den Abtheilungen viel Leben. Die Changarnier-Kommission sitzt seit 11 Uhr beisammen; sie verwirft den ministeriellen Antrag: dem
Changarnier die Obergewalt des Seinedepartements noch drei Monate zu lassen und hat den radikalen Grevy zum Berichterstatter gewählt.
Im Ackerbau- und Grundkreditausschuß expektorirt Considerant seit derselben Stunde die Nothwendigkeit der Anlage von Phalansterien zur Beseitigung der Staatsgefahr u. s. w.
In den Abtheilungen wird ferner ein Antrag des wandernden Demosthenes, Hipp lyte Bonnetier, auf Erlaubniß zur gerichtlichen Verfolgung des beruchtigten Redakteurs der Revue retrospective, Hrn.
Taschereau, debattirt und verworfen.
Um 12 Uhr Mittags eröffnet Grevy, einer der Vicepräsidenten, an der Stelle der cholerakranken Marrast die öffentliche Sitzung.
An der Tagesordnung ist zunächst der Fauchersche Antrag auf Verlängerung des Preßzwangsgesetzes vom 9. August 1848, das den Zeitungen 24,000 Fr. Caution provisorisch vorschreibt und mit
bevorstehendem Mai erloschen sollte.
Der Ausschuß trägt auf Herabsetzung der Caution um die Hälfte, von 24,000 auf 12,000 Fr. an.
Meaulle, ein baumstarker Advokat aus der Bretagne, bekämpft die Conclusionen des Ausschusses. Der Ausschuß sehe eine Verfassungsverletzung in der Beibehaltung der Caution und wenn er auch
noch in die Hälfte derselben willige, so sei dies nur ein provisorisches Zugeständniß. Dieser Ansicht trete er nicht bei; er bekämpfe also die Conclusionen und wolle es beim Alten lassen, (Ah!
Ah!)
Baze, im Namen der Minorität des Ausschusses, erklärt, die Minorität unterstutze aus vollem Herzen den ministeriellen Entwurf. Die Caution, so hoch als möglich, sei nothig. Die Volkspresse
dürfe nicht zügellos sein. Die züg llose Volkspresse habe die Junirevolution erzeugt. (Heftiger Widerspruch im Saale) Ich bekämpfe den Ausschußentwurf und nehme den ministeriellen Entwurf als mein
persönliches Amendement auf. (Hohngelächter und Murren).
Rabeaud Laribiere und Bouhier de l'Ecluse treten in lange Erörterungen, ob die Caution mit Artikel 8 der Verfassung verträglich sei oder nicht.
Dupont (Bu'sac), Berichterstatter: Ihr habt die Worte Volkssouverainetät und Gleichheit in Eure Verfassung geschrieben. Wollt Ihr sie wieder daraus streichen? Wie könnt Ihr dies
Gleichheit nennen, wenn Ihr den Volksorganen 24,000 Fr. abfordert, die sie nimmermehr erlangen können, während sie für den Reichen eine Bagatelle sind? Das heißt, zwei Parteien zu einem Zweikampf
laden und der einen ein Federmesser, der andern einen Degen als Waffe in die Hände geben. (Beifall vom Berge).
Nach dieser Rede wird die Debatte als geschlossen erklärt und zur artikelweisen Berathung geschritten. Der Präsident liest vor:
Artikel 1.
Die Höhe der Journal- und periodischen Schriften-Caution, welche das Gesetz vom 8. August 1848 feststellte, ist auf die Hälfte herabgesetzt. Diese Caution muß baar in die Staatskasse gezahlt
werden, welche sie, wie üblich, verzinst. Auch kann die Caution in 5 Proz. Rente hinterlegt werden etc.
Ledru-Rollin, Felix Pyat und mehrere Bergglieder wollen das Amendement:
„Alle Cautionen auf Journale und periodische Schriften hören vom 1. Mai 1849 an auf.“
(Große Agitation im Saale.)
Faucher, Minister des Innern, bekämpft dieses Amendement und den Ausschußentwurf wahrend drei Viertelstunden. Er dringt in die Versammlung, Beh fs Bekämpfung der Anarchie die Regierung nicht
zu entwaffnen und das Augustgesetz auf 3 Monate zu verlängern. (Zur Abstimmung! Zur Abstimmung!)
Sarrans, Morhary bekämpfen das Cautionswesen. Es constituire ein Monopol der Reichen gegen die Armen. (Lärm.)
Loussidat: Hat der Moniteur auch Caution gestellt?! (Gelächter.)
Faucher: Ja, er hat Caution gestellt!
Der Minister dringt auf Abstimmung.
Ledru-Rollins Amendement fällt mit 226 gegen 423 Stimmen durch. Ebenso wird der Ausschußentwurf mit 352 gegen 291 Stimmen verworfen. (Agitation zur Linken)
Der ministerielle Entwurf (auf Verlängerung des Augustgesetzes) wird demnächst in seinem ersten Hauptartikel mit ziemlich starkem Mehr angenommen.
Nach Annahme des ersten (Haupt) Artikels des ministeriellen Entwurfs, ist der Grundsatz der Caution beibehalten.
Die Versammlung geht zu Artikel 2 des Ausschußentwurfs über.
Artikel 2.
Journale, die nur während der 45 Tage erscheinen, welche den Kammereröffnungen vorangehen, sind von jeder Cautionsleistung dispensirt.
Wird verworfen.
Artikel 3.
Während dieser 45 Tage der Generalwahlen kann jeder Bürger ohne alle munizipale Erlaubnißeinholung Schriften drucken, affichiren, vertheilen und verkaufen lassen, die sich auf die Wahlen beziehen.
Ein Exemplar muß bei dem Prokurator deponirt werden, ehe die Veröffentlichung beginnt. Die Anhefter, Vertheiler, Verkaufer u.s.w. haben ihre Wohnungen beim Maire anzuzeigen, Contraventionen hingegen
werden mit 16 bis 200 Frk. Strafe und 10 Tage bis 1 Jahr Gefängniß gerügt.
Dieser Artikel wird bruchstuckweise unter heftigen Kämpfen angenommen. Man schreitet unter unbeschreiblichem Tumult zur Abstimmung über den ganzen Artikel durch Namensruf. Da derselbe zwei Stunden
dauert und erst um 5 1/2 Uhr beginnt, so können wir das Schicksal dieses Artikels erst morgen mittheilen.